Dem Dax droht nun ein Absturz Richtung Jahrestief. Die Biontech-Aktie kann sich dagegen dem Markttrend entziehen. Gefragt sind zudem Anleihen.
Dax-Kurve
Wie sind die Perspektiven für den deutschen Leitindex?
Bild: Bloomberg Creative/Getty Images [M]
Düsseldorf Der Dax hat an diesem Donnerstag den schwärzesten Juni seiner Geschichte markiert: Der deutsche Leitindex ging 1,7 Prozent im Minus bei 12.784 Punkten aus dem Handel, das Tagestief lag bei 12.619 Zählern. Mit den heutigen Verlusten summiert sich der Rückgang im Frankfurter Börsenbarometer seit Monatsbeginn auf etwa elf Prozent. Nie zuvor hatte der Dax in einem Juni so stark verloren.
Das pan-europäisches Pendant, der EuroStoxx 50, verbuchte mit einem Abschlag von neun Prozent den größten Juni-Verlust seit 14 Jahren. Die Vermutung liegt nahe, dass viele Profianleger verkauft haben, damit ihre bereits miserable Halbjahresbilanz nicht noch negativer ausfällt. Zudem drückte die Gaskrise und der Ruf des Versorgers Uniper nach staatlicher Hilfe die Stimmung.
Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets meint: „Investoren beginnen angesichts der steigenden Zahl von einkassierten Ergebnisprognosen durch die Unternehmen damit, ihre Kaufmarken für Kurse, die sie als wieder günstig erachten, deutlich nach unten zu korrigieren.“ Unter diesem Gesichtspunkt seien Aktien selbst nach den jüngsten Kursverlusten nicht günstig.
Bereits am Mittwoch war der Dax bis auf 12.946 Punkte zurückgefallen, bevor er zum Handelsschluss die Marke von 13.000 Punkten letztlich doch noch knapp verteidigen konnte. Minus 1,7 Prozent und 13.004 Zähler standen zum Schluss der Sitzung auf der Anzeigentafel.
Zwei Wochen lang hatten die Bullen und die Bären am deutschen Aktienmarkt um diese psychologisch wichtige Marke von 13.000 Punkte gerungen – keine andere Zahl war zuletzt so lange so umkämpft. Doch die Marke ist nun passé. Nun besteht die Gefahr, dass der Dax auf das bisherige Jahrestief aus dem Monat März mit 12.438 Punkten fällt.
Für Martin Utschneider, technischer Analyst bei der Privatbank Donner & Reuschel, bleibt „der chart- und markttechnische Abwärtstrend weiter vorherrschend“. Für ihn ist das Momentum im Dax, also die Richtung und Dynamik der Bewegung, „tiefrot“.
Dabei gab es zuletzt vermehrt Indikatoren, die ein vorläufiges Ende der derzeitigen Kursverluste signalisiert hatten. Dazu zählt etwa die deutlich abgeschwächte Inflation in Deutschland im Juni. Auch die Handelsblatt-Umfrage Dax-Sentiment signalisierte eher eine Gegenbewegung.
Hinzu kommen ermutigende Konjunkturdaten aus China am Donnerstag. Mit dem Hochfahren der Wirtschaft steigen auch die Einkaufsmanagerindizes wieder an. Die Unternehmen blicken deutlich positiver in die Zukunft.
Sowohl der Einkaufsmanagerindex für den produzierenden Sektor als auch der für den Dienstleistungsbereich ist wieder über der Expansionsschwelle von 50. Für Thomas Altmann vom Investmenthaus QC Partners sendet „die Lokomotive der Weltkonjunktur damit ein ganz starkes Lebenszeichen“.
Entsprechend blicken Anleger voller Neid nach China. Dort ist der Schanghai Composite 300 Index seit dem Tiefpunkt Ende April um rund 19 Prozent gestiegen. Damit steht dieses Börsenbarometer kurz vor dem Eintritt in den Bullenmarkt, was ab einem Plus von 20 Prozent der Fall wäre.
Anders sieht es aus beim Dax aus: Das Barometer lag vor dem Handelsstart im Vergleich zu seinem Jahrestief bei 12.438 Punkten nur vier Prozent im Plus. Und nach der aktuellen Umfrage der Börse Frankfurt unter mittelfristig orientierten institutionellen Investoren und Privatanlegern, die vor dem Handelsstart veröffentlicht wurde, dürfte der Dax auch weiterhin in einem Bärenmarkt bleiben.
Nach Einschätzung von Joachim Goldberg, der die Umfrage auswertet, stecken die mittelfristig orientierten Profianleger in einer Zwickmühle: Die Positionen der Optimisten liegen noch deutlich im Minus, teilweise 1000 Punkte unterhalb des Einstandskurses. Die zwischenzeitlichen Kursgewinne reichten nicht aus, um größere Positionen zu verkaufen.
Die Situation wird zusätzlich durch das Ende des ersten Halbjahres an diesem Donnerstag verschärft. Dann werden neue Performance-Zahlen veröffentlicht, die über Zu- oder Abfluss von Anlegergeldern entscheiden.
Und die Pessimisten? Denen waren die Verluste in den vergangenen Wochen nicht groß genug. Entsprechend hat sich auch in der vergangenen Woche nur eine kleine Gruppe von Bären von ihren Short-Positionen getrennt.
