Deutsche Banken buhlen massiv um gewerbliche Immobilienkunden. In diesem Jahr könnte der Rekordumsatz der Branche von 2015 übertroffen werden. Um die Konkurrenz auszustechen, wagen einige Institute erstaunlich viel. Das weckt böse Erinnerungen.
Pariser Bürostadt „La Défense“
Deutsche Banken finanzieren Immobilienprojekte in ganz Europa.
Bild: Bildagentur-online/Tips-Newman
Düsseldorf, Frankfurt Hubert Schulte-Kemper steht nicht im Ruf, risikoscheu zu sein. In seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der einstigen Essener Hypothekenbank ging er so manche kühne Zinswette ein – und wagte dann mit 64 Jahren noch einmal den beruflichen Neuanfang. 2010 gründete er den Immobilienentwickler Fakt, auch das nicht gerade ein Geschäft für Sicherheitsfanatiker. Was ihm allerdings kürzlich auf den Tisch flatterte, klang selbst für „HSK“, wie der Manager aus dem Ruhrgebiet gern genannt wird, gewagt. Seine Anfrage über ein 25-Millionen-Euro-Darlehen beantwortete eine große deutsche Hypothekenbank umgehend mit einer Offerte über Kredite in mehrfacher Höhe – zur Refinanzierung seiner älteren Schulden. Ob er das Angebot angenommen hat, lässt er offen.
Als Kenner der Branche wird sich Schulte-Kemper nicht viel einbilden auf eine solche Großzügigkeit. Auch er weiß: In der gewerblichen Immobilienfinanzierung stehen deutsche Banken unter enormem Druck. Institute, die weiter mitmischen oder gar wachsen wollen, müssen schneller sein als die Konkurrenz, bessere Konditionen bieten, höhere Kredite vergeben und oft bereit sein, auch gewagtere Investments zu finanzieren.
„Wir sehen, dass zunehmend höhere Risiken eingegangen werden zu Konditionen, die wir gemessen an den Risiken nicht mehr für vertretbar halten“, beklagte kürzlich Detlef Hosemann, Vorstand bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Da immer mehr Geld in Immobilien fließe, seien die Preise für Kredite im Sinkflug und „risikoreichere Strukturen“ auf dem Vormarsch.
Das weckt böse Erinnerungen. Vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 waren einige deutsche Banken stark im Geschäft mit gewerblichen Immobilienkrediten aktiv. Mit fatalen Folgen. Anbieter wie die Münchener Hypo Real Estate und die Commerzbank-Tochter Eurohypo gerieten in den Strudel der Krise und mussten abgewickelt werden.
Auch heute gehen viele Banken im Immobiliengeschäft wieder sehr aggressiv vor, berichten Marktteilnehmer – und nennen häufig die Namen ING-Diba, Postbank und HSH Nordbank. Die Postbank erklärte dazu, sie biete ihren Kunden „bei einem vorhandenen niedrigen Risikofundament faire Konditionen“. Der Leiter Immobilienkunden bei der HSH, Peter Axmann, sagte dem Handelsblatt, das Institut mache nur qualitativ vernünftige Geschäfte. „Wir gehören zu den wenigen Banken, die ihre Kreditstandards verschärft haben.“
Einig sind sich die meisten in der Branche jedoch, dass Risiken steigen und die Gewinnmargen für Banken sinken. Grund ist der harte Wettbewerb. Er sei „derzeit so hoch wie noch nie“, sagt Andreas Pohl, Vorstandsvorsitzender der NordLB-Tochter Deutsche Hypo. Das liege auch an neuen Marktteilnehmern. Denn neben klassischen Geldhäusern finanzierten inzwischen auch immer mehr Versicherungen, Versorgungskammern und Pensionskassen den Kauf von Bürotürmen, Einzelhandelsgebäuden, Lagerhallen, großen Wohnungskomplexen oder Hotels – und das in ganz Europa.
So stemmte erst kürzlich Allianz Real Estate, die Immobilientochter des größten europäischen Versicherers, einen 300-Millionen-Euro-Kredit für den Ankauf eines Bürohauses im Pariser Geschäftsviertel La Défense. Darlehensnehmer ist Oxford Properties, eine Tochter des kanadischen Pensionsfonds Omers, der die Altersversorgung der öffentlichen Angestellten im Bundesstaat Ontario organisiert. Zudem kaufen die Kanadier dem koreanischen Pensionsfonds NPS das Berliner Sony Center ab – für 1,1 Milliarden Euro.
