Bei der Rettung von Ertrinkenden zählt im Schwimmbad jede Sekunde. Das israelische Start-up Lynxight will Rettungsschwimmer mit Künstlicher Intelligenz unterstützen.
Lynxight
Die KI des Unternehmens erfasst die Bewegungen der Menschen im Schwimmbad.
Bild: Lynxight
Die Bilder gingen um die Welt: In der vergangenen Woche kollabierte die US-Synchronschwimmerin Anita Alvarez bei der Schwimm-WM in Budapest nach ihrer Solo-Kür im Schwimmbecken – und sank auf den 2,70 Meter tiefen Boden. Ihre Trainerin reagierte am schnellsten, sprang ins Wasser und zog die bewusstlose 25-Jährige an die Oberfläche. Alvarez atmete zunächst nicht, erholte sich aber innerhalb weniger Minuten. Der Vorfall zeigt: Selbst durchtrainierte Profischwimmer können in einem Schwimmbecken ertrinken, wenn ihnen nicht schnell genug geholfen wird.
Ein Start-up aus Israel möchte Schwimmbäder sicherer machen – durch Künstliche Intelligenz. Das 2019 gestartete Unternehmen Lynxight mit Sitz in Yokne’am Ilit in der Nähe von Haifa hat eine Software entwickelt, die Bewegungen im Wasser analysiert. Benötigt werden lediglich Überwachungskameras über dem Becken sowie WLAN. „Fast jedes Bad wird sowieso durch Kameras überwacht“, sagt Eyal Amit, Mitgründer und CCO bei Lynxight. Diese Daten würden heute aber kaum genutzt. „Eine Kamera allein genügt nicht.“ Daher verknüpfe man diese mit intelligenten Algorithmen.
Die beiden Lynxight-Gründer
Omer Bar-Ilan (links) und Eyal Amit
Foto: Unternehmen
Eyal Amit und Mitgründer Omer Bar-Ilan gingen in Israel schon gemeinsam zur Schule. Die Idee zur Gründung entstand unter anderem durch einen Schwimmbadbesuch Bar-Ilans. Der studierte Elektrotechniker, der sich beruflich seit langem mit visueller KI beschäftigt, besuchte mit seinem Kind ein öffentliches Bad – und wunderte sich, wie das Aufsichtspersonal im übervollen Becken den Überblick behalten konnte.
„Uns wurde bewusst, dass visuelle KI heute in allen Bereichen eingesetzt wird – aber bisher kaum im Wasser“, sagt Amit. Wasser ist besonders schwer zu analysieren – das Medium ist schließlich in Bewegung und reflektiert Licht. Die Algorithmen von Lynxight sollen solche Störfaktoren herausrechnen. Bei der Analyse menschlichen Verhaltens stützt sich das System auf anonyme Videodaten aus Schwimmbädern – dadurch lernt die KI immer weiter dazu.
Das System erkennt, wenn sich eine Person unter der Wasseroberfläche nicht mehr bewegt. Es schlägt aber auch Alarm, wenn ein Badegast auffälliges Verhalten zeigt, das zu Beginn einer möglichen Notsituation steht – etwa ungewöhnliche Auf- und Abbewegungen. Und es soll erkennen, wenn sich ein unbeaufsichtigtes Kind dem Schwimmerbecken nähert oder gar hineinfällt. „Wir wollen brenzlige Situationen so früh erkennen, dass es erst gar nicht zu einer dramatischen Rettungsaktion kommen muss“, sagt Amit. Im Fall eines Alarms erhalten die Rettungsschwimmer ein Signal auf ihrer Smartwatch, welche die Position des registrierten Vorfalls anzeigt.
Medizinisch gesehen zählt bei der Wasserrettung jede Sekunde. Nach etwa drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoff ist das Gehirn in der Regel irreversibel geschädigt. Zwar ertrinken die meisten Menschen in unbeaufsichtigten natürlichen Gewässern. Doch auch in Schwimmbädern starben in Deutschland nach Zahlen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) im vergangenen Jahr sieben Personen. DLRG-Sprecher Martin Holzhause begrüßt zusätzliche Hilfen wie jene von Lynxight: „Eine solche Technologie kann das Personal im Schwimmbad zwar nicht ersetzen, aber ganz sicher eine wertvolle Ergänzung sein.“
Die Idee, badende Menschen technisch besser zu überwachen, ist nicht neu. Bisherige Systeme setzen oft auf Unterwasserkameras, deren Installation aber sehr teuer ist – vor allem bei einer Nachrüstung bereits fertiger Schwimmbecken. Ein anderer Ansatz: Die Badegäste erhalten am Eingang ein Armband, das einen Alarm auslöst, wenn es sich zu lang unter Wasser befindet. Doch auch das bedeutet einen großen Mehraufwand.
Lynxight will ohne zusätzliche Geräte auskommen. Bei der Installation muss oft nicht einmal ein Vertreter vor Ort sein. Auch deshalb ist das System trotz des bisher nur 20-köpfigen Teams bereits in sieben Ländern im Einsatz. In Deutschland laufen seit 2021 Testphasen in einem Hallenbad in Wiesbaden sowie im Freizeit-Kombibad CabrioLi in Lippstadt. In etwa zwei Wochen soll die Testphase im Münchener Südbad im Stadtteil Sendling starten.
Technisch musste nur die Verkabelung für das WLAN nachgerüstet werden, sagt Doris Betzl, Sprecherin der Stadtwerke München. Das System solle das Personal in unübersichtlichen Situationen unterstützen. Als Nebeneffekt erhoffe man sich Daten über die Auslastung der Becken. Das Pilotprojekt läuft für zwei Jahre. „Sollte es sich bewähren, ist eine Ausweitung auf weitere Bäder denkbar“, sagt Betzl.
Die Überwachung eines einzelnen Beckens kostet Schwimmbadbetreiber etwa 750 Euro monatlich – Betreiber mehrerer Becken erhalten Rabatte. Derzeit arbeitet das Start-up an Verträgen mit großen Betreibern, die jeweils mehrere Hundert Becken mit der Technologie versehen könnten. Investoren sind unter anderem die israelischen Venture Capitals Terra Venture Partners und Aristagora VC. Das Team soll wachsen, vor allem in den Bereichen Kundenbetreuung und Verkauf. Lynxight könne den sehr anspruchsvollen Job der Rettungsschwimmer wieder attraktiver machen, glaubt er – indem es sie entlaste und ihnen bei ihrer eigentlichen Aufgabe helfe: Leben retten.
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