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27.10.2022

15:25

Künstliche Intelligenz

Wird das Smartphone zum Corona-Testzentrum?

Von: Steffen Ermisch

KI-Forscher sind überzeugt, dass sich eine Covid-Erkrankung anhand digitaler Biomarker zuverlässig erkennen lässt. Doch die Entwicklung kommerzieller Anwendungen lässt noch auf sich warten.

Eine Alternative zum herkömmlichen Corona-Schnelltest ist ein Rachenabstrich-Testsystem, das Ergebnisse in einer App ausgibt. dpa

Analoger Schnelltest

Eine Alternative zum herkömmlichen Corona-Schnelltest ist ein Rachenabstrich-Testsystem, das Ergebnisse in einer App ausgibt.

Köln Bitte dreimal ins Handy husten: Via WhatsApp fordert „Boti“ eine Sprachnachricht an. Die Antwort des Chatbots kommt nach wenigen Sekunden – dieses Mal mit einer beruhigenden Nachricht: „Basierend auf deinen Eingaben hast du keine Symptome, daher besteht vorerst kein Verdacht auf Covid-19“, schreibt das Programm der Stadtverwaltung von Buenos Aires auf Spanisch, gefolgt von einem Daumen-nach-oben-Emoji.

Der fast beiläufige digitale Coronatest, seit Februar in der argentinischen Hauptstadt im Einsatz, ist ein Exot. Zwar arbeiten weltweit Forscher daran, aus Stimm- oder Hustenproben sowie aus Daten von Fitnesstrackern Covid-Erkrankungen zu erkennen. Künstliche Intelligenz, so die Vision, erkennt schnell Abweichungen zu den Werten gesunder Menschen. Doch im Alltag nutzbare Anwendungen sind noch die große Ausnahme – und auch der argentinische Chatbot ist bisher nicht als gleichwertiger Ersatz für den Rachen- oder Nasenabstrich gedacht.

Dabei sind Forscher immer wieder zuversichtlich, ausgereifte Verfahren entwickelt zu haben. Vor wenigen Wochen meldete etwa ein Team der Universität Maastricht, Covid-Erkrankungen anhand von Audioproben zuverlässiger als Schnelltests erkannt zu haben. Ein anderes Projekt mit dem Namen „Covid-Gapp“ nährte im Juni Hoffnungen auf ein frühes Warnsystem: Mit der Analyse der Daten eines Sensorarmbands war es gelungen, Infektionen zwei Tage vor Symptomausbruch zu erkennen. Das eigentlich zum Zyklustracking gedachte Armband misst unter anderem Hauttemperatur, Atem- und Herzfrequenz.

Sichere Diagnose bleibt eine schwierige Aufgabe für die Software

Andere Experten mahnen jedoch vor zu viel Euphorie. „Die wissenschaftliche Grundlage ist inzwischen sehr gut, aber es gibt auch noch Weiterentwicklungsbedarf“, sagt Björn Schuller. Der Professor für Künstliche Intelligenz und Digitale Gesundheit an der Universität Augsburg sowie am Imperial College London war selbst schon früh an zahlreichen Studien und Überblicksartikeln zum Thema beteiligt. Viele der KI-Modelle hätten noch Probleme, eine Covid-Infektion von anderen Atemwegserkrankungen zuverlässig zu unterscheiden, da die Datenlage noch zu klein sei.

Viele Verfahren sind zudem noch ungenauer als die Antigen-Schnelltests. Oft ist zwar die Sensitivität hoch – erkrankte Personen werden also zuverlässig als krank erkannt. Doch in vielen Fällen hapert es bei der sogenannten Spezifität – es werden dann viele falsch-positive Ergebnisse produziert. Das war etwa in der Covid-Gapp-Studie der Fall. Schuller hält die technischen Probleme aber für lösbar – vor allem kombinierte Analysen von Sprachproben und Wearable-Daten seien erfolgsversprechend.