Konkurrenz kommt auch von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die früher stärker auf Privatkunden spezialisierten Institute mischen heute ebenfalls bei Kreditvolumina um 25 Millionen Euro mit – und schließen sich bei größeren Tickets zusammen. Jüngstes Beispiel: Die Berlin Hyp finanzierte bestehende Kredite der Berliner Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG) in Höhe von gut einer halben Milliarde Euro. Zumindest Teile der Finanzierung will die Pfandbriefbank im Sparkassenverbund über Schuldscheindarlehen an verschiedene Institute weiterreichen, bestätigte die Berlin Hyp.
Die Bankenaufsicht hat den harten Wettbewerb im Immobilien‧geschäft schon seit längerem im Blick. „In Deutschland ist es schwer, das Risiko mit einer angemessenen Prämie in Einklang zu bringen“, betont ein Aufseher. Branchenweit seien die eingegangenen Risiken derzeit aber noch nicht so hoch, als dass die Regulierer unruhig würden.
Pure Zufriedenheit herrscht – kein Wunder – unter Kreditnehmern. „Deutschland bietet paradiesische Zustände für alle, die derzeit Immobilienkredite suchen“, sagt Roberto Carrera, der bei Lasalle Investment Management, einem weltweit führenden Immobilieninvestmentspezialisten, die Finanzierung der europaweiten Immobilienengagements verantwortet. Es gebe nicht nur ausreichend Finanzierungen, sondern diese auch zu einem sehr guten Preis. Was das konkret heißt, erklärt Curth-C. Flatow, geschäftsführender Gesellschafter von Flatow Advisory Partners (FAP). Die 2005 gegründete Gesellschaft berät Großinvestoren und Projektentwickler in Fragen der Immobilienfinanzierung. Bei einem fertigen Gebäude zahlten Kunden bei einer bestimmten Besicherung aktuell eine Kreditmarge zwischen 100 und 130 Basispunkten auf den Dreimonats-Euribor, erläutert der Experte. Dieser Referenzzinssatz wird üblicherweise als Basiswert zur Berechnung der Finanzierungskondition herangezogen – er ist gewissermaßen der Einkaufspreis, den Banken für Kapital zur Kreditvergabe zahlen. Aktuell liegt er bei minus 0,33 Prozent. Noch vor einem Jahr verlangten Banken Aufschläge, die 30 bis 50 Basispunkte höher lagen.
In vielen europäischen Ländern springt der Jobmotor an, in Deutschland läuft er schon rund. Davon profitieren Bürovermieter. Entsprechend positiv fällt der diesjährige Büromarktindex für 20 europäische Städte aus.
Trotz des margenschwachen Geschäfts fahren aber erst wenige Institute ihr Kreditengagement zurück – wie etwa die Helaba. Im Immobilienbereich, der wichtigsten Sparte des Instituts, sank das Abschlussvolumen im mittel- und langfristigen Kreditgeschäft im ersten Halbjahr um 14 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro. Auch die auf Immobilienfinanzierung spezialisierte Aareal Bank will sich noch stärker auf das deutlich margenstärkere Geschäft der Immobilienfinanzierung im Ausland konzentrieren.
Andere Institute machen weiter wie bisher – oder weiten das Kreditgeschäft sogar aus: So hat die Landesbank Baden-Württemberg im ersten Halbjahr 2017 rund 3,4 Milliarden Euro neue Kredite für gewerbliche Immobilien vergeben – immerhin 100 Millionen Euro mehr als im Vergleichszeitraum 2016. Am Ende dieses Jahres soll das Neugeschäftsvolumen bei sechs bis sieben Milliarden Euro liegen – und damit mindestens so hoch wie im Vorjahr.
Angesichts der gesunkenen Margen füllen sich daher die Bücher vieler deutscher Immobilienfinanzierer mit ertragsschwachem Kreditgeschäft. Kommt es zur Zinswende, droht Ungemach: Denn Banken müssen für die kurzfristige Refinanzierung der Kredite dann mehr zahlen.
