3,5 Milliarden Euro haben Anleger der Investmentfirma P&R anvertraut. Viele glaubten, mit ihrem Geld neue Frachtcontainer zu erwerben. Doch tatsächlich waren manche Boxen uralt. Falls sie überhaupt existieren.
Düsseldorf „Erfolgreich, einfach und sicher“ sollte ein Investment in Seefrachtcontainer über den Anbieter P&R sein. So stand es in jedem Werbeflyer. Nun, da P&R Insolvenz anmelden musste, stellt sich heraus: Bei P&R hat über Jahre das blanke Chaos geherrscht. Anleger haben oft völlig andere Container im Portfolio, als sie gekauft hatten. Wenn ihre Behälter nicht sogar schon verschrottet sind.
Anhand einer Nummer lässt sich über das Internetportal der internationalen Registrierstelle BIC jeder Container verfolgen: Wo schippert er gerade, wann wurde er hergestellt? Nach der Pleite prüften P&R-Kunden nach und stellten schockiert fest: Ein Großteil der an sie verkauften Metallbehälter ist weit älter als zugesagt. Andere wiederum sind gar nicht mehr aufgelistet.
Die P&R-Pleite ist einer der größten Anlegerskandale in der bundesdeutschen Geschichte. Am 19. März dieses Jahres musste die von Heinz Roth gegründete Gruppe Insolvenz beantragen. 54.000 Anleger hatten dem Vertriebsriesen rund 3,5 Milliarden Euro anvertraut.
Überwiegend Kleinsparer kauften über Jahre und manchmal über mehrere Generationen hinweg immer wieder neue Container zu Preisen zwischen 2.000 und 3.000 Euro das Stück. P&R kümmerte sich über eine Schweizer Schwestergesellschaft, die P&R Equipment und Finance, um die Vermietung.
Nach fünf Jahren kaufte P&R die Metallkisten von den Anlegern mit einem Preisabschlag zurück. Während der Laufzeit bekamen die Sparer ansehnliche Mieten.
„Es war eine absolut sicher scheinende Sache“, sagt der 34-jährige Sascha Prehn (Name geändert), der schon seit 2006 immer wieder bei P&R Container gekauft hatte. Über 40 Stück besitzt er zumindest auf dem Papier, gut 100.000 Euro hat er investiert, fast seine gesamten Ersparnisse. „Die Mieten kamen pünktlich, die Rückzahlungen auch.“
Von der Pleite erfuhr Prehn während der Arbeit: „Da musste ich mich erst mal setzen.“
Seine Zertifikate hat Prehn nun dem Investmentexperten Stefan Loipfinger aus Rosenheim geschickt. Loipfinger hat die Papiere mehrerer Anleger untersucht. „Es war mühselig“, sagt der Finanzanalyst, „bei vielen Nummern fehlte die letzte Prüfziffer“. Sein Resultat: Bei den meisten Stichproben stimmte etwas nicht.
Ein Beispiel: Ab Mai 2016 bot P&R den Anlegern neue Container für 2.070 Euro das Stück an. Sie kosteten damals auf dem Weltmarkt nur rund 1.250 Euro. Einer der Anleger verlangte erst im Nachhinein im Jahr 2017 ein Zertifikat und bekam es auch. Die darin aufgelistete Containernummer gehört zu einem Behälter aus dem Jahr 2013. Der Kunde hatte also völlig überteuert gekauft und obendrein statt der versprochenen neuen Ware einen drei Jahre alten Gebrauchtcontainer für sein Geld bekommen.
Ein anderer Sparer hatte im August 2012 sechs angeblich neue 40-Fuß-Container zum Preis von je 4.945 Euro erworben. Das Investment von insgesamt knapp 30.000 Euro war praktisch wertlos. Die Behälter waren in Wahrheit bereits im Jahr 2000 gebaut worden und damit zwölf Jahre alt. Die Lebensdauer eines Containers beträgt 12 bis 15 Jahre.
Auch ein Mandant des Münchener Rechtsanwalts Peter Mattil hat sich die Mühe gemacht, seine bei P&R erworbenen Container nach Nummern aufzulisten. Die ersten zehn seiner über 70 Positionen langen Liste beziehen sich auf im Jahr 2015 als „neu“ gekaufte Behälter. Laut Internetportal wurden die Boxen aber allesamt 2002 in China hergestellt, sind heute also 16 Jahre alt.
