Der Versicherer legt noch mehr Geld für den mit Spannung erwarteten Vergleich zur Seite. An der Börse überwiegt die Hoffnung auf ein Ende mit Schrecken.
Allianz Versicherung in Berlin
Die hohen Rückstellungen drücken auf den Gewinn.
Bild: imago images/Schöning
München Die Allianz muss für ihre fehlgeschlagenen Hedgefonds-Wetten in den USA immer tiefer in die Tasche greifen: Für den näher rückenden Vergleich mit amerikanischen Klägern legte Europas größter Versicherer noch einmal 1,9 Milliarden Euro zur Seite, wie er am Mittwoch mitteilte.
Damit summieren sich die Rückstellungen für das Debakel inzwischen auf 5,6 Milliarden Euro. In München geht man nun davon aus, dass dies eine „realistische“ Einschätzung des verbleibenden finanziellen Risikos ist – sowohl was die Entschädigungszahlungen angeht als auch mögliche Strafzahlungen an die Behörden.
Anleger reagierten trotz der Summe erleichtert, schließlich drückt der schwelende Rechtsstreit seit rund zwei Jahren auf die Allianz-Aktie. Mit einem Plus von rund fünf Prozent gehörte das Papier am Mittwoch zeitweise zu den größten Gewinnern im Dax.
Die Reaktion beim Großaktionär Union Investment, der noch bei der Hauptversammlung in der vergangenen Woche deutliche Kritik an der Aufarbeitung des Falls geübt hatte, fiel nun versöhnlicher aus: „Die Allianz scheint einem Schlussstrich um das Risiko aus den Structured-Alpha-Fonds einen deutlichen Schritt näher gekommen zu sein“, sagte Fondsmanager Steffen Weyl.
Allerdings drücken die hohen Rückstellungen den Gewinn: Der Überschuss liegt damit im ersten Quartal nur noch bei 600 Millionen Euro, das operative Ergebnis beträgt 3,2 Milliarden Euro. Analysten hatten im Vorfeld mit einem Mittelwert von knapp über drei Milliarden Euro gerechnet.
Gut zwei Dutzend Investoren – vor allem US-Pensionsfonds – hatten die Allianz auf 6,3 Milliarden Dollar verklagt, nachdem sie mit den Structured-Alpha-Fonds zu Beginn der Coronakrise Milliardenverluste erlitten hatten. Als die Aktienmärkte zu Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020 in die Knie gingen, verloren sie einen Großteil ihres Einsatzes.
Oliver Bäte
Erwartet eine zügige Einigung bei den Klagen amerikanischer Großinvestoren wegen hoher Verluste durch sogenannte Structured-Alpha-Fonds der Allianz-Tochter AGI.
Bild: dpa
Dabei hatte die Allianz-Tochter AGI ihnen die spekulativen Papiere im Volumen von 15 Milliarden Dollar als krisensichere Anlage verkauft. Die Kläger warfen der Allianz vor, angesichts der zeitweiligen Panik an den Märkten von ihrer Investmentstrategie abgewichen zu sein. Besonders verlustreiche Fonds wurden damals sogar liquidiert.
Die Aufarbeitung des Debakels zog sich seither. Mitte Februar dieses Jahres hatte die Allianz bereits eine Rückstellung in Höhe von 3,7 Milliarden Euro gebildet. Dadurch hat sich der Jahresüberschuss für das abgelaufene Jahr um 2,8 Milliarden Euro vermindert. Schon da hieß es, dass es dabei wohl nicht bleiben dürfte. Nun kamen noch mal fast zwei Milliarden obendrauf.
Dass ein Vergleich näher rückt, zeichnete sich bereits auf der Hauptversammlung in der vergangenen Woche ab: Konzernchef Oliver Bäte sprach von einer zügigen und abschließenden Einigung zu den Klagen und Ermittlungen, die er in Kürze erwarte.
Kritischer als Union Investment gibt sich Großaktionär Deka: Er will noch keine Entwarnung für die Aktie geben, solange der Fall nicht endgültig geklärt ist, wie Fondsmanager Ingo Speich sagte. Die sich nun abzeichnenden knapp sechs Milliarden Euro liegen allerdings weitgehend im Rahmen dessen, was Analysten ursprünglich taxiert hatten. Experten wie Werner Schirmer von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zogen dabei Vergleichszahlen aus bereits abgeschlossenen Entschädigungsleistungen heran.
