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20.07.2022

04:00

Twitter gegen Elon Musk

Warum der Prozess um die Twitter-Übernahme auch eine Gefahr für die Tesla-Aktie ist

Von: Felix Holtermann, Andreas Neuhaus

Elon Musks Twitter-Offerte strapaziert die Nerven der Anleger. Unter bestimmten Voraussetzungen könnten sogar die Tesla-Aktien noch stärker unter Druck geraten.

Während Twitter-Anleger auf eine Übernahme von Elon Musk hoffen sollten, wäre für Tesla-Aktionäre das Gegenteil gut. Reuters

Twitter-Logo und Tesla-Auto

Während Twitter-Anleger auf eine Übernahme von Elon Musk hoffen sollten, wäre für Tesla-Aktionäre das Gegenteil gut.

New York, Düsseldorf Es ist einer der kuriosesten Übernahmepoker aller Zeiten: Erst wollte Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter übernehmen. Dieser lehnte zunächst ab. Nachdem Twitter doch zugestimmt hatte, wollte der Tesla-Chef nicht mehr. Nun will der Social-Media-Dienst den reichsten Menschen der Welt vor Gericht zur Übernahme zwingen.

Wie sollen sich Aktionäre von Twitter und Tesla nun positionieren? Das Handelsblatt hat mit Analysten, Investoren, Bankern sowie Juristen gesprochen und verschiedene Szenarien für den Ausgang des Prozesses durchgespielt. Die Situation ist komplex und rechtlich heikel, nur wenige wollen sich öffentlich dazu äußern.

Was sich allerdings zeigt: Nicht nur das Schicksal der Twitter-Aktie hängt von dem Prozess ab. Auch für die Tesla-Aktie besteht ein Risiko. Folgend finden Sie die Antworten auf die drängendsten Fragen.

Worum geht es in dem Prozess Twitter gegen Elon Musk?

Im Bundesstaat Delaware verhandelt der Court of Chancery, ein traditionsreiches Gericht für Unternehmensstreitigkeiten, über den Kauf von Twitter durch Elon Musk. Dieser hat im April einen rechtlich bindenden Vertrag zum Kauf des Kurzmitteilungsdienstes für 54,20 Dollar pro Aktie – insgesamt 44 Milliarden Dollar abgeschlossen.

Mitte Mai erklärte Musk, der Twitter-Deal sei „pausiert“ – offiziell, weil der Kurzmitteilungsdienst ihm nicht die nötigen Informationen zur Anzahl von Fake-Accounts gegeben haben soll. Der Twitter-Verwaltungsrat geht dagegen vor und klagt am juristischen Hauptsitz in Delaware gegen Musk.

Twitter strebt eine schnelle Klärung und pochte auf eine Verhandlung im September. „Millionen von Twitter-Aktien werden täglich unter einer Wolke von durch Musk geschaffenen Zweifeln gehandelt“, erklärte das Unternehmen Anfang der Woche. Musk wiederum bat um einen Verhandlungstermin im Februar. Am Dienstagabend entschied ein US-Richter, dass der Prozess im Oktober beginnen soll.

Worauf kommt es in dem Prozess an?

Jacob S. Frenkel, Jurist bei der Washingtoner Kanzlei Dickinson Wright und Ex-Regulierer der US-Börsenaufsicht SEC, sieht beide Seiten unter starkem Druck. „Twitter kämpft für zwei Ziele: zunächst die gerichtliche Durchsetzung des Kaufvertrags. Kommt es dazu nicht, dann soll Musk zumindest die Auflösungsgebühr bezahlen.“

Diese liegt bei einer Milliarde Dollar. Es ist die vereinbarte Strafe, wenn eine der beiden Parteien unter bestimmten Voraussetzungen vom Kaufvertrag zurücktritt. Musk will sie nicht bezahlen – und beruft sich darauf, von Twitter getäuscht worden zu sein.

