PremiumDie Hausarztpraxis soll digital werden. Mit einem eigenen Konzept will Avi Medical weitere Praxen übernehmen und umbauen. Dafür erhalten die Gründer nun frisches Kapital.
Die Gründer und Geschäftsführer von Avi Medical
Julian Kley und Vlad Lata (Foto: Unternehmen)
München Der Eingangsbereich der Praxis von Avi Medical in München Lehel erinnert an einen Hotelempfang. Neben einer Sitzecke, die mit Pflanzen dekoriert ist, wurde ein Empfang für die Patienten eingerichtet. Zwei medizinische Fachangestellte erfassen ihre Daten in Notebooks, die vor ihnen aufgeklappt sind. Das Telefon ist still und das Wartezimmer leer. Auf ihrer weißen Dienstkleidung steht ein A für Avi Medical.
Ihr Arbeitgeber ist ein Start-up, das Anfang 2020 von Vlad Lata (32), Julian Kley (34) und Christoph Baumeister (34) gegründet wurde. Baumeister hat das Unternehmen inzwischen verlassen. Das Team baut moderne Hausarztpraxen und schließt nun eine Finanzierungsrunde in Höhe von 50 Millionen Euro ab.
Mit dem frischen Kapital wollen sie in den kommenden vier Jahren 100 Avi-Praxen eröffnen und ihre Software weiterentwickeln. Angeführt wird die Finanzierungsrunde von Balderton Capital, weitere Kapitalgeber wie Picus Capital, Vorwerk Ventures und Eurazeo schlossen sich an.
Auch Bestandsinvestoren wie Eckhardt Weber, Geschäftsführer von Heal Capital, haben ihr Investment aufgestockt. Überzeugt habe ihn vor allem das Gründerteam. Es gehe den Avi-Medical-Gründern nicht darum, möglichst schnell eine Klinikkette zusammenzukaufen, betont Weber. „Sie werden über die nächsten Jahre nachhaltig wachsen, der Bedarf nach Technologie, die die Patientenversorgung grundlegend verbessert, ist da“, sagt er.
Die Gründer bringen dafür die nötigen Qualifikationen mit: Lata ist studierter Ingenieur und hat mit Konux bereits im Jahr 2014 ein erfolgreiches Start-up gegründet. Das Unternehmen stattet die Deutsche Bahn heute mit Sensoren zur Fehlerdiagnose aus.
Mitgründer Kley ist studierter Arzt und bringt seine medizinische Expertise mit ein. Nachdem er in der Herzchirurgie geforscht hatte, startete er als Berater bei der Boston Consulting Group. Avi Medical ist seine erste Unternehmensgründung.
Heute besucht Kley vor allem Ärzte, die kurz vor der Rente stehen, um ihre Praxen abzuwerben. Ihre Arbeitszeit hätten sie bereits reduziert, aber aus Verbundenheit zu ihren Patienten noch nicht aufgehört, berichtet er. In der Regel übernimmt Avi Medical Kassensitze. Arztpraxen bekommen dann einen Avi-Anstrich, die Software wird installiert, sodass die Praxis mit der App vernetzt werden kann. Die Patientenkontakte werden vom Vorgänger übernommen. Aktuell zählt das Start-up 20.000 Patienten.
Insgesamt acht Avi-Praxen in München, Hamburg und Berlin sind derzeit in Betrieb, vier weitere befinden sich im Aufbau. In Lehel übernimmt Deborah Amberg gemeinsam mit Friedrich Ziebula die medizinische Leitung. Zehn Jahre habe sie in einer konservativen Hausarztpraxis gearbeitet. Sie spricht von alten, starren Arbeitsprozessen, die noch nicht dem technologischen Standard entsprechen oder an die Bedürfnisse von Menschen angepasst seien. „Das ist kein Wunder, denn heute müssen Ärzte die Patientenbehandlung, die Finanzen, Einkäufe und das Personalmanagement übernehmen“, berichtet die Medizinerin. Viel Zeit, um die Praxis zu digitalisieren, bliebe nicht übrig.
Mit der Bewerbung bei Avi wollte Amberg aus diesem System ausbrechen. Heute tauscht sie sich regelmäßig mit den Gründern, dem Praxispersonal und IT-Mitarbeitern im Videochat aus. Besprochen wird etwa, an welchen Stellen die Praxissoftware noch verbessert werden kann oder wie die Auswertung der Patientenzufriedenheit ausgefallen ist. Denn nach jeder Behandlung fragt die Avi-App ihre Besucher, wie zufrieden sie mit der Sprechstunde waren. Die Daten werden gesammelt, um eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu betrachten.
Nachdem Patienten sich mit ihrer E-Mail-Adresse registriert haben, können sie in der App Termine für eine Videosprechstunde oder einen Praxisbesuch vereinbaren. 24 Stunden lang gibt es für wichtige Anliegen außerdem die Möglichkeit, mit einem Arzt zu chatten. Befunde können hochgeladen und geteilt werden.
Die gesundheitlichen Beschwerden oder Risikofaktoren wie Erkrankungen der Eltern werden bereits vor einer Behandlung über die App abgefragt. „Dadurch können wir die Abläufe in der Praxis besser planen, zum Beispiel, wie viel Zeit unsere Ärzte für Patienten aufgrund ihres Risikoprofils voraussichtlich benötigen“, erklärt Gründer Lata. Ziel sei es, Patienten mittels der Daten individueller behandeln zu können und Wartezeiten zu verkürzen.
Doch nicht alle Ärzte schätzen die neuen Konzepte. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern hat eine große Sorge: Investoren könnten am Ende nur auf die Rendite blicken und medizinische Einrichtungen nicht zum Wohle der Patienten führen. Auf der Jahrespressekonferenz 2021 forderte der Vorstand die neue Regierung sogar dazu auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Speziell zu Avi Medical äußert der Verband sich nicht.
Gründer Lata weist die Vorwürfe zurück. Die Investoren von Avi Medical wollten die Patientenversorgung „langfristig“ verbessern. „Alle unsere Ärzte sind in ihren medizinischen Entscheidungen komplett frei und treffen diese allein im besten Patienteninteresse“, sagt er.
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