Die Pleite des Hamburger Container-Anbieters Magellan 2016 gilt als Vorspiel zum Drama bei P&R. Magellan-Anleger kommen mit einem blauen Auge davon.
Berlin Das Container-Investment schien für Iris (59) und Manfred Lücke (61) aus Havixbeck eine gute Idee. Der Pharmavertreter war 55 Jahre alt, als er mit einer fünfstelligen Abfindung aus der Firma schied. Ein neuer Job war nicht in Sicht. Nun sollte das Geld für ihn arbeiten. „Mit der Vermietung der Container wollten wir uns eine Weile über Wasser halten“, sagt er heute.
Damals, das war 2012, sprühte sein Anlageberater vor Optimismus, und die Lückes ließen sich anstecken. Die große Pleite, die Tausende Anleger viele Millionen Euro kosten sollte, sah noch niemand kommen.
Die Rede ist nicht vom Container-Giganten P&R in Grünwald bei München, der diesen März krachend Insolvenz anmeldete. Die Lückes investierten bei einem Hamburger Anbieter, der nach einem berühmten portugiesischen Seefahrer benannt ist: Magellan Maritime Services GmbH. Das Unternehmen ging schon im Jahr 2016 pleite.
Die Branche sieht darin eine Art Vorbeben zum großen Milliardendrama bei P&R. In wenigen Tagen wird in München der Eröffnungsbeschluss zur P&R-Insolvenz erwartet, deshalb lohnt der Blick zurück: Was ist aus Magellan geworden?
Bei Magellan hatten 9.000 Anleger rund 350 Millionen Euro investiert. Die Geschäftsmodelle der beiden Container-Anbieter ähnelten sich stark. Die Privatinvestoren kauften die Stahlboxen und vermieteten sie zurück. Nach einem vereinbarten Zeitraum wurde ihnen ein Rückkaufangebot in Aussicht gestellt. Unter dem Strich blieb eine Rendite im mittleren einstelligen Bereich. Solange es lief, zahlte Magellan der Familie Lücke rund 3.000 Euro im Quartal.
Doch im April 2016 blieben die Mietzahlungen plötzlich aus. Wenige Wochen später folgte der Schock: Magellan meldete Insolvenz an. „Wir hatten zwei Jahre hart zu kämpfen, fast hätten wir das Haus verkaufen müssen“, sagt Iris Lücke. Aber was war passiert?
Der Insolvenzverwalter von Magellan, Peter-Alexander Borchardt, schrieb in seinem Gutachten, der chinesische Hersteller der Container habe Zahlungsziele überraschend verkürzt und die Hamburger Firma damit überfordert. Auch habe Magellan das Neugeschäft für zwei Monate aussetzen müssen, weil wichtige Unterlagen für neue Prospekte fehlten.
Unter Druck war Magellan offenbar schon länger: „Der von den Reedereien vereinnahmte Mietzins war in den vergangenen Jahren regelmäßig geringer als der den Investoren geschuldete Mietzins“, urteilte der Insolvenzverwalter. Wie genau Magellan die Lücken stopfte, ist bis heute nicht ganz klar. In Borchardts Gutachten liest es sich so: „Die Differenz bezogen auf jeden Einzelcontainer hat die Schuldnerin über die Marge aus der Veräußerung der Container an die Investoren sowie aus den in allen ihren sonstigen Geschäftsbereichen operativ erzielten Betriebsüberschüssen gedeckt.“
Die Frage ist, ob die Löcher nur noch durch Einnahmen aus den Neuabschlüssen gestopft werden konnten. So funktionieren Schneeballsysteme. Ein ähnlicher Verdacht steht bei P&R im Raum, die Staatsanwaltschaft München hat die Ermittlungsgruppe „Container“ eingerichtet.
Wie lange es dauern kann, bis Ergebnisse vorliegen, lässt der Fall Magellan erahnen. Wie das Handelsblatt erfuhr, ermittelt die Staatsanwaltschaft in Hamburg bereits seit 2016 gegen den geschäftsführenden Alleingesellschafter Carsten Jans (60). Der Verdacht lautet auf Betrug und Insolvenzverschleppung. Die Akte liege zurzeit beim Landeskriminalamt, sagte ein Behördensprecher.
