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31.10.2022

15:59

Preisentwicklung

Inflation im Euro-Raum steigt auf Rekordwert – Ökonomen erwarten weiteren Anstieg

Von: Jan Mallien

Die Verbraucherpreise in der Euro-Zone haben im Oktober stärker zugelegt als im Vormonat. Vor allem die Energiepreise treiben die Entwicklung.

Geld wird auf einem Wochenmarkt über eine Obst- und Gemüsetheke gereicht. dpa

Inflation

Geld wird auf einem Wochenmarkt über eine Obst- und Gemüsetheke gereicht.

Frankfurt Erst am Donnerstag verkündete Christine Lagarde eine weitere Jumbo-Zinserhöhung im Euro-Raum, nun setzen neue Inflationszahlen die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihre Ratskollegen erneut unter Druck. Im Oktober erhöhten sich die Verbraucherpreise in der Euro-Zone um 10,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das europäische Statistikamt Eurostat am Montag mitteilte. Das ist das höchste Niveau seit Einführung des Euros 1999. Im September hatte die Inflationsrate noch bei 9,9 Prozent gelegen. Ökonomen hatten im Vorfeld lediglich einen Wert von 10,2 Prozent erwartet.

Die Inflation liegt nun mehr als fünfmal so hoch wie der Zielwert der EZB von zwei Prozent. In der vergangenen Woche hob die Notenbank die Zinsen bereits um weitere 0,75 Prozentpunkte an. Zudem stellte EZB-Präsidentin Lagarde weitere Erhöhungen in Aussicht. Investoren interpretierten ihre Aussagen aber so, dass diese Schritte eventuell geringer ausfallen könnten als zuletzt. Die neuen Zahlen verschärfen nun den Druck auf die Währungshüter, die Zinsen weiter deutlich zu erhöhen. Zumal viele Ökonomen davon ausgehen, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten weiter steigen wird.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet etwa, dass sie „vermutlich ihren Höhepunkt erst im Dezember erreicht, wobei ein Wert von elf Prozent möglich ist“. Die US-Bank Goldman Sachs sieht in ihren Prognosen den Gipfel erst im Januar 2023 erreicht und rechnet dann mit einem Wert von 12,1 Prozent.

Der Zeitpunkt des Höhepunktes ist schwer zu prognostizieren, weil er stark davon abhängt, was die einzelnen Regierungen in Europa machen, um die Energiepreise zu dämpfen. In Deutschland zum Beispiel plant die Bundesregierung eine Preisbremse für Strom und Gas. Auch in anderen Ländern wie den Niederlanden sind Maßnahmen geplant. Die Entwicklung der Verbraucherpreise wird also maßgeblich dadurch beeinflusst, wie die Maßnahmen ausgestaltet werden und wann sie beginnen.

Die Energiepreise sind derzeit der mit Abstand stärkste Preistreiber. Sie schossen im Oktober um 41,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr in die Höhe. Im September hatte der Anstieg noch bei 40,7 Prozent gelegen. Die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak nahmen um 13,1 Prozent zu. Die Kerninflation, bei der besonders schwankungsanfällige Preise für Energie und Nahrung rausgestrichen werden, stieg von 4,8 auf fünf Prozent.

Die Commerzbank geht davon aus, dass die Inflationsrate bei einer Stabilisierung der Energiepreise im nächsten Jahr allmählich fällt. Aus ihrer Sicht wird sie aber weiter hoch bleiben. Viele Unternehmen hätten ihre höheren Produktionskosten noch nicht vollständig an die Verbraucher weitergegeben. Zudem sieht die Bank „Anzeichen für eine Verstärkung des Lohnauftriebs“.

Energiekosten treiben die Inflation

Etwas optimistischer ist der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Auch er erwartet einen weiteren „leichten Anstieg der Vorjahresrate in den kommenden Monaten, da die sehr hohen Energiekosten noch immer nicht voll bei Haushalten und Unternehmen angekommen sind“.

