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24.11.2022

03:23

Headspace

Großes Wachstum im Firmensegment

Von: Britta Rybicki

Geld verdient das Unternehmen aus Kalifornien am Selbstzahlermarkt, durch Firmenpartnerschaften und in den USA mit psychotherapeutischen Angeboten.

Headspace bietet Meditations- und Achtsamkeitsübungen per App an. IMAGO/YAY Images

Psychische Gesundheit

Headspace bietet Meditations- und Achtsamkeitsübungen per App an.

Düsseldorf „Mach es dir erstmal bequem. Wir fangen mit offenen Augen an. Nimm dir einen Moment, um innezuhalten, um den Raum um dich herum wahrzunehmen. Wenn du dann so weit bist, nimm einen tiefen, langen Atemzug.“ Diese Übung ist Teil einer Meditation von Headspace, einer App, die Stress reduzieren und bei psychischen Erkrankungen helfen soll.

Hundert Millionen Menschen führen weltweit Übungen wie diese Unternehmensangaben zufolge durch. Nach einer zweiwöchigen Testphase kann muss ein Abonnement für rund 13 Euro im Monat gebucht werden. Geld verdient das Unternehmen aus Kalifornien auch über Lizenzverträge mit hochkarätigen Firmenkunden. Im kommenden Jahr will Headspace mit einem Live-Coaching-Programm in weitere Länder expandieren. Am US-Markt ist es bereits gestartet.

Die USA sind Vorreiter: Dort sind digitale Hilfestellungen für die mentale Gesundheit längst ein Milliarden-Markt. Die Datenbank CBInsights meldete im vergangenen Jahr weltweit Investorengelder in Höhe von 5,5 Milliarden US-Dollar, die in Technologien für diesen Bereich geflossen sind. Auch hierzulande ist die Nachfrage groß. Eine Studie der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt 2021, dass jeder vierte Deutsche häufig gestresst ist. Im gleichen Jahr misst die DAK, dass Beschäftigte im Schnitt an 2,8 Tagen wegen Depressionen oder Angststörungen krankgeschrieben wurden.

Russell Glass ist der Geschäftsführer von Headspace und sagte, dass nur das Selbstzahlerangebot profitabel sei. Umsatz bringe das Angebot für den Selbstzahler und für den Firmenkunden zu etwa gleich großen Anteilen, der insgesamt ein hoher dreistelliger Millionenbetrag sei, berichtete er. Wie viele Privatpersonen in Deutschland für seine App zahlen, will Glass nicht offenlegen. Bei den Firmenkunden berichtete er von einem großen Wachstum: „Im vergangenen Jahr ist das B2B-Geschäft in Deutschland um 300 Prozent gewachsen.“ Aktuell beschäftigt sein Unternehmen 1000 Mitarbeiter.

Partnerschaften mit mehr Krankenkassen geplant

3700 Firmenkunden hat Headspace weltweit, davon sitzen 1000 in Europa. In Deutschland sind das zum Beispiel Lieferdienste wie Delivery Hero, Hellofresh und das E-Scooter-Start-up TIER. Glass kündigt an, künftig auch Krankenkassen für sein Angebot gewinnen zu wollen. Auf Anfrage von Handelsblatt Inside erklärt die TK, dass nur von der Zentralen Prüfstelle für Prävention zertifizierte Angebote bezuschusst werden. Headspace hat keine Zertifizierung. Anders sieht es bei der Konkurrenz aus: Das Berliner Start-up 7mind wurde zertifiziert und 2021 5700-mal von der TK bezuschusst.

Neben Kooperationen mit Krankenkassen will Headspace eine weitere Einnahmequelle in neuen Märkten aufbauen. „Ab Januar werden wir in unseren vorrangigen Märkten mit unseren Care-Diensten expandieren. Wir starten in Großbritannien“, sagt Glass und bezeichnet Großbritannien, USA, Australien und Deutschland als Kernmärkte. Bislang gibt es den Care-Dienst nur in den USA. Damit gemeint sind laut Glass virtuelle Coachings und therapeutische Behandlungen.

