Angesichts der hohen Teuerung steigt die Sorge vor einer Spirale aus steigenden Preisen und Löhnen. Renommierte Ökonomen wollen das mit einem ungewöhnlichen Vorschlag verhindern.
Kundgebung zum 1. Mai in München
Die hohe Inflation könnte sich bald auch stärker in den Lohnforderungen niederschlagen.
Bild: IMAGO/aal.photo
Frankfurt Notenbanker treibt derzeit vor allem eine Sorge um: die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Gemeint ist ein Kreislauf, bei dem sich Preise und Löhne gegenseitig hochschaukeln, zum Beispiel, wenn Gewerkschaften höhere Löhne fordern und sich das wiederum in den Preisen niederschlägt.
Zuletzt ist die Inflation im Euro-Raum im April auf 7,4 Prozent gestiegen. Isabel Schnabel, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), sieht bisher noch keine Lohn-Preis-Spirale. Aus ihrer Sicht stehe aber „außer Zweifel, dass höhere Lohnforderungen kommen werden, wenn die Inflation längere Zeit so hoch bleibt“, sagte sie jüngst im Interview mit dem Handelsblatt. Für Aufsehen sorgte zuletzt die Gewerkschaft IG Metall mit ihrer Forderung nach einer Lohnerhöhung um 8,2 Prozent in der Stahlindustrie.
In einer Studie schlagen der frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, und der Ökonom Jean Pisani-Ferry vom Washingtoner Peterson Institute for International Economics (PIIE) radikale Schritte vor, um eine solche Konstellation zu verhindern. Die Tarifparteien und der Staat sollten sich in gemeinsamen Gesprächen auf moderate Lohnerhöhungen verständigen. Im Gegenzug könnte der Staat die Verbraucher bei den Energiepreisen entlasten.
„Normalerweise gehen solche Maßnahmen viel zu weit“, sagt Pisani-Ferry im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die aktuelle Situation sei aber so außergewöhnlich, „dass besondere Mittel nötig sind, um sie zu beruhigen“. Er verweist darauf, dass die Preise schon durch die Folgen der Pandemie stark gestiegen seien. Jetzt komme durch den Ukrainekrieg noch der Energiepreisschock dazu.
Das klassische Mittel gegen hohe Inflation wären Zinserhöhungen. Doch die EZB befindet sich momentan in einem Dilemma. Der Ukrainekrieg hat die Preisentwicklung weiter angeheizt. Das spricht für Zinserhöhungen. Die Folgen des Kriegs drücken aber auch die Kaufkraft und sorgen für wirtschaftliche Unsicherheit – was eher gegen einen solchen Schritt spricht.
Zuletzt haben führende EZB-Vertreter eine Erhöhung für Juli signalisiert. Aber der Spielraum für eine Straffung der Geldpolitik ist begrenzt – und sie wirkt in der Regel auch mit zeitlicher Verzögerung.
Aus Sicht von Pisani-Ferry sollte die Finanzpolitik die EZB daher bei der Inflationsbekämpfung unterstützen. Er und Blanchard schlagen vor: Die Euro-Staaten kompensieren die Verbraucher teilweise für Einkommensverluste, die diese durch den aktuellen Preisschub für Energie erleiden. Das wiederum würde Spielraum für moderatere Lohnabschlüsse schaffen.
Die Ökonomen schlagen vor, die Entlastungen durch neue Schulden zu finanzieren. Sie argumentieren, dass Euro-Staaten sich dies leisten könnten, weil die realen Renditen im Euro-Raum, also nach Abzug der Inflation gerechnet, nach wie vor extrem niedrig sind. In Deutschland liegt zum Beispiel die nominale Rendite zehnjähriger Bundesanleihen derzeit bei etwa einem Prozent – also deutlich unter der Inflationsrate.
Für eine Kompensation der Verbraucher gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon sind temporäre Steuersenkungen für Energie. In Deutschland will die Bundesregierung beispielsweise ab Juni für drei Monate einen Tankrabatt einführen. In diesem Zeitraum soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe gesenkt werden. Der Vorteil: Dies drückt direkt die Preise. Allerdings setzen geringeren Preise für Verbraucher auch den Anreiz, mehr Benzin zu verbrauchen – was wieder zu steigenden Preisen führt.
Eine andere Alternative wären Preisbegrenzungen. In Frankreich hat der Staat die großen Stromkonzerne des Landes aufgefordert, die Preise im Jahr 2022 um maximal vier Prozent anzuheben. Dies aber belastet die Unternehmen.
Erstmals seit mehr als zehn Jahren könnten im Euro-Raum die Zinsen angehoben werden. Die Märkte sind bereits in Unruhe. Aber was bedeutet die mögliche Zinswende für Anleger?
Der von Pisani-Ferry und Blanchard präferierte Weg sind Einmalzahlungen an die Verbraucher. Dieser Ansatz findet sich auch im geplanten Entlastungspaket der Bundesregierung in Form der Energiepauschale von 300 Euro, die alle Erwerbstätigen in Deutschland erhalten sollen. Aus Sicht der Ökonomen sollten die Einmalzahlungen allerdings bedarfsorientiert gestaltet werden, etwa indem die Zahlungen auf Leute unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle beschränkt werden.
Bei der Energiepauschale gibt es dies teilweise, weil sie der Einkommensteuer unterliegt. Je höher also das Einkommen der Bezieher, desto weniger bleibt ihnen netto davon übrig. Tendenziell trifft der Energiepreisanstieg Geringverdiener stärker, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben.
>>> Lesen Sie auch: Tauben oder Falken: Entlang dieser Linien teilt sich der EZB-Rat auf
Im Gegenzug für die Entlastungen sollten sich die Tarifpartner und der Staat auf moderate Lohnabschlüsse verständigen. „Eine Verstetigung der hohen Inflation wäre für alle Seiten schlecht. Daher sollten sich die Tarifparteien und die Staaten gemeinsam über die Lohnentwicklung in diesem Jahr verständigen“, argumentiert Pisani-Ferry.
Der Vorschlag weckt Erinnerungen an das „Bündnis für Arbeit“ in Deutschland. Von 1998 bis 2003 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder einen Dialog zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung organisiert. Dabei ging es unter anderem auch um Lohnzurückhaltung und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgten die Niederlande, er wurde dort als „Poldermodell“ bezeichnet. Anders als bei diesen historischen Beispielen geht es Pisani-Ferry und Blanchard aber nur um eine kurzfristige Lösung, um die außergewöhnliche Situation durch Pandemie und Energiepreisschock zu bewältigen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (8)