Zum Beispiel würden sich die höheren Energiekosten immer stärker auch auf andere Produktionsprozesse auswirken, weil alle Betriebe Energie bräuchten. Zudem sei damit zu rechnen, dass die Preise in einigen Branchen mit besonderer Personalknappheit und einem Post-Corona-Nachholbedarf wie Hotels und Restaurants zunächst weiter überdurchschnittlich steigen.

Grafik

Schmieding geht aber davon aus, dass sich der Trend im nächsten Jahr relativ schnell dreht. „Spätestens ab dem März 2023 dürfte es mit der Inflationsrate rapide bergab gehen.“ Als Grund sieht er vor allem einen statistischen Effekt. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres sind die Nahrungs- und Energiepreise stark gestiegen. Dadurch sind die Werte, mit denen die Preise ab März 2023 verglichen werden, relativ hoch. Entsprechend könnte der Zuwachs im Jahresvergleich dann niedriger ausfallen.

Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer plädiert angesichts der Inflationsentwicklung für weitere starke Zinserhöhungen. „Der Euro-Raum braucht im Dezember einen weiteren großen Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte.“ Dabei geht er davon aus, dass die aktuellen Prognosen der EZB zur Inflation zu optimistisch sind. Die Notenbank rechnet darin mit einer Inflationsrate von 9,2 Prozent im vierten Quartal. Krämer geht von einem Wert deutlich über zehn Prozent aus.

Die EZB steckt in einem Dilemma, weil der Wirtschaft im Euro-Raum aus Sicht vieler Ökonomen eine Rezession droht. Auch Notenbankchefin Lagarde hatte auf ihrer Pressekonferenz in der vergangenen Woche eingeräumt, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür gestiegen ist. Zinserhöhungen würden die Wirtschaft in dieser schweren Situation tendenziell weiter schwächen, weil höhere Finanzierungskosten eher dazu führen, dass Unternehmen und Haushalte weniger Geld ausgeben.

Zudem wirken sich höhere Zinsen in der Regel nur mit zeitlicher Verzögerung auf die Inflation aus. EZB-Vertreter betonten zuletzt, dass es ihnen bei den Zinserhöhungen vor allem darum geht, einen weiteren Anstieg der Inflationserwartungen zu verhindern. Dahinter steht die Sorge, dass bei steigenden Inflationserwartungen eine sich selbst verstärkende Spirale entsteht, bei der sich höhere Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln.

Inflation in Estland erreicht 22,4 Prozent

Nach der EZB-Sitzung am vergangenen Donnerstag haben sich bereits mehrere Ratsmitglieder zu weiteren Zinserhöhungen geäußert. Besonders deutlich war der niederländische Notenbankchef Klaas Knot. Er sprach sich für eine weitere Erhöhung um 0,5 oder 0,75 Prozentpunkte im Dezember aus. Knot gilt als Verfechter einer straffen Geldpolitik. Zudem liegt die Inflationsrate in den Niederlanden derzeit mit 16,8 Prozent im Oktober auch im europaweiten Vergleich besonders hoch. Spitzenreiter innerhalb des Euro-Raums sind die baltischen Staaten Estland (22,4 Prozent), Lettland (21,8 Prozent) und Litauen (22 Prozent). Vergleichsweise niedrig ist die Inflationsrate in Frankreich (7,1 Prozent) und Spanien (7,3 Prozent).

Der französische Notenbankchef Villeroy de Galhau äußerte sich zurückhaltender zum Umfang weiterer Zinserhöhungen. Ihm zufolge müssen die nächsten Schritte nicht unbedingt so hoch sein wie im September und Oktober.

Die meisten Experten erwarten, dass die weiteren Erhöhungen im Euro-Raum geringer ausfallen als im September und Oktober. Die Berenberg Bank sowie die US-Banken Goldman Sachs und Morgan Stanley rechnen für Dezember alle mit einer Anhebung um einen halben Prozentpunkt.

Unterschiedliche Einschätzungen haben sie dazu, wie es danach weitergeht. Berenberg erwartet im nächsten Jahr nur noch eine zusätzliche Erhöhung um einen viertel Prozentpunkt, Goldman Sachs rechnet mit zwei weiteren Erhöhungen um jeweils einen halben Prozentpunkt im Februar und März 2023.

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