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26.03.2021

15:56

Bildgebende Medizin

Covid-19 treibt Künstliche Intelligenz in der Radiologie voran

Von: Julian Olk

Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Projekte in der bildgebenden Medizin hervorgebracht. Doch kann die Euphorie zum Durchbruch der KI im klinischen Alltag führen?

Röntgenbilder und CT-Scans werden bei der Diagnostik und Behandlung von Covid-19 eingesetzt. Imago

Radiologie

Röntgenbilder und CT-Scans werden bei der Diagnostik und Behandlung von Covid-19 eingesetzt.

Düsseldorf Seit Jahren wird am Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Radiologie geforscht. Während der Corona-Pandemie ist dieser medizinische Fachbereich so wichtig wie noch nie.

Es habe in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche vielversprechende Ergebnisse in der Forschung gegeben, sagt Sergios Gatidis, Oberarzt am Universitätsklinikum Tübingen und Forscher am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme: „Die Pandemie sorgt dafür, dass nun die vielen Hürden überwunden werden, diese neuen Möglichkeiten auch täglich in den Krankenhäusern einzusetzen.“

Das sind drei der vielversprechendsten Projekte:

1. Künstliche Intelligenz in der Covid-Diagnostik

Das Stäbchen tief rein in Rachen oder Nase: Einen anderen Weg, um auf das Coronavirus getestet zu werden, kannte die Medizin bislang kaum. Doch könnte KI einem völlig anderen Weg zum Durchbruch verhelfen: der Diagnose per Computertomographie (CT). Die Scans der Lunge können Entzündungen zeigen, aus denen die sich eine Corona-Infektion ableiten lässt.

„In absoluten Belastungsspitzen in den Notaufnahmen mancher Krankenhäuser wurden mit Bildgebung zum Teil bereits Patienten vorsortiert, also triagiert“, berichtet Konstantin Nikolaou, Wissenschaftskoordinator und Vorstandsmitglied der Deutschen Röntgengesellschaft. Klinischer Alltag war das bislang aber nicht.

Ein internationales Forscherteam hat einen Algorithmus entwickelt, der bei der Prüfung von CT-Scans 91 Prozent der Infizierten richtig erkannt hat und bei 94 Prozent der Nicht-Infizierten richtig lag. Hinter dem Projekt stehen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Max-Planck-Institut für Informatik, die Dublin City University aus Irland, die University of California aus den USA und die VNUHCM-University of Science aus Vietnam.

Erprobt haben sie die Technologie an 2500 CT-Bildern. Daniel Sonntag, Leiter des Forschungsbereichs Interaktives Maschinelles Lernen am DFKI, ist über die guten Ergebnisse erfreut. Doch er mahnt: „Diese Werte sind mit Vorsicht zu genießen, da der Testdatensatz, den wir zur Verfügung hatten, nicht repräsentativ ist.“ Ein repräsentativer Datensatz müsse zehn- bis 50-mal größer sein.

Auch strukturell stehen die Forscher noch vor einigen Herausforderungen, um ihre Technologie in die Praxis zu bringen. Derzeit wird das Projekt über eine Förderung des Bundesgesundheitsministeriums querfinanziert. Für weitere Schritte im Projekt brauche es eine eigene Förderung, erklärt Sonntag.

„Eine Kombination des PCR-Tests mit unserem KI-basierten erleichtert zukünftig hoffentlich eine Prognose hinsichtlich der Aufnahme auf der Intensivstation“, sagt er. Dafür müssten aber klinische Leitlinien entsprechend angepasst werden: „Dies wiederum setzt voraus, dass klinische Tests unserer KI-Methode erfolgen.“

2. Radiologische Covid-Datenbank

Bei jenen Problemen mit der knappen Datenbasis sorgt die Pandemie für Abhilfe. Das zeigt sich insbesondere im vom Bund mit 150 Millionen Euro geförderten Netzwerk der 36 deutschen Universitätskliniken, die seit dem Frühjahr 2020 im Zuge der Pandemie mehrere Projekte gemeinsam umsetzen. Eines davon: das „Radiological Cooperative Network zur Covid-19 Pandemie (RACOON)“. Das Problem bei radiologischen Daten ist meist nicht, dass zu wenige vorliegen, sondern dass sie nicht standardisiert sind.

Archivbild eines Radiologen: Bis vor einigen Jahren wurde die Befunde unstandardisiert per Diktiergerät aufgezeichnet. Imago

Freitext-Befundung

Archivbild eines Radiologen: Bis vor einigen Jahren wurde die Befunde unstandardisiert per Diktiergerät aufgezeichnet.

