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29.12.2022

04:53

Brexit

Hohe Hürden für Exporte in Großbritannien

Von: Jan Wittenbrink

Der Brexit erschwert den Export von Medizinprodukten nach Großbritannien. Noch gibt es Übergangsregelungen – doch Branchenvertreter warnen vor Versorgungsengpässen.

Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU-Wirtschaftsunion hat für neue bürokratische Anforderungen gesorgt.  imago images / snapshot

Brexit

Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU-Wirtschaftsunion hat für neue bürokratische Anforderungen gesorgt. 

Köln Die Nachricht ließ Medizintechnik-Hersteller in der Europäischen Union zunächst aufatmen: Im Oktober hat die britische Regulierungsbehörde für Medizinprodukte (MHRA) entschieden, die Übergangsregelung für den Export ins Vereinigte Königreich um zwölf Monate zu verlängern. Das in der EU übliche CE-Kennzeichen wird damit in Großbritannien nun bis zum 30. Juni 2024 anerkannt. Eigentlich wollte das Land nach dem Brexit schon bis Mitte 2023 eine eigenständige Regulierung entwickeln.

Man begrüße die Verlängerung der Übergangsfrist, sagt Clara Allonge, die beim Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) den Fachbereich International Affairs betreut. „Fraglich ist, ob diese Zeit ausreichend ist.“ Der Brexit bedeute einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand, die Branche bereite sich intensiv auf die Zeit nach Ablauf der Frist vor. Gleichzeitig fehlt nach wie vor ein verbindlicher Plan zu den Neuregelungen und möglichen weiteren Übergangsfristen, viele Detailfragen sind offen. Die Hersteller fürchten, von neuen bürokratischen Hürden ausgebremst zu werden.

Großbritannien steht auf Platz fünf der wichtigsten Exportziele der deutschen Medizintechnik-Branche. Im Jahr 2021 wurden hier nach Angaben des BVMed 1,3 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Großbritannien plant eigene Kennzeichnung

Medizinprodukte durchlaufen für den Markteintritt in der EU ein Konformitätsverfahren, das die Hersteller selbst durchführen. Dieses soll sicherstellen, dass das Produkt die nötigen Anforderungen an Sicherheit und Leistung erfüllt. Bestätigt wird die Konformität von „Benannten Stellen“ – in der Regel sind das Prüforganisationen wie der Tüv. Am Ende steht die aufgedruckte CE-Kennzeichnung. Auch digitale Medizinprodukte wie Software erhalten die Kennzeichnung – sie kann auf der Verpackung oder einem Datenträger angebracht werden, aber auch auf dem beim Öffnen einer App erscheinenden Splash Screen zu sehen sein. Grundlage in der EU ist die seit 2021 gültige Medical Device Regulation (MDR).

Seit 2021 gilt das EU-Recht in Großbritannien offiziell nicht mehr. Die britischen Vorgaben orientieren sich aber weiterhin an EU-Recht – allerdings an veralteten Richtlinien vor Inkrafttreten der MDR. Schon heute müssen die nach UK importierenden Unternehmen auch die CE-gekennzeichneten Produkte zusätzlich in Großbritannien registrieren lassen – bei einer „UK Responsible Person“, einer vor Ort ansässigen und von der Regulierungsbehörde MHRA anerkannten Person. Diese prüft, ob der Hersteller seine Pflichten erfüllt hat.

Nach Ablauf der verlängerten Übergangsfrist dürfte das Verfahren noch komplizierter werden. So sollen künftig „UK Approved Bodies“ einbezogen werden, die den Benannten Stellen ähneln. „Dafür sind erhebliche Ressourcen notwendig“, sagt Allonge. Man fürchte schon jetzt Engpässe im Sommer 2024. Zudem will Großbritannien seine eigene Kennzeichnung durchsetzen – die UKCA-Kennzeichnung. Auch dabei gebe es noch offene Fragen, sagt Allonge – beispielsweise, ob das UKCA-Zeichen auch direkt auf Implantate aufgebracht werden müsse.