Am Telefon wollte sich Jans nicht zu den Vorwürfen äußern. Er wisse von keinen Ermittlungen, wehrte er ab. Fragen des Handelsblatts ließ er unbeantwortet: „Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich mich mit Rücksicht auf ein solches mögliches Verfahren derzeit nicht zur Sache äußern möchte.“ Seine Zurückhaltung könnte auch damit zu erklären sein, dass Jans schnell einen neuen Job gefunden hat. Als Geschäftsführer eines Hamburger Unternehmens mischt er noch immer im Containerhandel mit.
3,5 Milliarden Euro hat der Anbieter von Container-Investments von Anlegern eingesammelt. Nun stellt sich heraus: Fast zwei Drittel der Container gibt es gar nicht.
Anlegerin Iris Lücke kann das alles nicht verstehen: „Ich fühle mich von vorne bis hinten betrogen, von unserem Makler und von Magellan.“ Insolvenzverwalter Borchardt sagt, ihm lägen „keine genaueren Informationen“ zu den aktuellen Ermittlungen vor. Ein Strafverfahren würde sich auch nicht auf den Insolvenzprozess auswirken.
Pleiten am grauen Kapitalmarkt enden oft mit dem Totalverlust. Insofern gibt es für die Mehrheit der Magellan-Anleger ein wenig Trost: Borchardt konnte vergangenes Jahr mehr als 110 000 Container an die konkurrierende Buss-Gruppe verkaufen und dafür bis zu 175 Millionen Euro einnehmen. Ein Teil des Geldes ist bereits ausgezahlt. Einige Anleger werden am Ende wohl bis zur Hälfte ihres Einsatzes herausbekommen, wenn sie die eingenommenen Mieten einrechnen.
Trotzdem gibt es kritische Stimmen: Das Fachmedium Fondsprofessionell warf Borchardt kürzlich vor, die Container zulasten der Anleger unter Wert verkauft zu haben. Der Containermarkt habe sich gerade in einem Aufschwung befunden, heißt es in dem Text.
„Das Angebot von Buss war mit Abstand das wirtschaftlich attraktivste – zumal der Kaufpreis bereits im Monat des Erwerbs gezahlt und zu einem großen Teil unmittelbar danach ausgeschüttet werden konnte“, wehrt Borchardt ab und verweist darauf, dass auch der Gläubigerausschuss und 93 Prozent der Anleger den Verkauf befürwortet haben. Rückendeckung erhält er vom Anlegeranwalt Nils Andersen aus Berlin, der rund 1 000 Investoren vertritt: „Das war zum damaligen Zeitpunkt die beste Lösung. Ein Insolvenzverwalter darf mit der Masse nicht frei spekulieren, wie sich der Markt entwickelt.“
Dürfen die P&R-Anleger die Hoffnung haben, ähnlich aus der Sache herauszukommen wie die Magellan-Anleger? Wohl eher nicht, sagt Stefan Loipfinger, Finanzjournalist aus Rosenheim. Bei P&R liege die Sache komplizierter. „Während es bei Magellan nur eine deutsche Firma gab, in der Vertrieb und Geschäft gebündelt waren, hat P&R das operative Geschäft an eine schweizerische Schwestergesellschaft abgegeben.“
Hinzu kommt: Magellan-Anleger haben Eigentumszertifikate und Containernummern ihrer Stahlboxen erhalten. Bei P&R hingegen ist das nur bei fünf Prozent der Anleger der Fall, wie Insolvenzverwalter Michael Jaffé mitteilte.
Wie viel Geld am Ende gerettet werden kann, hängt vor allem davon ab, wie viele Container tatsächlich vorhanden sind. Bei P&R fehlen laut Jaffé eine Million Container, bei Magellan waren es lediglich 5 000. Ein paar der Stahlboxen des Hamburger Anbieters waren über Bord gegangen, was auf hoher See gelegentlich vorkommt. Den anderen Teil hatte der Produzent in China nicht mehr ausgeliefert, was auch die Lückes trifft.
Die Familie hat bislang rund 20 000 Euro zurückerhalten, weniger als 20 Prozent des ursprünglichen Investments. Was für sie besonders ärgerlich ist: Noch kurz vor der Insolvenz hatte Iris Lücke eine kleine Erbschaft in fünf Container gesteckt, die wohl nie existiert haben. „Dafür habe ich noch keinen Cent gesehen“, sagt sie. Immerhin: Manfred Lücke arbeitet jetzt wieder als selbstständiger Pharmavertreter. „Bis wir wieder Geld anlegen können, wird es aber noch dauern.“
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