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So hatte mit dem Lehrerpensionsfonds aus Arkansas (ATRS) ein besonders prominenter Kläger bei einem Vergleich mit der Allianz 643 Millionen Dollar und damit 83 Prozent seiner Forderungen erhalten. Der ATRS hatte als einer der größten Investoren in die Structured-Alpha-Fonds Anfang des Jahres 2020 – und damit unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie – 1,62 Milliarden Dollar von seinem gesamten Fondsvermögen von 18,3 Milliarden Dollar investiert. Laut dem Branchendienst „Institutional Investor“ haben die anschließenden Verluste gut fünf Prozent des Fondsvermögens vernichtet. Weitere prominente Kläger waren die Versorgungseinrichtungen des City of Milwaukee Employes‘ Retirement Systems (CMERS), der Gewerkschaft Teamster und der New Yorker Metro.
Das Vorgehen beim Lehrerpensionsfonds aus Arkansas galt stets als maßgeblich für die weiteren Verfahren. Sogenannte Präzedenzfälle geben in der US-Justiz häufig die Richtung vor, an die sich weitere Kläger anschließen können. Insgesamt stand eine Einigung mit rund 25 Klägern aus, deren Investment in die hochspekulativen Fonds aber meist kleiner war als beim Lehrerpensionsfonds aus Arkansas.
Die Kläger warfen der Allianz vor, bei der zeitweiligen Panik, die während der Marktverwerfungen zu Beginn der Coronakrise geherrscht habe, von ihrer vertraglich vereinbarten Strategie abgewichen zu sein. Dadurch sei der Schaden noch größer ausgefallen.
Die Structured-Alpha-Fonds, die nur an amerikanische Großanleger vertrieben wurden, versprachen laut der US-Kanzlei Bernstein, Litowitz, Berger & Grossmann (BLBG) stabile Erträge und Schutz, auch während Marktschwankungen. Die Untersuchungen der Kanzlei, die mehrere Kläger vertritt, kamen jedoch zu der Erkenntnis, dass die Fondsmanager der Allianz-Tochter AGI diese Strategie nicht eingehalten hätten.
Zudem habe das Management der Structured-Alpha-Fonds die Warnungen seines hauseigenen Chefökonomen Mohamed El-Erian ignoriert. Der hatte Anfang Februar 2020 bereits gesagt, dass die aufziehende Pandemie substanzielle Markteinflüsse haben dürfte. Laut den BLBG-Anwälten machte das Fondsmanagement jedoch das Gegenteil. Es verfolgte die Strategie, auf sinkende Volatilitäten und auf steigende Aktienkurse zu setzen. Als das Gegenteil eintraf, erzielten die Fonds massive Verluste.
Ein besonderes Augenmerk der Investoren galt zuletzt noch den Ermittlungen der US-Behörden um mögliche Strafzahlungen. Sowohl die Börsenaufsicht SEC als auch das amerikanische Justizministerium setzen sich seit dem Sommer vergangenen Jahres intensiv mit den Vorfällen bei den hochspekulativen Fonds auseinander.
Dabei geht es auch um den Vorwurf einer möglichen Manipulation des Volatilitätsindexes VIX, der für die Wertermittlung der Fonds eine zentrale Rolle spielte. Die Allianz will hierzu eine zeitnahe Beendigung der behördlichen Verfahren erreichen, sowohl mit dem Justizministerium als auch mit der Börsenaufsicht SEC. Sobald es eine Einigung gibt, sollen die Anleger darüber informiert werden.
Aufseiten von Investoren bleibt bis dahin ein Restrisiko. „Strafzahlungen infolge von Ermittlungen der US-Strafbehörden, vor allem des Department of Justice, haben bei anderen Finanzinstituten in der Vergangenheit deutlich negativ überrascht“, zieht Union-Fondsmanager Weyl eine Parallele zu anderen Fällen.
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Nicht betroffen von der neuerlichen Rückstellung soll die Dividendenpolitik der Allianz sein. Hier plant der Konzern weiter eine regelmäßige Ausschüttung von 50 Prozent des Jahresüberschusses sowie mindestens eine Steigerung um fünf Prozent gegenüber der Vorjahresdividende.
Erst in der vergangenen Woche berichteten Analysten der Privatbank Berenberg von ihren Gesprächen mit großen US-Investoren in New York und Boston. Die agierten bei der Allianz zuletzt vorsichtig mit Blick auf die Unklarheit rund um die Probleme bei den Structured-Alpha-Fonds. In den kommenden Tagen dürfte sich nun zeigen, ob sie mit dem ausgehandelten Ergebnis zufrieden sind.
Dieser Artikel erschien zuerst am 11.05.22 um 09:33 Uhr.
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