Konzern Dräger rief „Brexit-Projektteam“ ins Leben

Unsicherheiten bleiben auch für deutsche Unternehmen, die in Großbritannien produzieren. Dazu zählt etwa der Lübecker Medizintechnik-Konzern Dräger, für den Großbritannien nicht nur ein wichtiger Exportmarkt, sondern auch Produktionssitz ist. Dräger stellt unter anderem im nordenglischen Blyth schwere Atemschutztechnik mit telemetrischer Datenüberwachung für Feuerwehr her oder bietet Patienten-Monitoring-Systeme für Krankenhäuser an.

Bereits vor einigen Jahren hat das Unternehmen ein „Brexit-Projektteam“ ins Leben gerufen, das bis zum kompletten Abschluss der nötigen regulatorischen Umstellungen aktiv bleiben soll. „Wir haben unsere Lieferketten und Materialströme geprüft und entsprechende Maßnahmen getroffen, um weiterhin verlässlich und stabil produzieren und liefern zu können“, sagt Carolin Bombeck, Country Expert Regulatory Affairs bei Dräger.

Schon heute hat der Konzern vorsorglich seinen Lagerbestand an Produkten, die für den britischen Markt bestimmt sind, in seinem Auslieferungszentrum in Blyth erhöht – ebenso wie den Bestand von in Blyth für den EU-Markt produzierten Waren in seinem Zentrallager in Deutschland. Man sei sich der Verantwortung bewusst, die Versorgung mit lebensnotwendiger Technik in beiden Märkten auch in Zukunft sicherzustellen, so Bombeck. Eine Herausforderung sei insbesondere die geringe Anzahl der „UK Approved Bodies“.

Gegenseitiges Abkommen kam nicht zustande

Womöglich könnten einzelne Medizinprodukte wegen der erhöhten Anforderungen ganz vom britischen Markt verschwinden. Es handele sich um individuelle Unternehmensentscheidungen, die man derzeit nicht abschätzen könne, sagt BVMed-Vertreterin Allonge. „Im schlimmsten Fall drohen Versorgungsengpässe in Großbritannien bei wichtigen Medizinprodukten.“

Schon 2020 hat der Verband ein Abkommen zur dauerhaften gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen zwischen der EU und Großbritannien gefordert, ein sogenanntes Mutual Recognition Agreement (MRA). Gekommen ist es dazu nicht. Ein MRA sei weiterhin wünschenswert, sagt Allonge. „Wir schätzen es aber als derzeit wenig realistisch ein.“

Zwischen der EU und der Schweiz – ebenso wie das UK ein Drittstaat – hat es bis Mai 2021 ein solches MRA gegeben. Doch Brüssel und Bern haben sich beim Thema Medizintechnik zerstritten. London nimmt zusätzliche Hürden offenbar bewusst in Kauf, um die eigene Regulierung und damit neue Freiheiten durchzudrücken. Um für Unternehmen als Markt attraktiv zu bleiben, könnte Großbritannien den Weg zur Zulassung auf Dauer womöglich einfacher gestalten als die EU, deren MDR vergleichsweise hohe Anforderungen stellt. Wurden Software-Produkte früher noch in der niedrigsten Risikoklasse gelistet, klassifiziert sie die MDR nun in der Regel höher – das bedeutetet strengere Auflagen.

Denkbar ist auch, dass sich Großbritannien an Zulassungsverfahren der USA annähert. Die Schweizer Regierung hat im November entschieden, dass künftig auch Medizinprodukte mit einer amerikanischen FDA-Zulassung verkauft werden dürfen, ausgestellt von der US-Arzneimittelbehörde. „Ein solches Modell befürchten wir auch für UK“, sagt Allonge. Die europäische MDR müsse strategisch weiterentwickelt werden, um die medizintechnische Entwicklung und Produktion künftig in Europa halten zu können.

Kritische Stimmen gibt es aber auch in Großbritannien selbst. Der britische Medizintechnikverband Association of British Health Tech Industries (ADHI) veröffentlichte im Oktober die Ergebnisse einer Umfrage unter seinen Mitgliedsfirmen. 67 Prozent erwarten, dass Innovationen zukünftig verspätet nach Großbritannien gelangen werden. Als Grund werden vor allem steigende regulatorische Kosten genannt.

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