Verhaltensökonom Goldberg bezweifelt, dass bei Dax-Verlusten in den kommenden Handelstagen die Bären ihre Short-Positionen auflösen, um den Leitindex zu stützen. Wenn Short-Positionen verkauft werden, wird wie beim Leerverkauf von Hedgefonds der Basiswert zurückgekauft.
Der Sentimentexperte befürchtet bei rückläufigen Kursen eher „Notbremsungen der Bullen“, also Verkäufe von Optimisten, die aus Angst vor weiteren Verlusten ihre Papiere auf den Markt werfen und damit die Kursverluste verschärfen.
Sollte es auf der anderen Seite zu einer Erholungsrally kommen, könnte der Dax durchaus fünf bis sechs Prozent steigen. Ausgangsbasis bei der Umfrage waren 13.100 Dax-Punkte. Ein Plus von fünf bis sechs Prozent würde einen Stand zwischen 13.755 und 13.886 Zählern ergeben. Für Goldberg wäre dies noch immer eine „normale“ Korrektur in einem übergeordneten Bärenmarkt.
Im Gegensatz dazu waren Anleihen wieder gefragt. Die Notierungen stiegen, im Gegenzug gaben die Renditen nach. Die von deutschen Anleihen mit kurzer Laufzeit fielen am Donnerstag auf den niedrigsten Stand seit über drei Wochen. Die zweijährige Rendite von Bundesanleihen, die am stärksten auf die Zinserwartungen reagiert, fiel auf 0,646 Prozent.
Die Renditen von zehnjährigen Bundesanleihen, die Benchmark für die Euro-Zone, fiel auf 1,3465 Prozent. Noch am gestrigen Mittwoch lag der Höchstwert bei 1,61 Prozent.
Für Antoine Bouvet von der ING-Bank wird „an den Märkten wird das Risiko einer Rezession immer stärker wahrgenommen, aber es gibt (am Donnerstag) nicht viele neue Schlagzeilen, die dies untermauern“.
Als weiteres Anzeichen für Rezessionsängste stieg der iTraxx Europe Crossover-Index, der die Kosten für die Versicherung des Engagements in europäischen Hochzinsanleihen von Unternehmen unterhalb der Investment-Grade-Kategorie misst, zum ersten Mal seit April 2020 über 600 Basispunkte. Zu Beginn des Monats hatte er noch bei 430 Basispunkten gelegen.
Profi-Investoren zahlen nun jährlich sechs anstatt 4,3 Prozent der Anlagesumme, um sich gegen einen Totalausfall abzusichern. Ein ähnlicher Index für Investment-Grade-Schulden ist ebenfalls stark angestiegen und hat mit 122 Basispunkten den höchsten Stand seit März 2020 erreicht.
Der Schweizer Franken wertet weiter auf. Der Euro notiert unter der Parität und kostet 0,997 Franken. Seit der Zinserhöhung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vor rund zwei Wochen hat die Schweizer Landeswährung deutlich zugelegt. Der Markt dürfte nun die Schmerzgrenze der SNB ausloten, sagte Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann. Diese hatte angekündigt zu intervenieren, sollte der Franken „übermäßig“ aufwerten.
Investoren werfen die Kryptowährung Bitcoin auf der Suche nach sicheren Anlagehäfen aus den Depots. Die Cyberdevise verbilligt sich um 4,4 Prozent auf ein Elf-Tages-Tief von 19.293 Dollar. Zu der Sorge um weiter steigende Zinsen gesellen sich die Probleme rund um den Krypto-Verleiher Celsius Network. Sollte sich die Talfahrt beschleunigen, droht ein Rutsch bis auf 14.000 Dollar, meint Analyst Timo Emden vom gleichnamigen Research-Haus.
Biontech: Das Mainzer Biotech-Unternehmen und sein US-Partner Pfizer haben einen milliardenschweren Auftrag von der US-Regierung erhalten. Der Vertrag für 105 Millionen Dosen Covid-19-Impfstoff sei 3,2 Milliarden Dollar schwer. Die an der US-Börse beheimatete Aktie steigt auf der Handelsplattform Xetra um 5,6 Prozent.
Uniper: Der Energieversorger steckt in Schwierigkeiten, hat seine Ergebnisprognosen für das laufende Jahr kassiert und spricht mit der Bundesregierung über Stabilisierungsmaßnahmen.
Die Aktie des MDax-Konzerns hatte zwischenzeitlich mehr als 24 Prozent verloren, am Abend lag das Minus bei 14,3Prozent.
SAP: Die Aktien gingen mit einem Minus von etwa 3,5 Prozent aus dem Handel. Belastend wirkte eine Abstufung durch die französische Investmentbank Exane BNP Paribas.
Gazprom: Die an der Moskauer Börse gelisteten Aktien brachen am Donnerstag um etwa30 Prozent ein, nachdem sich die Aktionäre des russischen Energiekonzerns gegen die Zahlung einer Rekorddividende entschieden hatten.
Das Gazprom-Board hatte die Ausschüttung einer Dividende von 52,53 Rubel vorgeschlagen, doch die Aktionäre legten auf der Jahresversammlung des Unternehmens ihr Veto ein.
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