Mit einem Plus von 45,8 Prozent sind die Erzeugerpreise im August so stark gestiegen wie noch nie. Ökonomen zeigen sich überrascht: „Das alles verheißt nichts Gutes für die Inflation.“
Nahrungsmittelproduktion
Die hohen Energiepreise haben dafür gesorgt, dass Nahrungsmittel im August um durchschnittlich 22,3 Prozent teurer waren als im Vorjahr.
Bild: dpa
Frankfurt Die deutschen Hersteller haben ihre Preise im August wegen enorm hoher Öl-, Gas- und Stromkosten überraschend in einer nie da gewesenen Stärke angehoben. Die Erzeugerpreise stiegen um durchschnittlich 45,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte.
Dies ist der höchste Anstieg seit Beginn der Statistik im Jahr 1949. Damit wurde der erst im Juli erreichte bisherige Rekordwert von 37,2 Prozent weit übertroffen. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten für August mit einem Rückgang auf 37,1 Prozent gerechnet.
Ökonomen zeigten sich überrascht von den Zahlen. „Ein unfassbarer Preishammer“, kommentierte LBBW-Volkswirt Jens-Oliver Niklasch die Entwicklung. „Das alles verheißt nichts Gutes für die Inflation. Sie ist gekommen, um zu bleiben.“ Die Produzentenpreise gelten als Vorläufer für die Entwicklung der allgemeinen Inflation.
Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen führt den Anstieg vor allem auf einen neuerlichen Schub bei den Energiepreisen zurück. Diese legten gegenüber dem Vormonat um über 20 Prozent zu, im Vergleich zu August 2021 sogar um 139 Prozent. Dies lasse für die kommenden Monate noch einmal höhere Werte bei der Inflation erwarten.
Die Bundesbank geht in ihrem aktuellen Monatsbericht davon aus, dass die Inflation in Deutschland „in den nächsten Monaten in den zweistelligen Bereich vorrückt“. Das Münchener Ifo-Institut rechnet damit, dass die Teuerungsrate im ersten Vierteljahr 2023 elf Prozent erreichen könnte.
Als Ursache sehen die Experten des Instituts die steigenden Energiepreise. Diese schlagen in der Regel erst schrittweise auf die Inflation durch, weil zum Beispiel die Strom- und Gaspreise für Haushalte erst mit der Zeit angepasst werden. Oft erfolgt dies zum Jahresbeginn. In diesem Jahr könnte es aber bereits im Oktober einen Preisschub geben, wenn die geplante Gasumlage eingeführt werden sollte.
Im August lag die Inflationsrate in Deutschland bei 7,9 Prozent. Für einen weiteren Anstieg der Inflation spricht außerdem, dass diese zuletzt durch den Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket gedämpft wurde. Die Maßnahmen sind nun ausgelaufen. Auch für den gesamten Euro-Raum rechnen viele Ökonomen bald mit zweistelligen Werten.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist in einer schwierigen Lage, weil sie zum Beispiel die Energiepreise kaum beeinflussen kann. Diese sind aus Sicht der meisten Experten hauptsächlich auf Angebotsengpässe wie den Ausfall russischer Gaslieferungen zurückzuführen.
Eine Gefahr besteht darin, dass der aktuelle Preisschub die Inflationserwartungen in die Höhe treibt – und die Preisentwicklung so eine starke Eigendynamik bekommt.
In den vergangenen Wochen betonten Notenbankvertreter, wie wichtig es in der aktuellen Situation sei, die Glaubwürdigkeit zu bewahren. „Wenn Bürger und Unternehmen nicht mehr daran glauben, dass die Zentralbank in der Lage sein wird, die Inflation innerhalb von eineinhalb oder zwei Jahren zu senken, dann wird die Situation sehr kompliziert, weil sofort Zweitrundeneffekte auftreten“, sagte etwa EZB-Vizechef Luis de Guindos.