„Musk vertritt den Standpunkt, dass Twitter seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Er wird darauf plädieren, dass der Vertrag nicht gültig ist, sodass ihm keine Verpflichtungen erwachsen“, sagt Frenkel. „Hilfsweise dürfte er dafür plädieren, dass die Anstrengungen von Twitter, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, nicht ausreichend waren, um die Zahlung der Auflösungsgebühr zu rechtfertigen.“

Wie das Verfahren ausgeht, will Frenkel nicht prognostizieren. „Der Teufel steckt im Detail. Viele geben aktuell ihre Meinung zum Fall ab, die vor allem davon abhängt, ob sie Twitter oder Musk mögen oder nicht. Das hat jedoch nichts mit der Realität in einem Gerichtssaal vor einem unparteiischen Richter zu tun. Interessant wird, welche Informationen im Lauf des Verfahrens ans Licht kommen.“

Welche Prozessergebnisse sind möglich?

Josh Warner, Analyst beim Handelshaus City Index, sieht drei mögliche Prozessresultate. Die erste Möglichkeit: Das Gericht verdonnere Musk dazu, Twitter zum ursprünglich vereinbarten Preis zu kaufen – also eine Firma zu übernehmen, die er gar nicht will.

Die zweite und laut Warner wahrscheinlichere Möglichkeit: „Das Gericht bleibt bei der ursprünglichen Verabredung und Musk kann sich für eine Milliarde Dollar aus dem Vertrag freikaufen. Das sehe ich als eine Art Minimalergebnis.“

Musk dürfte Warner zufolge darauf hoffen, dass Twitter im Zuge des Gerichtsverfahrens weitere Details zu seinem Bot-Problem offenlegen muss. „Es wird interessant sein, wie der Gerichtshof zu seinem Hauptargument steht, hier getäuscht worden zu sein. Schließlich hat er seinen Kauf ursprünglich auch mit dem Kampf gegen das Bot-Problem begründet.“

Reuters

Elon Musk

Ein anderes Argument Musks könnte sein, dass das Twitter-Management seit dem Kaufangebot Entlassungen und Umstrukturierungen vorgenommen hat, zu denen er nicht angehört worden sei, und sich die Situation damit geändert habe. „Das ist das aussichtsreichere Argument“, glaubt Warner.

Wichtig ist: Das Verfahren könnte sich Frenkel zufolge, wenn es in die nächste Instanz gehe, erheblich in die Länge ziehen. „Es ist allgemein bekannt, dass die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in Delaware Jahre dauern kann.“

Daher sei es möglich, dass beide Seiten nach einem ersten Urteil oder bereits während der Verhandlung einen Kompromiss schließen. Das wäre die dritte Möglichkeit für den Prozessausgang.

Ein vierter, theoretischer Ausgang wird von kaum einem Beobachter als realistisch eingeschätzt: Dass das Gericht Musk umfassend recht gibt und er ohne Strafzahlung vom Deal zurücktreten kann.

Worauf sollten Twitter-Aktionäre hoffen?

Analyst Warner meint: „Twitter-Aktionäre müssen darauf hoffen, dass es zum ursprünglichen Deal kommt.“ In diesem Fall müsste Elon Musk Twitter zum Preis von 54,20 Dollar pro Aktie übernehmen. Das ist ein Aufschlag von knapp 40 Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs von rund 39 Dollar.

Auf dieses Szenario hofft beispielsweise die Investment- und Research-Firma Hindenburg, die in der vergangenen Woche bekannt gab, bei Twitter auf steigende Kurse zu setzen.

Eine Neuverhandlung des Preises wäre dagegen mit großen Unsicherheiten behaftet, erklärt Warner. In diesem Szenario ist es sicher, dass der Preis pro Aktie unter den ursprünglich vereinbarten 54,20 Dollar liegt.

Sollte im Zuge des Gerichtsverfahrens etwa herauskommen, dass deutlich mehr als fünf Prozent der Accounts Bots seien, sei das ein großes Problem für das Unternehmen, sagt Warner. „Dann hätte Twitter seine Nutzerzahl über Jahre zu hoch angegeben.“ Und das würde der Glaubwürdigkeit der Plattform weiter schaden. Warner erwartet, dass das Twitter-Management hier vor Gericht eine „harte Linie“ fährt, was die Chancen für eine Einigung senkt.

Was Twitter in die Hände spielen könnte: Laut US-Spekulationen soll der Richter, der am Delaware Court of Chancery den Vorsitz führen wird, in der Vergangenheit unwillige Käufer zum Vollzug ihres ursprünglichen Übernahmeversprechens verdonnert haben.

