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09.06.2022

08:06

Künstliche Intelligenz

Sprachassistenten sollen Pflegekräfte entlasten

Von: Steffen Ermisch

Start-ups wollen die Dokumentation von Arbeitsschritten erleichtern. Die Funktionen der Sprachsysteme sind aber noch überschaubar.

Gründer Marcel Schmidberger erklärt seine Dokumentations-App.

Voize

Gründer Marcel Schmidberger erklärt seine Dokumentations-App.

Düsseldorf Vom Waschen über den Verbandswechsel bis zur Verabreichung von Medikamenten: Akribisch müssen Pflegekräfte jeden Handgriff protokollieren. Fast ein Drittel der Arbeitszeit geht Studien zufolge für administrative Tätigkeiten verloren. Entlastung verspricht das aus dem Potsdamer Hasso-Plattner-Institut ausgegründete Start-up Voize. „Wir sorgen dafür, dass alles mühelos am Smartphone dokumentiert werden kann und mehr Zeit für die eigentliche Pflege bleibt“, sagt Mitgründer Fabio Schmidberger.

Entwickelt hat das Start-up eine App für die Dokumentation – mit einer Besonderheit: Die Eingaben erfolgen per Spracheingabe. Die Aussage „Blutzucker 200 digital gemessen“ etwa trägt Messdaten und -methode in die Patientenakte ein – und zeigt der Pflegekraft in der App auch gleich Vergleichswerte aus der Vergangenheit an. Synchronisiert werden die Eingaben mit dem bestehenden Dokumentationssystem. Die sonst üblichen Eingaben am PC bei Schichtende entfallen.

Mehrere dutzend stationäre Pflegeeinrichtungen hat das erst im Juni 2020 gegründete Start-up eigenen Angaben zufolge bereits überzeugt. Zu den Referenzen gehören das Essener Seniorenstift Contilia, der Caritasverband für Stuttgart und die Kleeblatt Pflegeheime aus Ludwigsburg. Unter den Investoren von Voize ist neben anderen die renommierte US-Start-up-Schmiede Y Combinator.

Dexter will die Patienten-Klingel ergänzen

Die Idee, mit Sprachassistenten für effizientere Prozesse in der überlasteten Pflegebranche zu sorgen, verfolgen auch andere Unternehmen. In den USA dockt etwa das Start-up Aiva an smarte Lautsprecher von Google und Amazon an, um die Sprachassistenten der Konzerne für den Einsatz in Seniorenresidenzen fit zu machen. Amazon selbst bietet bereits eine Software für Alexa-Geräte an, die Angehörige bei der häuslichen Pflege unterstützen soll.

Eine Alternative mit hohen Datenschutzstandards will Dexter Health entwickeln. Das Start-up setzt ebenfalls auf Lautsprecher mit Mikrofonen – und will damit Pflegeheime ausrüsten. „Wir ergänzen die althergebrachte Patienten-Klingel“, sagt Mitgründer Marc Margulan. Bisher wüssten Pflegekräfte nicht, was hinter einem Alarm steckt. Die Folge seien unnötige Laufwege. Künftig sollen die Patienten ihre Wünsche per Sprachbefehl äußern – etwa so: „Hi Dexter, ich muss dringend auf Toilette.“ Pflegekräfte sollen auf ihrem Smartphone auf einen Blick sehen, welche Anliegen ihre Patienten haben.

Getestet wird Dexter laut Margulan aktuell in drei Pflegeeinrichtungen. „Wir trainieren aktuell noch unser Künstliche Intelligenz“, sagt der Gründer. So soll der Sprachassistent einerseits für die Stimmtöne und Wortschätze älterer Leute optimiert werden – andererseits aber auch medizinische Fachbegriffe erkennen. Denn auch für die Dokumentation soll das System genutzt werden.

Start-ups können auf vorhandene KI-Modelle aufsetzen

Einen Sprachassistenten zu entwickeln, ist technisch alles andere als banal. Bei null müssen Start-ups aber nicht anfangen, weiß Joachim Köhler. „Es gibt mittlerweile viele KI-Modelle, auf die man aufsetzen kann“, sagt der Forscher am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse und Informationssysteme IAIS. Die Forschungseinrichtung selbst bietet mit Allinga eine Software für Sprachassistenten an. Auch kostenlos nutzbare Open-Source-Modelle können der Startpunkt sein.

Grundsätzlich seien Computer inzwischen sehr gut darin, Sprache in Text umzuwandeln, so Köhler. „Beim Textverständnis hakt es aber noch.“ Zwar versprechen sogenannte große KI-Sprachmodelle diesbezüglich Quantensprünge. Noch beschäftigten aber Tech-Riesen wie Amazon, Google und Apple Hunderte Menschen, um ihren Sprachassistenten neue Kniffe beizubringen – und sie als möglichst vielfältige Helfer wirken zu lassen. „Ein klarer Fokus auf bestimmte Aufgaben und Vokabeln ist sehr viel leichter realisierbar“, sagt der Experte.

Doch auch in der Nische bleibt die Entwicklung anspruchsvoll, wie das Beispiel Caru zeigt. Das Start-up aus Zürich vertreibt einen Notfallknopf für die ambulante Pflege, der mit dem Sprachbefehl „Hilfe“ aktiviert werden kann. In einem Forschungsprojekt wurden nun weitergehende Spracheingaben erprobt. Doch der Mehrwert sei begrenzt, sagt Gründerin Susanne Dröscher: „Es gibt eine hohe Erwartungshaltung der Nutzer, die mit dem technischen Stand noch nicht übereinstimmt“.
Eine weitere Hürde: Speziell für Menschen mit leichter Demenz sei es eine Herausforderung, die Interaktion zu starten, so Dröscher. Angesichts des großen Entwicklungsaufwands will Caru sich nun darauf konzentrieren, Patienten über Sprachausgaben des Geräts an die Einnahme von Medikamenten oder an Termine zu erinnern.

Assistenz auch im Funkloch

Dexter und Voice wirken technisch weiter fortgeschritten – umfangreiche Dialoge mit der KI werden die Nutzer der Systeme aber auch nicht führen. So ist bei Voize gar nicht vorgesehen, dass das System Antworten gibt. Stattdessen konzentriert sich das Start-up darauf, die Eingaben und Intention der Nutzer korrekt zu erkennen. „Pflegekräfte sprechen am Smartphone frei ein und die Voize-KI füllt dazu das passende Formular aus“, erklärt Mitgründer Schmidberger. Stolz ist das Start-up darauf, dass die Sprachmodelle lokal auf dem Smartphone arbeiten. „Oft gibt es keine durchgängige WLAN-Abdeckung in Seniorenheimen“, so der Gründer.

Mehr Bauchschmerzen bereitet dem aktuell zwölfköpfigen Start-up die Anbindung an die Pflegedokumentations-Systeme: „Es gibt zwar einen Standard für den Datenaustausch, der ist aber noch nicht weit verbreitet.“ Man müsse deswegen Integrationen zu einzelnen Systemen schaffen. Zudem tastet sich Voize in andere Branchen vor: Erprobt wird der Einsatz bei Fahrzeugprüfungen.

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