Hohe Hürden für die Zertifizierung

Eine weitere Herausforderung ist der Transfer von Forschungsprojekten in ein kommerzielles Produkt. Mit Wissenschaftlern der Uni Augsburg arbeitet das von Björn und Dagmar Schuller mitgegründete Unternehmen Audeering seit 2020 daran, einen digitalen Coronatest auf Basis von Sprech- und Hustenproben zu entwickeln. „Unsere Vision ist eine App, mit der sich Privatnutzer gegen ein monatliches Abo regelmäßig testen lassen können“, sagt Geschäftsführerin Dagmar Schuller.

Die regulatorischen Anforderungen seien aber hoch: Als Diagnoseinstrument würde eine solche App in Europa als digitales Medizinprodukt der Risikoklasse IIa gelten. Die aufwendigen Studien und Zulassungsprozesse will das Start-up erst in Angriff nehmen, wenn die KI-Erkennung ausgereift ist. „Die Performance bei Menschen mit Symptomen ist sehr gut“, sagt Dagmar Schuller. Deutlich geringer seien noch die Erkennungsraten bei asymptomischen Personen. „Hier sind wir auf ausreichende Datenmengen durch freiwillige Datenspenden von asymptomatischen Personen angewiesen, die einen positiven Corona-Test haben.“

Auch andere Start-ups ringen um die Kommerzialisierung. Darunter etwa Resapp, ein Spin-off der University of Queensland in Brisbane. In einer Pilotstudie meldete das Unternehmen für seine Testmethode, die das Husten von Menschen analysiert, vielversprechende Ergebnisse. Kürzlich übernahm der Pharmakonzern Pfizer das australische Unternehmen. Nach Angaben der Universität lag der Kaufpreis bei umgerechnet 115 Millionen Euro. „Wir sehen großes Potenzial in der Verwendung eines Smartphones zum Screening auf Covid-19“, teilte ein Pfizer-Sprecher auf Anfrage mit.

Dazu, wann die Anwendung auf den Markt kommen könnte, macht der Konzern keine konkreten Angaben. Man arbeite daran, den Algorithmus weiter zu optimieren, so der Sprecher. Grundsätzlich könnten finanzstarke Geldgeber die Produktentwicklung deutlich beschleunigen, ist Björn Schuller überzeugt. Mit großen Anstrengungen könnte innerhalb eines Jahres eine praxistaugliche, zertifizierte Anwendung mit Mehrwert entstehen, so seine Prognose.

Testsystem mit Cloud-Anbindung

Als Übergangstechnologie für den Einsatz in Unternehmen oder Daheim bieten sich Testsysteme an, die zwar einen Abstrich brauchen, aber digital unterstützt sind. Eine Art Labor für die Hosentasche hat etwa Midge Medical entwickelt. Wie bei einem PCR-Test wird dabei das virale Erbgut vervielfältigt. Das vom Berliner Start-up genutzte biochemische Verfahren erlaubt es, die Testgeräte selbst schlank zu halten. Die eigentliche Datenauswertung findet in der Cloud statt, das Ergebnis ist nach 18 Minuten in einer App abrufbar.

Das Gerät sei sehr klein und günstig, weil Standard-Komponenten aus der Smartphone-Branche genutzt werden könnten, wirbt das Start-up. Die Diagnose-Genauigkeit bei Corona sei mit PCR-Tests vergleichbar. Im Mai hat Midge Medical eine Zulassung als Medizingerät erreicht, kommenden Monat soll das „Minoo“ getaufte Covid-Testsystem auf den Markt kommen.

Genutzt werden dürfen die Geräte zunächst aber nur von medizinisch geschultem Personal – Midge Medical zielt auf Arztpraxen, Rettungskräfte, Unternehmen mit Betriebsarzt und Apotheken. Eine zweite Gerätegeneration für den Gebrauch zu Hause ist Unternehmensangaben zufolge in Arbeit. Damit die Minoo-App zum Alltagsbegleiter werden kann, wäre aber in Deutschland eine Lockerung der Medizinprodukt-Abgabe-Verordnung nötig.

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