Als ein Warnsignal gilt zum Beispiel, dass die von der Bundesbank erhobenen Inflationserwartungen privater Haushalte in Deutschland deutlich gestiegen sind. Im August lagen diese für die nächsten zwölf Monate bei 7,6 Prozent. Dies ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebung 2019. Die im Durchschnitt der nächsten fünf Jahre erwartete Inflation stieg leicht auf 5,6 Prozent. Damit übertraf sie bereits zum fünften Mal in Folge die Fünf-Prozent-Marke.
Vor allem, um die Inflationserwartungen im Euro-Raum zu stabilisieren, hat die EZB die Leitzinsen zuletzt deutlich angehoben. Im Juli erhöhte sie diese um 0,5 Prozentpunkte und Anfang September um weitere 0,75 Prozentpunkte. Aktuell liegt der Leitzins bei 1,25 Prozent. Der Zins, den Banken für ihre Einlagen bei der EZB bekommen, notiert bei 0,75 Prozent. Auch für die kommenden Monate rechnen Ökonomen mit weiteren Schritten nach oben.
>> Lesen Sie auch: Das Schlimmste bei der Inflation steht uns noch bevor – ein Kommentar
Auf ihrer Pressekonferenz nach der Ratssitzung im September sprach EZB-Chefin Christine Lagarde ausdrücklich von „mehreren Anhebungen“, die noch bevorstehen. Sie wollte sich nicht genau festlegen, auf wie viel der folgenden Sitzungen weitere Schritte nach oben anstehen, stellte aber eine Zahl von eins bis vier in den Raum.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs erwartet für dieses Jahr weitere Erhöhungen um 0,75 Prozentpunkte im Oktober, einen halben Prozentpunkt im Dezember und einen Viertelprozentpunkt im Februar nächsten Jahres. Ob es dazu kommt, hängt aber stark davon ab, wie sich Inflation und Wirtschaft weiterentwickeln.
Der drastische Anstieg der Gaspreise erhöht die Inflation. Gleichzeitig dürfte er die Wirtschaft deutlich bremsen. Viele Ökonomen rechnen inzwischen für nächstes Jahr mit einer Rezession in Deutschland – was den Preisdruck mittelfristig wieder dämpfen könnte.
Commerzbank-Ökonom Solveen sieht auch positive Aspekte in den aktuellen Zahlen zu den Produzentenpreisen. So habe die Preisdynamik abseits von der Energie weiter abgenommen.
Vor allem die Preise für Vorleistungsgüter veränderten sich gegenüber Juli im Schnitt kaum, nachdem sie lange Zeit neben den Energiepreisen die Haupttreiber des Anstiegs der Erzeugerpreise gewesen waren.
„Hier macht sich bemerkbar, dass viele Rohstoffpreise nicht mehr weiter gestiegen oder sogar gefallen sind“, sagt Solveen. „Dies macht Hoffnung, dass auch bei den Verbraucherpreisen in einigen Monaten der Hochpunkt der Inflation erreicht wird.“
Erstpublikation: 20.09.22, 08:46 Uhr (aktualisiert: 20.09.22, 14:04 Uhr).
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Kommentare (16)
Account gelöscht!
20.09.2022, 10:11 Uhr
Was hammer die Türkei ausgelacht mit 80 % Inflation. Kommt bei uns auch, zumindest fast, wenn die Erzeugerpreise zum Verbraucher durchschlagen. Und das kann man ja nicht verhindern, oder die Handelsunternehmen gehen Pleite, weil sie nicht mal die Erzeugerpreise erzielen können.
Und das alles wegen diesen Sanktionen, durch die Russlands Krieg ja eigentlich schon lange zu Ende sein sollte.
Herr Chefvolkswirt der LBBW, die Inflation "ist gekommen um zu bleiben" ?? Die hohen Preise vielleicht, aber die Preissteigerungsrate, landläufig Inflation, wird später mal, ab einem bestimmten Level, auf Null gehen oder wieder rückwärts. Sollte man als Chefvolkswirt eigentlich unterscheiden können.