Zwar ist die Befundung im Freitext inzwischen weitgehend durch strukturierte Befundungen ersetzt worden. Dabei wird jeder Befund und Messwert zu jeder Zeit mit Metainformationen verknüpft, die eindeutig definieren, wie ein Befund erhoben wurde, quantifiziert oder aus anderen Daten abgeleitet worden ist. Um damit eine KI zu füttern, braucht es allerdings einheitliche Regeln für diese Definition.

Mit dem Netzwerk RACOON entwickeln die Unikliniken nun eine Infrastruktur zur genormten Erfassung radiologischer Daten von Covid-19-Fällen – deutschlandweit. Co-Projektleiter Bernd Hamm, Direktor der Klinik für Radiologie der Charité, sagt: „Es werden erstmals hochstrukturierte Daten in dieser Größenordnung zur Verfügung stehen, die als wertvolle Entscheidungsgrundlage zu epidemiologischen Studien, Lageeinschätzungen und Frühwarnmechanismen beitragen können.“

3. Künstliche Intelligenz in der Covid-Verlaufskontrolle

Helfen kann KI auch direkt auf den Intensivstationen. Erprobt wird das in drei Dortmunder Kliniken der katholischen St.-Lukas-Gesellschaft. Die Software dafür nennt sich „Rad Companion“, also „radiologischer Begleiter“. Wenn ein Arzt ein Röntgenbild in das Programm lädt, erstellt die KI innerhalb von zwei Minuten eine Diagnose und eine Einschätzung zur Schwere der Erkrankung.

„Besonders im Nacht- und Bereitschaftsdienst ist der Rad Companion eine große Hilfe“, erklärt Karsten Ridder, Chefarzt im Medizinischen Versorgungszentrum Uhlenbrock in Dortmund. Er ist programmverantwortlicher Radiologe bei dem Projekt. Meist seien die zu den Randzeiten tätigen Ärzte keine Fachärzte für Radiologie, „sodass sie es nicht gewohnt sind, Röntgenbilder der Lunge zu analysieren. Mit dem Rad Companion ist diese Analyse dann deutlich sicherer.“

Röntgenaufnahme des Thorax: Die Künstliche Intelligenz zeigt, was sie entdeckt hat (pink), rechts daneben zeigt sie den Befund und, auf einer Skala von eins bis zehn, die Sicherheit dessen. Siemens Healthineers/MVZ Prof. Dr. Uhlenbrock & Partner GmbH, Dortmund, Deutschland

Rad Companion

Röntgenaufnahme des Thorax: Die Künstliche Intelligenz zeigt, was sie entdeckt hat (pink), rechts daneben zeigt sie den Befund und, auf einer Skala von eins bis zehn, die Sicherheit dessen.

Bei klinisch behandelten Covid-Fällen wird der Krankheitsverlauf häufig untersucht, indem jeden Tag eine Röntgenaufnahme der Lunge gemacht wird, um den Verlauf abzubilden und gefährliche Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen. „Bei der großen Anzahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern birgt der Rad Companion enorme Skaleneffekte“, sagt Clemens Joerger, KI-Produktmanager bei Siemens Healthineers. Das Unternehmen hat die Technologie entwickelt.

Bis zu einem flächendeckenden Einsatz steht aber auch Siemens noch vor einigen Hürden. Der Rad Companion für Röntgenaufnahmen des Brustkorbes ist zwar schon als CE-Produkt zugelassen. Für die Covid-19-Erweiterung, die im vergangenen Jahr ergänzt wurde, steht diese aber noch aus. „Das wird voraussichtlich gegen Mitte oder Ende dieses Jahres klappen“, kündigt Joerger an. Bis dahin müsse man für die klinische Erprobung noch viele weitere Daten sammeln.

Euphorie trifft auf Realität

Bei all der Euphorie mahnt der Tübinger Forscher Gatidis aber zur Vorsicht: „KI integriert man nicht einmal nebenbei in den klinischen Alltag. Nicht alle Lösungen, die aktuell vorgestellt werden, sind der große Durchbruch.“ Und auch langfristig gibt es Fragezeichen. Nikolaou von der Röntgengesellschaft sagt: „Die ersten Erfolge sind zwar vielversprechend. Das verknüpfte Denken eines Arztes ist da noch weit entfernt. Umfänglich wird KI den Arzt wohl niemals ersetzen können – auf jeden Fall wird sie es nicht während dieser Pandemie.“

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