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04.09.2022

21:09

Corona-Langzeitfolgen

Datensammeln im Kampf gegen Long Covid

Von: Jan Wittenbrink

Long-Covid-Patienten kann oft nicht geholfen werden, weil das Krankheitsbild wenig erforscht ist. Mit digitalen Methoden wollen Wissenschaftler und Unternehmen neue Erkenntnisse gewinnen.

Den Patienten kann oft nur schwer geholfen werden. dpa

Long Covid

Den Patienten kann oft nur schwer geholfen werden.

Der Tweet sorgte für Furore: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnte in der vergangenen Woche mit Verweis auf eine US-Studie, dass im Herbst bei vielen jungen Menschen Entzündungen im Gehirn infolge einer Corona-Infektion auftreten könnten.

Einige Experten stimmten Lauterbach zu, andere warfen ihm Spekulation vor. Die Reaktionen zeigten: In Bezug auf Long Covid gibt es auch in der Fachwelt noch wenig gesicherte Erkenntnisse. Dabei leiden allein in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen an Langzeitfolgen von Covid-19. Häufiges Symptom ist eine chronische Erschöpfung, die sogenannte Fatigue.

Der Leidensdruck ist hoch – auch weil eindeutige Diagnosewege und Therapien fehlen. Es herrscht ein Mangel an Daten. „Long Covid kann heute noch nicht durch eindeutige Marker im Körper nachgewiesen werden“, sagt Bettina Hohberger, Ärztin und Molekularmedizinerin an der Augenklinik des Uni-Klinikums Erlangen. Hohberger ist Leiterin des Forschungsprojekts „disCOVer“, das die Augenklinik zusammen mit dem Erlanger Max-Planck-Institut für „die Physik des Lichts“ durchführt.

Die Studie will mithilfe Künstlicher Intelligenz einen eindeutigen Nachweis für Long Covid entwickeln. Heute ist nur eine Ausschlussdiagnose möglich: Dabei werden nach und nach andere Krankheiten als Ursache für die Symptome ausgeschlossen – ein langwieriger Prozess.

Durchblutung der Augen liefert Hinweise

Die Erlanger Forscher laden nun gezielt Patienten mit Verdacht auf Long Covid ein. Eine wichtige Rolle spielt die Untersuchung der Augen. Die sogenannte OCT-Angiografie, ein neues Bildgebungsverfahren zur Darstellung von Gefäßstrukturen im Auge, gibt Aufschluss über deren Durchblutung. Die Forscher haben herausgefunden, dass diese bei Long-Covid-Patienten gestört sein kann.

Zusätzlich wird unter anderem ein Blutbild erstellt, das Herzecho und die Lungenfunktion prüft. Auch kognitive Untersuchungen sind Teil der Testreihe. „Dabei entsteht eine riesige Menge an Daten, die von Algorithmen ausgewertet werden“, sagt Hohberger. Die Künstliche Intelligenz analysiert unter anderem die erstellten Aufnahmen der Augen auf helle und dunkle Bildpunkte – an hellen Punkten findet ein Blutfluss statt.

Die Algorithmen sollen Long Covid nicht nur nachweisen, sondern die Patienten auch in Subgruppen einteilen, die wiederum erfolgversprechenden Therapien zugeordnet werden. Zum Beispiel könne eine zusätzliche Impfung bei einem Patienten sinnvoll, beim anderen keine Verbesserung der Symptome bringen, sagt Hohberger. Long Covid kann ein Folgeschaden einer schweren Corona-Infektion sein – aber auch nach leichten Verläufen auftreten, wenn zum Beispiel eine geringe Virenlast im Körper verbleibt.

Auf Dauer wolle man ein standardisiertes Verfahren schaffen, sagt Hohberger. „Wir arbeiten daran, möglichst handliche und kostengünstige Geräte für die entsprechenden Tests zu entwickeln.“ In Kombination mit einer Software könnten die Untersuchungen dann flächendeckend eingesetzt werden – schon heute finden Tests in bayerischen Kliniken statt. Das Projekt wird vom Land Bayern mit mehr als einer Million Euro gefördert.

Plattform für Betroffene und Mediziner

Auch Unternehmen widmen sich der Erhebung von Daten zu Long Covid. Anfang des Jahres ist die Plattform Health4Future des gleichnamigen Start-ups aus dem bayerischen Pullach gestartet. Sie fragt in einem digitalen, 40-minütigen Fragebogen Informationen von Long-Covid-Patienten ab.

Über 7000 Nutzer haben den Bogen schon ausgefüllt. „Wir erheben auf Basis der medizinischen Daten ein ganzheitliches Bild“, sagt Mitgründerin Philomena Poetis. Der genaue Verlauf der Corona-Infektion wird ebenso detailliert abgefragt wie die aktuellen Symptome sowie körperliche Daten und mögliche Vorerkrankungen.

Noch ist Health4Future komplett selbstfinanziert und verdient kein Geld – man befinde sich im regen Austausch mit Krankenkassen, Kliniken sowie forschenden Instituten und Unternehmen, was mögliche Partnerschaften angeht. Gerade für die Krankenkassen seien die Erkenntnisse aus den anonymisierten Daten hochinteressant, sagt Poetis.

Für die Betroffenen selbst sollen die Angebote auch in Zukunft kostenfrei bleiben. Ihnen bietet Health4Future auf Grundlage der Daten eine individuelle Handlungsempfehlung an, in einer ersten Testphase werden ausgewählten Patienten auch Videosprechstunden angeboten. Diese „Helping Hours“ übernehmen derzeit einige Ärzte auf ehrenamtlicher Basis. Mediziner nutzen den Fragebogen auch als digitalen Anamnesebogen für eigene Patienten.

Digitales Long-Covid-Tagebuch

Ein Alltagsbegleiter für von Fatigue betroffene Long-Covid-Patienten will die App Fimo Health des gleichnamigen Kölner Start-ups sein. Sie erhebt unterschiedliche Daten als eine Art digitales Tagebuch. Als das Unternehmen im Jahr 2019 startete, war von Covid-19 in Deutschland noch keine Rede.

Fatigue tritt aber auch bei anderen Krankheiten auf – anfangs wandte sich die App nur an Patienten mit Multipler Sklerose. „Als im Laufe der Pandemie das Thema Long Covid aufkam, haben wir das Angebot erweitert“, sagt Mitgründer und Geschäftsführer Alexander Krawinkel.

Die Patienten füttern die App zum einen selbst mit Daten – zu ihren Symptomen, aber auch zu ihrer Stimmung oder ihrem Sozialverhalten. Zusätzlich lässt sie sich mit üblichen Wearables verbinden, die zum Beispiel den Schlaf oder das Bewegungsverhalten messen. Auf der Grundlage der Daten erhalten die Patienten individuelle Verhaltenstipps, die ihre Erschöpfungszustände lindern sollen. „Das können Tipps zum Schlaf- und Ernährungsverhalten oder Stressmanagement sein“, sagt Krawinkel.

Auch Achtsamkeitstrainings oder Yoga-Übungen werden vorgeschlagen und angeleitet. „Gleichzeitig hat die App den therapeutischen Effekt, dass die Patienten sich bewusst mit der Krankheit auseinandersetzen und Veränderungen übersichtlich aufbereitet sehen.“ Patienten können die Daten auch ihren Ärzten zur Verfügung stellen, die auf deren Grundlage gezielter beraten können.

Seit 2021 ist die App als Medizinprodukt zugelassen. Für die Zukunft ist eine Plattform in Planung, auf der Analysen zu den in der App erhobenen Daten anonymisiert zur Verfügung gestellt werden könnten.

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