Der türkische Staatschef will Kredite billiger machen, um Wirtschaft und Lira zu stützen. Doch dahinter steht ein gefährliches Kalkül.
Markt in Istanbul
Die Inflation könnte zum Jahresende sogar bei 80 Prozent liegen.
Bild: imago images/Pacific Press Agency
Istanbul Wer vor einem Jahr in der Türkei seinen VW Passat volltanken wollte, musste dafür rund 300 Lira bezahlen. Inzwischen sind es 1200 Lira. Die Preise an den Zapfsäulen haben sich fast vervierfacht.
Insgesamt liegt die Inflation in dem Land mittlerweile bei 73 Prozent, einzelne türkische Ökonomen gehen gar davon aus, dass die tatsächliche Teuerung mehr als doppelt so hoch ist. Und: Die Lira schwächelt. Seit Jahresbeginn hat sie zum US-Dollar 29 Prozent an Wert eingebüßt.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Regierung in Ankara ist offenbar entschlossen, mit neuen Maßnahmen die Landeswährung zu stützen und die Realwirtschaft weiter anzukurbeln – obwohl sie dadurch die Inflation weiter anheizt.
So sollen türkische Exporteure, die ihre Auslandseinkünfte in die Landeswährung umtauschen, günstigere Kredite erhalten. Diese Rediskontkredite werden in Lira vergeben, müssen jedoch in US-Dollar zurückbezahlt werden. Staatschef Recep Tayyip Erdogan senkt also die Zinsen durch die Hintertür.
Damit soll die Nachfrage nach ausländischer Währung eingedämmt werden – einer der Hauptgründe für die derzeit schwache Lira, die die Türkei für Investoren unattraktiver macht und dadurch die Konjunktur belastet.
Außerdem bietet das türkische Finanzministerium nun ein neues Sparprodukt an. Die Rendite kommt vom Staat, der Zins wird an die Nettogewinne der Staatskonzerne gekoppelt und damit jedes Jahr aufs Neue berechnet. Weitere Details nannte das Finanzministerium nicht.
Um die Inflation zu bekämpfen, müsste die Zentralbank den Leitzins, der derzeit bei 14 Prozent liegt, jedoch anheben. Doch ein höherer Zins würde Kredite verteuern sowie Konsum und Investitionen bremsen – die Wirtschaft würde abkühlen und die bereits geschwächte Währung ebenfalls an Boden verlieren.
Daher setzt Ankara nun auf unkonventionelle Methoden. Nach Berechnungen der US-Großbank Goldman Sachs hat die Notenbank mehr als drei Milliarden US-Dollar in die Finanzmärkte gepumpt, um Konjunktur und Lira zu stabilisieren.
Für internationale Anleger wird es immer riskanter, ihr Geld in der Türkei zu investieren. Darauf deuten Credit Default Swaps (CDS) hin, mit denen sich Investoren gegen einen Zahlungsausfall absichern. Nach Angaben des Datendienstleisters Markit sind CDS in der Türkei so teuer wie noch nie – ein Indiz dafür, dass Anbieter dieser Swaps einen staatlichen Zahlungsausfall für wahrscheinlicher halten.
Wer türkische Anleihen im Wert von zehn Millionen US-Dollar gegen einen Zahlungsausfall absichern will, muss dafür jetzt 837.000 US-Dollar bezahlen, 12.000 Dollar mehr als einen Tag zuvor. Für viele institutionelle Investoren ist das zu teuer, um am Ende noch einen Nettogewinn einzustreichen.
Investoren verkaufen immer mehr türkische Staatsanleihen. Wenn die Nachfrage nach solchen Anlageprodukten sinkt, muss der Emittent – also der Staat – den Zins der Anleihen erhöhen: Um sich zu finanzieren, versucht er, zumindest noch die risikofreudigen Anleger anzulocken.
Die Rendite der 2034 auslaufenden türkischen Dollar-Bonds ist mittlerweile auf ein Rekordhoch von 10,3 Prozent gestiegen. Das schürt ebenfalls die Angst vor einem Zahlungsausfall – ein Teufelskreis.
Was zur Frage führt, die auch für andere inflationsgeplagte Länder von Interesse sein dürfte: Wohin führt Erdogans Finanzpolitik?
Fragt man die Menschen im Land, wozu die Finanzpolitik von Staatschef Erdogan führt, steht die Antwort fest: Sie führt schleunigst zur Abwahl des türkischen Präsidenten. Seine Koalition mit der rechtsnationalen MHP ist in Umfragen weit von der Mehrheit entfernt. Die Bürger protestieren gegen hohe Preise. Jede Maßnahme aus dem Präsidialamt oder der Schatzkammer in Ankara scheint an den Märkten zu verpuffen: Die Inflation steigt weiter an, Investoren ziehen ihr Geld aus dem Land.
Gegen Erdogans Abgang gibt es jedoch auch Argumente: Die türkische Wirtschaft wächst – entgegen allen Verallgemeinerungen über Erdogans Zinspolitik. Die Ratingagentur Fitch hat in dieser Woche ihre Wachstumsprognose für das Schwellenland angehoben, von 2,4 auf 4,5 Prozent. Die Industrieproduktion stieg im Mai um 10,8 Prozent und lag damit über den Schätzungen von durchschnittlich 8,3 Prozent.
Das Zahlungsbilanzdefizit hat sich im Zwölf-Monats-Durchschnitt zwar deutlich verschlechtert, und zwar von minus 24,5 Milliarden auf minus 25,7 Milliarden US-Dollar. Das liegt jedoch vor allem an den hohen Preisen für Öl und Gas. Rechnet man Energie- und Goldimporte raus, verzeichnet das Land einen Zahlungsbilanzüberschuss, der zuletzt auch noch um drei Milliarden US-Dollar angestiegen ist.
Erdogans Kalkül: Wenn die türkische Bevölkerung lange genug durchhält, resultiert aus seiner Politik eine starke Wirtschaft, die sich ohne große Importe selbst am Leben halten kann. Das würde auch die Lira stabilisieren.
Zwei Punkte sprechen allerdings dagegen: der hohe Ölpreis und die Zinswende in den USA. Da die Türkei keine eigenen Ölvorkommen besitzt, ist sie abhängig von den Märkten. Die Zinsen jenseits des Atlantiks sorgen dafür, dass Geld aus dem Schwellenland abgezogen wird.
Und so ist die Ungewissheit in der Türkei weiter groß: Die Bevölkerung bangt um ihre Einkünfte und Ausgaben – und Erdogan um seine Wiederwahl.
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