Hinter einer weiteren Containernummer notierte der Investor: „am 3.10.2015 vor Vertragsbeginn verschrottet“. Ähnlich traurig: Bei mehr als einem Dutzend weiterer Boxen konnte er den Verbleib gar nicht mehr feststellen.
Finanzexperte Loipfinger erlebte weitere Überraschungen: Mehrere nachträglich ausgestellte Zertifikate beinhalteten Container, die so neu waren, dass es sie zum Kaufzeitpunkt noch gar nicht gab. Und: Fünf im Oktober 2015 verkaufte neue 20-Fuß-Container zu 2.190 Euro das Stück entpuppten sich mit 40 Fuß als doppelt so groß.
Die meisten Anleger aber dürften nie mehr erfahren, ob sie tatsächlich echte Container besitzen und welche es sind. 90 Prozent der P&R-Investoren haben sich kein Zertifikat geben lassen. Es wurde von P&R auch nur auf Nachfrage vergeben.
Nicht nur einzelne Container-Nachweise, auch die von der P&R-Gruppe bekannt gegebenen Zahlen erwecken starke Zweifel, ob die dem eingezahlten Geld entsprechenden Container gekauft wurden. So nennt der letzte Verkaufsprospekt der deutschen P&R Transportcontainer GmbH auf Seite 128 Verbindlichkeiten in Höhe von 317 Millionen Euro. Es seien Schulden gegenüber der Schweizer Containerverwaltung und den Anlegern, heißt es.
Diese haben im Jahr 2017 zwar Container bezahlt, aber die deutsche P&R Vertriebsgesellschaft hat laut den Angaben das Geld nicht an die Schweizer Schwestergesellschaft für die bestellten Container überwiesen. Vielmehr wanderte eine Summe von 321 Millionen Euro an eine andere deutsche P&R-Vertriebsgesellschaft, die P&R Vertriebs- und Verwaltungs GmbH. Wurden mit frischem Anlegergeld anderswo Löcher gestopft?
Auch für das Jahr 2015 stellte Finanzanalyst Loipfinger eklatante Lücken von mehreren 100 Millionen Euro fest: Dem für neue Container eingesammelten Anlegergeld lassen sich nach den veröffentlichten Zahlen keine entsprechenden Containerkäufe bei den Schweizern zuordnen. Sein Fazit: „Nicht alle Anleger, die 2015 einen neuen Container bezahlten, haben auch einen neuen Container erhalten.“
Die Milliarden-Pleite bei P&R weitet sich aus. Auch die beiden letzten bislang noch zahlungsfähigen deutschen Gesellschaften sind insolvent.
Ein Anwalt der P&R-Gesellschaften hat von seinen Mandanten bislang keine Stellungnahme erhalten. Er verwies in einem Telefongespräch darauf, dass P&R eng mit dem Insolvenzverwalter kooperiere. Von dort seien auch Rechercheergebnisse zu erwarten.
Unterdessen wühlen sich Insolvenzverwalter Michael Jaffé und sein Wirtschaftsprüferteam durch Terabytes von Container- und Kundendaten. Wichtige Angaben müssten in aufwendiger Kleinarbeit ermittelt werden, hieß es in einem Zwischenbericht, sie könnten nur mit Hochleistungsrechnern verarbeitet werden.
Jaffés Team stellte dabei fest, dass P&R ab 2012 trotz fallender Weltmarktpreise Container verkauft hat, „um die Mieten zu zahlen und Rückkäufe zu tätigen, mithin die hohen Rückzahlungen in diesen Jahren an die Anleger darzustellen.“ Besonders 2016 und 2017 habe es verstärkt solche Notverkäufe gegeben.
1,25 Millionen Container haben P&R-Anleger laut Firmenangaben gekauft und bezahlt. Wie viele davon sind noch da? Und in welcher Qualität? Im Laufe dieser Woche werden die P&R-Gläubiger Näheres erfahren. Jaffé will dann erste Erkenntnisse aus dem P&R Datendschungel bekannt geben.
Mitarbeit: Lars-Marten Nagel
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