Die Verbraucherpreise in der Euro-Zone haben im Mai weiter zugelegt. Die Europäische Zentralbank gerät vor ihrer Sitzung in der kommenden Woche unter Handlungsdruck.
Düsseldorf/Frankfurt Die Inflationsrate im Euro-Raum ist im Mai weiter gestiegen: Die Verbraucherpreise erhöhten sich um 8,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, wie das europäische Statistikamt Eurostat am Dienstag auf Basis einer ersten Schätzung mitteilte. Im April lag die Inflationsrate im Euro-Raum bei 7,5 Prozent.
Für Deutschland hatte das Statistische Bundesamt am Montag bereits einen Wert von 7,9 Prozent vermeldet. Allerdings unterscheidet sich die Berechnungsweise für Deutschland von der auf europäischer Ebene. Nach der dort üblichen Methodik liegt der Wert sogar bei 8,7 Prozent.
In den vergangenen Monaten ist die Inflation stetig höher ausgefallen als erwartet. Aktuell wird sie durch den Krieg in der Ukraine noch angeheizt, der vor allem die Energiepreise weiter nach oben treibt.
Energie war mit einem Preisanstieg von 39,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat der größte Preistreiber. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 9,2 Prozent und Dienstleistungen um 3,5 Prozent. Die um Energie- und Lebensmittelpreise bereinigte Kernrate lag bei 4,4 Prozent.
Der starke Preisanstieg bringt die Europäische Zentralbank (EZB) vor ihrer Sitzung in der kommenden Woche in eine noch schwierigere Position. Lange hatte die Notenbank darauf vertraut, dass die Inflation automatisch sinken würde, wenn Sondereffekte durch die Pandemie auslaufen. Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
„Das Inflationsproblem im Euro-Raum wird immer größer“, sagt Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. „Die heutigen Preisdaten erhöhen noch einmal den Druck auf die EZB, ihre ultraexpansive Geldpolitik zu beenden.“
Ähnlich sieht das auch die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib. Aus ihrer Sicht zeigt sich der Handlungsbedarf der EZB an den seit Kriegsbeginn deutlich über zwei Prozent gestiegenen Inflationserwartungen, die das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale erhöhen. Gemeint ist eine Situation, in der die Tarifparteien als Reaktion auf steigende Preise höhere Löhne vereinbaren und beide Faktoren sich gegenseitig verstärken. „Reagiert die EZB zu spät, wird es noch schwieriger, die Inflation wieder zu drücken“, sagt sie.
Zuletzt signalisierten führende Vertreter der Notenbank eine baldige Zinswende, um den Inflationsanstieg zu bremsen. „Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals zu beenden“, schrieb Notenbankchefin Christine Lagarde in der vergangenen Woche in einem Blogbeitrag.
Aktuell liegt der für die Geldpolitik entscheidende Einlagenzins noch bei minus 0,5 Prozent. Das heißt: Banken, die überschüssige Liquidität bei der Notenbank halten, zahlen dafür Minuszinsen. Viele Experten erwarten daher, dass die Notenbank im Juli und September den Zins um jeweils einen Viertelprozentpunkt anheben wird.
Einzelne Vertreter wie der österreichische Notenbankchef Robert Holzmann und sein niederländischer Amtskollege Klaas Knot haben auch eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt ins Spiel gebracht.
Allerdings hat EZB-Chefvolkswirt Philip Lane Erwartungen in diese Richtung gedämpft. Forderungen nach einer größeren Zinserhöhung um 50 Basispunkte würden diskutiert, sagte er in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der spanischen Zeitung „Cinco Días“.
„Aber unsere derzeitige Einschätzung der Lage, bei der wir davon ausgehen, dass die mittelfristigen Inflationsaussichten mit unserem Zwei-Prozent-Ziel übereinstimmen, spricht für ein schrittweises Vorgehen bei der Normalisierung.“
Lane gilt im EZB-Rat als Verfechter einer lockeren Geldpolitik. Frederik Ducrozet, Analyst beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet, erwartet angesichts der neuen Inflationszahlen, dass der Druck für einen Zinsschritt um einen halben Prozentpunkt im Juli nun zunehmen wird.
Nach dem ersten Zinsschritt könnten aber bald weitere Schritte in dieselbe Richtung folgen. So stellte Notenbankchefin Lagarde auch mittelfristig „eine schrittweise weitere Normalisierung der Zinssätze in Richtung des neutralen Zinssatzes“ in Aussicht. Damit ist das Niveau gemeint, wo die Zinsen die Wirtschaft weder stützen noch bremsen.
Ein Argument der Verfechter deutlicher Zinserhöhungen ist die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Zuletzt hatte EZB-Direktorin Isabel Schnabel im Interview mit dem Handelsblatt gesagt, dass es außer Zweifel stehe, dass höhere Lohnforderungen kommen würden, wenn die Inflation längere Zeit hoch bleibe. Die EZB müsse daher verhindern, dass sich die hohe Inflation in den Erwartungen festsetze.
Diese Gefahr dürfte vor allem in den Ländern bestehen, wo die Inflation besonders hoch ist. Im Euro-Raum sind das zum Beispiel die baltischen Staaten. Spitzenreiter war im Mai Estland mit einer Rate von 20,1 Prozent. Zweistellige Werte gibt es aber auch in den Niederlanden (10,2 Prozent) und Griechenland (10,7 Prozent). Am unteren Ende stehen Italien (7,3 Prozent) und Frankreich (5,8 Prozent).
Kontrovers diskutiert wird unter Ökonomen auch, wie es langfristig mit der Inflation weitergeht. In den Jahren nach der Finanzkrise waren die Preissteigerungen jahrelang niedriger als das von der EZB angestrebte Niveau von zwei Prozent. Dies führten Ökonomen unter anderem auf die Alterung der Gesellschaft zurück, die zu einer höheren Sparneigung führe. Als Musterbeispiel hierfür gilt Japan, wo die Inflation über Jahrzehnte extrem niedrig war und zuletzt auch deutlich weniger gestiegen ist als anderswo. Auch die Globalisierung und der digitale Wandel galten als preisdämpfend.
Inzwischen gibt es immer mehr Stimmen, die mit dauerhaft höheren Preissteigerungen rechnen. „Die Inflation wird nicht so einfach zum Niveau vor der Pandemie zurückkehren“, sagt der Chefvolkswirt der britischen Großbank Barclays, Christian Keller. Er verweist auf verschiedene strukturelle Gründe, die dagegensprächen. „Die Energiewende könnte zum Beispiel für längere Zeit preistreibend wirken, wie auch der Wunsch, Lieferketten zu regionalisieren und resilienter zu machen. Hinzu kommen auch höhere Staatsausgaben für Rüstung und Klimaschutz und der Fachkräftemangel.“
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