Die Lieferung von Medikamenten und Proben per Drohne wird in mehreren Krankenhäusern getestet. Aus regulatorischer Sicht rückt ein Regelbetrieb näher.
Lieferung
Babynahrung per Drohne.
Bild: Vodafone
Eine automatische Wagentransportanlage und ein Rohrpostsystem gibt es auf dem Campus der Düsseldorfer Uniklinik. Trotzdem muss Christina Westhoff immer wieder Kuriere im Auto losschicken, damit Medikamente rechtzeitig ankommen. „Es sind leider nicht alle Gebäude an die bestehenden Systeme angeschlossen“, sagt die Leiterin der Zentralapotheke. Zudem würden sich gelegentlich Lieferungen bei der Wagentransportanlage stauen. Gerade bei individuell hergestellten Präparaten sei die Zeit oft knapp.
Mitte Mai hat die Uniklinik zusammen mit Mobilfunkanbieter Vodafone, der auf dem Campus ein 5G-Netz aufbaut, eine Alternative getestet: Per Drohne ist ein Behälter mit flüssiger Babynahrung zur Kinderklinik geflogen worden. „Im Grundsatz hat das sehr gut funktioniert“, sagt Westhoff. Weniger als eine Minute habe die Drohne für die 450 Meter lange Strecke gebraucht.
Nicht nur die Uniklinik Düsseldorf spielt aktuell die Möglichkeit durch, mit Lufttransporten den Warenfluss zu beschleunigen. Die Drohne wird in verschiedenen Forschungsprojekten getestet. Dabei geht es nicht nur darum, Medikamente oder Laborproben innerhalb weitläufiger Campusgelände schneller ans Ziel zu bringen. Auch der Warenaustausch zwischen mehreren Kilometern entfernten Einrichtungen wird getestet. Das Hamburger Projekt Medifly etwa hat zum Ziel, ein Transportnetz zwischen vier Kliniken aufzubauen.
In einer ersten Projektphase wurde bereits der Transport von Gewebeproben zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek und dem fünf Kilometer entfernten Marienkrankenhaus in Hohenfelde erprobt. „Bisher werden Rettungswagen dafür losgeschickt, die aber auch mit Blaulicht im Stadtverkehr kaum vorankommen“, erklärt Projektleiterin Sabrina John, Geschäftsführerin der auf Flugsicherungssoftware spezialisierten IT-Schmiede GLVI. Von den Befunden hänge ab, wie die Ärzte bei einer laufenden Operation vorgehen.
Das Unternehmen Wingcopter, mit Sitz in der Nähe von Darmstadt, entwickelt Drohnen und baut sie in einer 7200 Quadratmeter großen Fabrik selbst zusammen. Gerade hat Wingcopter eine neue Finanzierungsrunde von 42 Millionen US-Dollar (39 Millionen Euro) bekannt gegeben. Als neuer Investor ist der Lebensmittelhändler Rewe eingestiegen. Die Bestandsinvestoren Futury Capital aus Deutschland und Xplorer Capital aus den Vereinigten Staaten beteiligten sich erneut. Insgesamt verfügt das Start-up nun über Risikokapital in Höhe von 60 Millionen US-Dollar (57 Millionen Euro).
Im afrikanischen Malawi hat Wingcopter die eigenen Drohnen bereits ausführlich getestet. In über 1.100 Lieferungen wären mehr als 1.200 Kg an Medikamenten, Proben, Corona-Impfstoffen und anderen medizinische Güter in 24 verschiedene abgelegene Krankenstationen transportiert worden, schreibt das Unternehmen auf Anfrage von Handelsblatt Inside. In Kürze soll dort auch das neueste Modell aus der hauseigenen Fabrikation zum Einsatz kommen, der Wingcopter 198.
Medifly
Eine Drohne des Unternehmens.
Bild: Airial Robotics
Eine Zulassung von der US-amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA hat das hessische Unternehmen für seine Drohne jedoch noch nicht bekommen. Auch in Deutschland wird sie im Gesundheitssystem nicht regelhaft eingesetzt, sondern nur in Pilotprojekten getestet.