Dennoch wird das Risiko in der Branche gerne kleingeredet: Die sonstigen Finanzierungskriterien seien schließlich nicht oder kaum gelockert worden. „Tatsächlich setzt sich der Preis und damit auch das Risiko eines Kredits aus mehreren Faktoren zusammen“, erläutert Lasalle-Manager Roberto Carrera. Mindestens so wichtig wie die Zinsmarge sei, wie viel Eigenkapital die Bank vom Kunden verlange und welche Pflichten ihm die Bank für den Fall auferlege, dass Mieteinnahmen sinken oder sich der Wert der Immobilie signifikant verringert. „Hier sehen wir eklatante Unterschiede bei Finanzierungsangeboten, die auf unserem Tisch landen“, sagt FAP-Chef Flatow.
Noch am geringsten sind die Unterschiede, wenn es um die Anforderung nach Eigenkapital geht: Zwischen 70 und 75 Prozent des von der Bank taxierten Immobilienwerts werde aktuell finanziert – 25 bis 30 Prozent verlangt die Bank also als Eigenkapitalpuffer. Das ist zwar weniger als vor zwei oder drei Jahren – aber immer noch ausreichend, meint Sebastiano Ferrante, Leiter des Deutschland- und Italien-Geschäfts bei PGIM Real Estate. Der Immobilien-Asset-Manager des Finanzdienstleisters Prudential Financial ist mit rund 66 Milliarden Dollar Immobilienkapital weltweit einer der größten Investoren in dieser Asset-Klasse. Für die Eigenkapitaldisziplin der Banken gebe es einen Grund, so Ferrante: „Wir stellen fest: Gerade im Finanzierungsbereich wirkt die strengere Regulierung.“ Tatsächlich ist man heute von Finanzierungen von über 90 Prozent des Immobilienwerts, wie sie in den Jahren vor der Finanzkrise fast üblich waren, weit entfernt, bestätigt auch Lasalle-Experte Carrera.
Großstädte boomen. Das führt nicht nur zu Engpässen bei Wohnungen, sondern auch bei Gewerberäumen. Firmen fühlen sich ausgebremst – sie spüren die wachsende Konkurrenz des boomenden Wohnimmobilienbaus deutlich.
Die Branche sollte sich deshalb aus Sicht von Experten aber nicht in Sicherheit wiegen. Gefahr drohe aus einer anderen Richtung. Denn noch hält der Boom auf dem deutschen Gewerbeimmobilienmarkt an. Das Maklerhaus JLL erwartet in diesem Jahr 53 Milliarden Euro Umsatz auf diesem Markt, so viel wie im Vorjahr. Und die Experten schließen nicht aus, dass der Rekordwert von 55 Milliarden Euro aus dem Jahr 2015 noch überboten wird. Die überbordende Nachfrage treibt die Kaufpreise und parallel die Bewertungen von Bestandsimmobilien. Wenn aber die Nachfrage der Käufer schwächer wird – etwa weil die Zinsen steigen oder vergleichbar sichere Anlagealternativen wie Anleihen für Investoren wieder attraktiver werden – dann ist das Rückschlagpotenzial für die Immobilienbranche hoch.
Das hätte auch für viele Banken fatale Folge: Denn wenn die Kaufpreise am Markt sinken, müssten Institute die von ihnen finanzierten Immobilien neu taxieren. Sinkt deren Buchwert, steigt bei gleichbleibender Höhe des Kredits die sogenannte Beleihungsquote – also der über Schulden finanzierte Anteil des Immobilienwerts. Übersteigt diese Quote eine bestimmte Marke, müssen die Kreditnehmer Eigenkapital nachschießen. Tun sie das nicht, haben die Banken in der Regel Zugriff auf die Mieteinnahmen. Doch wenn dadurch nicht genug zu holen ist, müssen die Banken für den dann ausfallgefährdeten Kredit Risikovorsorge bilden. Bernhard Berg, Sprecher der Geschäftsführung des Immobilienvermögensverwalters Corpus Sireo Holding, beobachtet die Situation mit Sorge: „Die Frage ist, ob die Eigentümer dann so stark sind, dass sie Eigenkapital nachschießen können.“
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