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31.08.2022

12:26

Preisentwicklung

Inflation im Euro-Raum steigt auf Rekordniveau – Bundesbank-Chef fordert „kräftige Zinsanhebung“

Von: Jan Mallien, Lisa Oenning

Die Verbraucherpreise in der Euro-Zone haben im August noch stärker zugelegt als im Vormonat. Damit wächst der Druck auf die EZB, die Zinsen nächste Woche stark zu erhöhen.

Die Preise in der Euro-Zone haben zuletzt kräftig zugelegt. IMAGO/photothek

Einkauf im Supermarkt

Die Preise in der Euro-Zone haben zuletzt kräftig zugelegt.

Frankfurt Die Inflationsrate im Euro-Raum ist im August weiter gestiegen. Die Verbraucherpreise legten im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,1 Prozent zu. Das gab das europäische Statistikamt Eurostat am Mittwoch bekannt. Dies ist der höchste Wert seit Beginn der Währungsunion. Im Juli hatte die Inflation bei 8,9 Prozent gelegen.

Der hohe Preisdruck im Euro-Raum setzt die Europäische Zentralbank (EZB) vor ihrer Sitzung am Donnerstag kommender Woche unter Druck. In den vergangenen Tagen haben mehrere Notenbanker die Bereitschaft zu einem großen Zinsschritt signalisiert.

Bis vor Kurzem hatten Investoren damit gerechnet, dass die EZB die Zinsen wie im Juli um 0,5 Prozentpunkte anheben wird. Inzwischen erwarten viele Experten sogar einen Mega-Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten. Die neuen Zahlen dürften den Befürwortern weitere Argumente liefern.

Dazu gehört Bundesbank-Präsident Joachim Nagel. „Für immer mehr Menschen wird die hohe Inflation zu einer enormen Belastung“, kommentierte er den Rekordwert. Es bestehe das Risiko, dass die Phase hoher Inflation noch länger anhalte und die aktuelle Teuerungswelle nur langsam abebbe. „Daher ist es dringend notwendig, dass der EZB-Rat bei seiner nächsten Sitzung entschlossen handelt, um die Inflation zu bekämpfen“, sagte Nagel. „Wir brauchen im September eine kräftige Zinsanhebung.“

Auch die Chefvolkswirtin der KfW-Bank, Fritzi Köhler-Geib, forderte ein konsequentes Vorgehen der Notenbank gegen die Inflation. Von einer Trendumkehr sei man noch weit entfernt. „Die unvermindert ansteigenden Nahrungsmittel- und Energiepreise dürften die Inflation im Euro-Raum in den letzten Monaten des Jahres auf über zehn Prozent drücken“, erwartet die Ökonomin.

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Diese Einschätzung teilen auch andere Experten. So geht auch Commerzbank-Ökonom Christoph Weil von einem weiteren Anstieg bis auf über zehn Prozent aus. Die EZB strebt mittelfristig einen Wert von zwei Prozent an. Davon hat sich die Inflationsrate seit Mitte vergangenen Jahres immer weiter entfernt.

Nach Berechnungen von Weil wird allein das Auslaufen des Neun-Euro-Tickets und des Tankrabatts in Deutschland Ende August die Rate im Währungsraum um 0,3 Prozentpunkte steigen lassen.

Hinzu dürfte in den kommenden Monaten ein weiterer Preisschub durch die Verteuerung von Gas kommen. Wegen der Liefereinschränkungen aus Russland sind die Marktpreise für Gas zuletzt extrem gestiegen. Diese werden aber in der Regel aufgrund langfristiger Lieferverträge erst schrittweise weitergegeben. In den kommenden Monaten werden sie voraussichtlich durch die Gasumlage in Deutschland und weitere Maßnahmen stärker auf die Verbraucher und die Inflation durchschlagen.

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Die Energiepreise sind derzeit der mit Abstand größte Preistreiber, sie legten im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um 38,3 Prozent zu. Wegen der Liefereinschränkungen aus Russland unterliegen sie momentan besonderen Schwankungen. „Es dreht sich alles um Energiepreise, und wir haben keine Ahnung, wie wir sie prognostizieren sollen“, sagte Frederik Ducrozet, Ökonom beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet.

Der dramatische Anstieg der Gaspreise bringt die EZB in eine noch schwierigere Situation. Denn er heizt die Inflation an, schwächt aber gleichzeitig die Wirtschaft. Dadurch steigt das Rezessionsrisiko. Das macht die Ausgangslage für die Notenbanker komplizierter: Zinserhöhungen würden die Konjunktur zusätzlich bremsen.

In den vergangenen Wochen haben hochrangige Notenbanker erklärt, dass für sie Preisstabilität dennoch Priorität habe.