Mental-Health-Plattform geplant

Der Angebotsausbau ist für den Manager extrem wichtig, weil er mit diesem Produkt beweisen will, dass die Fusion mit dem digitalen Therapie-Anbieter Ginger aus den USA erfolgreich ausgeht. „Die Fusion zwischen Ginger und Headspace haben wir umgesetzt, damit wir auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung behandeln können“, sagt Glass. Ginger hatte zuvor telemedizinische Therapien und Coaching für Menschen mit Depressionen und Angststörungen angeboten. Headspace war auf Achtsamkeitsübungen und Meditation spezialisiert. Zum Zeitpunkt der Fusion kündigten beide Unternehmen öffentlich an, zur größten Mental-Health-Plattform der Welt werden zu wollen.

Dominik Böhler ist Professor für Management in Digital Healthcare an der Technischen Hochschule Deggendorf und sieht keine schlechten Chancen für diesen Plan. Das schnelle Wachstum von Headspace sei durch neue Trends in der Arbeitswelt zu erklären. „In Führungskräfteausbildungen werden Achtsamkeitsübungen einbezogen“, sagt er. Die Studie mit dem Titel „Your Presence is Requested: Mindfulness Infusion in Workplace Interactions and Relationships“ belegt zum Beispiel, dass Teams durch Achtsamkeitsübungen leistungsfähiger werden . „Der Zeitgeist zeigt, dass Menschen zwischen 25 und 35 sich generell mehr für ihre mentale Gesundheit interessieren und sich über Meditation und Achtsamkeitsübungen informieren“, sagt er.

Dass Headspace auch mit einem psychotherapeutischen Angebot überzeugen kann, hält Böhler zumindest in Deutschland eher für unrealistisch. „In der vorbeugenden Gesundheitsversorgung überzeugt Headspace mit diversen Studien, die aber weiche Endpunkte haben“, sagt er. Damit gemeint sei, wie Studienteilnehmer eine Besserung durch die Headspace-Nutzung bewerten. „Ein Wohlfühlen reicht für die Wirksamkeit der App bereits aus“, sagt Böhler.

Datenbasierte Therapien möglich

Einen entscheidenden Vorteil im Care-Dienst sieht Böhler darin, dass Headspace datengestützte Entscheidungen treffen kann. „In einer analogen Therapie ist der Patient beispielsweise vor der ersten Behandlung unbekannt, digitale Lösungen generieren durch Fragebögen mehr Wissen über Patienten“, sagt Böhler.

Auch Kostenvorteile für Coaches und Psychotherapeuten könnten laut Böhler das Geschäftsmodell von Headspace antreiben: „Aus Sicht eines Coaches oder Psychotherapeuten ist ein IT-Investment in eine eigene Website und deren Verbreitung deutlich höher, als sein digitales Angebot zum Beispiel über Anbieter wie Headspace laufen zu lassen.“ Er zieht einen Vergleich zum Einzelhandel: „Vor sechs Jahren haben Einzelhändler über Webseiten nachgedacht, heute sind sie allerdings auf Plattformen wie Amazon gelistet.“

Enno Maaß ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung und geht hier nicht mit: „Ein Mensch mit Depressionen geht nicht aus Spaß ins Internet und lässt sich von buntem Marketing auf Webseiten oder in Apps motivieren.“ Datenbasierte Onlineprogramme oder Angebote für einen optimalen Lifestyle könnten Patienten laut Maaß zudem zusätzlich überfordern. „Nicht selten sind schnelle Technologien mitverantwortlich für eine psychische Erkrankung“, sagt er.

Was Headspace auch fehlt, ist der persönliche Austausch. „Psychische Krankheiten sind komplexer, wir achten zum Beispiel auf psychosomatische Reaktionen, Körperhaltung oder Gangart eines Menschen, um dadurch mehr über seine Psyche zu erfahren “, sagt Enno Maaß. Auch Hinweise wie schwitzige Hände oder eine Alkoholfahne könnten nur über einen persönlichen Kontakt festgestellt werden.

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