Der Markt geht derzeit aber nicht davon aus. Zu sehen ist das an den mehr als 15 Dollar Abstand des aktuellen Kurses zum ursprünglichen Angebotspreis. Je stärker der Kurs in Richtung des Angebotspreises steigt, desto mehr wird die Wahrscheinlichkeit eingepreist, dass Musk Twitter zum ursprünglichen Angebot kaufen muss. Kommt es zu einem Kompromiss, bei dem Musk Twitter zu einem niedrigeren Preis übernimmt, hinge von dem Kaufpreis auch die weitere Kursentwicklung ab.

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Hindenburg sieht aber auch in diesem Fall Aufwärtspotenzial bei der Twitter-Aktie und erklärt auf Anfrage: Sie gehen davon aus, dass Musk entweder kaufen oder erheblichen Schadenersatz zahlen muss. „In allen oben genannten Szenarien sehen wir, dass Twitter deutlich über dem aktuellen Niveau handelt.“

Ohne die Fantasie einer Übernahme gäbe es deutliches Abwärtspotenzial. „Wenn Twitter verliert, sehen wir den fairen Wert im mittleren 20er-Bereich“, schreibt Hindenburg Also rund um die Marke von 25 Dollar.

Was bedeutet der Prozess für die Tesla-Aktie?

Solle Musk Twitter übernehmen müssen, würde das aber nicht nur den Twitter-Kurs bewegen, sondern könnte negative Auswirkungen auf die Tesla-Aktie haben. Der 51-Jährige hat sich verpflichtet, für den Twitter-Kauf eigene Mittel von bis zu 21 Milliarden Dollar einzubringen. Der Rest soll aus anderen Finanzquellen kommen.

Zwar ist Musk mit einem geschätzten Vermögen von rund 240 Milliarden Dollar immer noch der reichste Mann der Welt. Liquide ist Musk aber nicht. Sein Vermögen besteht fast ausschließlich aus Anteilen an Tesla und seiner Weltraumfirma SpaceX.

Seit Bekanntgabe des Twitter-Deals hat die Tesla-Aktie rund ein Viertel an Wert verloren. Zu Beginn dieser Abwärtsbewegung verkaufte er Anteile im Wert von rund 8,5 Milliarden Dollar – mutmaßlich, um den Deal zu finanzieren. Bislang ist nicht bekannt, ob bei Musk die vollständige Finanzierung einer möglichen Übernahme besteht.

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Hindenburg prognostiziert: „Wenn Musk verliert oder den Rechtsstreit beilegt und den Deal abschließt, muss er wahrscheinlich weitere Tesla-Aktien verkaufen, um den Kauf zu finanzieren.“ Das wiederum würde den Druck auf die Tesla-Aktie weiter erhöhen.

„Angesichts dieser Tatsache ist der Verkauf von Milliarden von Tesla-Aktien in einem Marktabschwung zu Beginn einer Rezession ein gefährliches Unterfangen. Trotz aller Aufmerksamkeit für den Deal scheint der Markt diese Probleme zu ignorieren oder unterzubewerten“, erklärt Hindenburg.

Tatsächlich wird der Gerichtsprozess in den aktuellen Studien von Analysten der US-Großbanken JP Morgan, Morgan Stanley und Goldman Sachs nicht als Risikofaktor aufgezählt. Ein Analyst, der namentlich nicht genannt werden will, sieht aber sehr wohl ein Kursrisiko bei Tesla. „Wenn Musk Twitter übernehmen muss, könnte es sein, dass er zur Finanzierung entweder weitere Aktien beleihen oder verkaufen muss. Beides hätte einen negativen Einfluss auf den Kurs“, erklärt der Tesla-Aktien-Experte.

Der Analyst hält einen Vergleich oberhalb der Vertragsstrafe von einer Milliarde Dollar für die wahrscheinlichste Lösung. Das wäre für Musk aus seinen jüngsten Aktienverkäufen zu stemmen. Ähnlich sieht es offensichtlich der Markt. Auf die Nachrichten rund um die mögliche Twitter-Übernahme gibt es aktuell keine erkennbaren Marktreaktionen.

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