Isabel Schnabel weckt Erwartungen auf großen Zinsschritt

Zuletzt weckte vor allem das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel die Erwartung eines großen Zinsschritts. In ihrer Rede auf der Notenbankerkonferenz im amerikanischen Jackson Hole sprach sie sich am Samstag dafür aus, dass die Notenbanken im aktuellen Umfeld „kraftvoll handeln“ müssten. Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau forderte ebenfalls einen „signifikanten Zinsschritt im September“.

Auch der niederländische Notenbankchef Klaas Knot sagte diese Woche, dass er einer Zinserhöhung um 0,75 Prozentpunkte zuneige. Er sei aber offen für Diskussionen. Der estnische Notenbankchef Madis Müller und sein lettischer Amtskollege Martins Kazaks sprachen sich ebenfalls dafür aus, über diese Größenordnung zu diskutieren.

In den baltischen Staaten ist die Inflationsrate momentan besonders hoch. So lag sie in Estland im August bei 25,2 Prozent, in Lettland bei 20,8 Prozent und in Litauen bei 21,1 Prozent. Am niedrigsten ist der Wert mit 6,5 Prozent derzeit in Frankreich.
Die französische Regierung hat unter anderem die Gaspreise für viele Verbraucher auf dem Niveau von Oktober 2021 einfrieren lassen und Strompreiserhöhungen per Gesetz begrenzt.

Dagegen liegen die Einkommen in den baltischen Staaten unter dem Durchschnitt der Euro-Zone. Das hat zur Folge, dass die Menschen dort einen größeren Teil für Grundbedarf wie Energie und Nahrungsmittel aufbringen müssen, wo die Preissteigerungen besonders extrem waren.

EZB-Chefvolkswirt Lane mahnt zur Vorsicht

Schnabel, Knot, Nagel und die baltischen Notenbankchefs gelten im EZB-Rat als Verfechter einer strafferen Geldpolitik. Diese haben sich in den vergangenen Tagen besonders laut zu Wort gemeldet.

Dagegen mahnte der prominenteste Verfechter einer lockeren Geldpolitik, EZB-Chefvolkswirt Philip Lane, zur Vorsicht. Er sprach sich für ein stetiges Voranschreiten auf dem eingeschlagenen Kurs der Zinserhöhungen aus. „Ein gleichförmiges Tempo – das weder zu langsam noch zu schnell ist – ist beim Schließen der Lücke hin zur Zins-Endrate aus mehreren Gründen wichtig“, betonte er. Diese Aussage lässt sich als Plädoyer gegen einen Mega-Zinsschritt verstehen.

Am 8. September berät der Rat der Notenbank über den weiteren Kurs in der Geldpolitik. dpa

Europäische Zentralbank

Am 8. September berät der Rat der Notenbank über den weiteren Kurs in der Geldpolitik.

Wie die Entscheidung der EZB nächste Woche Donnerstag ausfällt, dürfte auch deutlichen Einfluss auf die Entwicklung des Euro-Kurses haben. Dieser hat in den vergangenen Wochen mehrfach die Marke von einem Dollar je Euro unterschritten.

In der Regel stützen höhere Zinsen eine Währung. Einige Befürworter einer Zinserhöhung argumentieren, dass dies über einen stärkeren Euro-Kurs die Inflation schnell bremsen könnte.
Normalerweise brauchen Zinserhöhungen relativ lange, bis sie sich auf die Preisentwicklung niederschlagen. Im Falle des Wechselkurses ist die Wirkung jedoch schneller.

Rohstoffe wie Öl und Gas werden in Dollar berechnet. Daher verstärkt die Euro-Schwäche die Preissteigerungen dort. Wertet die europäische Währung hingegen auf, könnte dies die Preisentwicklung dämpfen.

Die Bedeutung des Euro-Kurses für die Inflationsentwicklung ist unter Ökonomen aber umstritten. Da die Euro-Zone eine große Volkswirtschaft ist, dürfte der Einfluss geringer sein als in kleinen Ländern, die viel Handel treiben.

Der Chefvolkswirt des Internationalen Bankenverbands (IIF), Robin Brooks, argumentiert, dass der schwache Euro fundamental gerechtfertigt sei, weil sich die Handelsbedingungen für Europa durch den starken Anstieg der Energiepreise deutlich verschlechtert hätten. Der Kontinent ist Nettoimporteur von Öl, Gas und anderen Rohstoffen. Der Preisanstieg bei diesen Gütern macht die Europäer daher insgesamt ärmer. In den USA dagegen, die ihren Bedarf weitgehend selbst decken, führt dies lediglich zu einer Umverteilung von Einkommen.

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