Lange galt der Warentransport via Drohne hierzulande aus rechtlichen Gründen kaum umsetzbar. Das ändert sich nun, beobachtet Johann Dauer vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR). „Wir befinden uns aktuell in einer regulatorischen Umbruchphase“, sagt der Leiter der Abteilung Unbemannte Luftfahrzeuge am Institut für Flugsystemtechnik in Braunschweig. Denn: Anfang 2021 wurden nationale Regelwerke durch eine Drohnenverordnung der EU abgelöst. Ein kommerzieller Betrieb wäre nach Einschätzung des Experten damit schon möglich.
In der Praxis fühlen sich viele in der Branche aber ausgebremst. So will der bayerische Drohnenhersteller Quantum-Systems im Projekt MEDinTime Erfahrungen mit dem Lufttransport von Medikamenten sammeln. Für das Frühjahr waren Flüge zwischen den Kliniken Ingolstadt und Pfaffenhofen geplant. „Technisch sind wir längst bereit“, sagt der Projektkoordinator Pierre Ulfig. „Aber eine Genehmigung des Luftfahrtbundesamtes steht noch aus.“ Nun hofft der Projektmanager, Ende August mit Tests starten zu können – an einen Regelbetrieb sei noch nicht zu denken.
Optimistischer ist man in Hamburg: Dort rechnet man damit, dass Flüge im Rahmen der zweiten Projektphase von Medifly spätestens im Herbst beginnen. Bis zu 30 Kilometer sollen die Drohnen dabei automatisiert zurücklegen. Aus dem Testbetrieb mit mehreren Flügen täglich könnten schnell reale Anwendungen entwachsen, glaubt Projektleiterin John. „Der medizinische Markt ist der Türöffner für die Branche – weil es hier einen echten Bedarf gibt.“
Die unterschiedlichen Einschätzungen überraschen Johann Dauer nicht. Es fehlten bisher Erfahrungswerte zur konkreten Ausgestaltung der neuen EU-Regeln. „Sowohl Betreiber als auch Behörden lernen aktuell in Pilotprojekten viel dazu“, sagt der DLR-Forscher. Kompliziert werde es vor allem dann, wenn Drohnen über städtisches Gebiet fliegen sollen – und wenn sie der bemannten Luftfahrt in die Quere kommen können. Im Krankenhausumfeld sei das wegen Rettungshubschraubern regelmäßig der Fall.
Erleichtern könnten das sogenannte U-Spaces – spezielle Bereiche im unteren Luftraum. Dienstleister sollen nach dem Willen der EU dort Verkehrsinformationen bemannter und unbemannter Luftfahrt zusammenführen und die von Drohnenbetreibern eingereichten Flugrouten prüfen. Doch die eigentlich für Anfang 2023 geforderte Umsetzung verzögert sich in Deutschland. „Aus unserer Sicht ist das der entscheidende Baustein, der noch fehlt“, sagt Ulfig von Quantum-Systems.
Medilfy-Projektmanagerin John, die mit ihrem Unternehmen auch Software für die automatisierte Überwachung der U-Space-Systeme entwickelt, sieht darin kein Hindernis. „Wir arbeiten hinsichtlich der Verfahren eng mit der Flugsicherung zusammen und verfügen darüber hinaus über ein unabhängiges Luftlagebild.“ Transponder an den Drohnen stellten sicher, dass diese erkannt würden – und auch selbst Signale etwa aufsteigender Hubschrauber empfangen können.
Rechtliche Unsicherheiten sind indes nur ein Grund dafür, dass Drohnen-Projekte noch schleppend vorankommen. „Im Moment braucht man hochqualifiziertes Personal für den Betrieb“, sagt DRL-Experte Dauer. Dazu gehörten etwa Piloten, die im Notfall die Steuerung übernehmen. Zudem sei wetterfestes Fluggerät noch teuer – mit fünf- bis sechsstelligen Beträgen müsse gerechnet werden. „Da stellt sich schon die Frage nach geeigneten Geschäftsmodellen, beispielsweise von externen Dienstleistern, damit Krankenhäuser solche Herausforderungen stemmen können.“
In Düsseldorf will man sich mit der Entscheidungsfindung noch Zeit lassen. Dort sind vorerst keine weiteren Probeflüge geplant. Apothekerin Westhoff hofft, dass ein anderes Vorhaben schneller voranschreitet: Das gute alte Rohrpostsystem soll nun auf weitere Gebäudeteile erweitert werden – und könnte dann auch bei der Babynahrung für mehr Tempo sorgen.
Mitarbeit: Lukas Hoffmann
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×