MenüZurück
Wird geladen.

04.04.2022

07:28

Offener Brief

Unternehmer fordern unbegrenzte Videosprechstunde

Von: Britta Rybicki

Ärzte können nur noch 30 Prozent aller Sprechstunden im Monat per Videochat abrechnen. Telemedizinanbieter fordern eine Verlängerung des Angebots für alle Ärzte und Versicherte.

Die 30-Prozent-Regel gilt für Kassenpatienten. imago images/Westend61

Telemedizin

Die 30-Prozent-Regel gilt für Kassenpatienten.

Düsseldorf Die Corona-Pandemie hält an. Immer mehr Menschen infizieren sich mit der Omikron-Variante des Virus. Trotzdem fallen die ersten Corona-Maßnahmen weg. Dazu zählen auch Sonderregelungen für Telemedizin. Um Ärztinnen und das Pflegepersonal vor einer Infektion zu schützen, waren Videosprechstunden dank einer Corona-Sonderregelung unbegrenzt über die Krankenkassen abrechenbar.

Ab diesem Monat können Ärzte und Psychotherapeuten pro Quartal nur noch 30 Prozent ihrer Patienten per Videosprechstunde behandeln und abrechnen. Anbieter sind verärgert. In einem offenen Brief fordern sie eine Eilentscheidung der Mitglieder des Bewertungsausschusses zur sofortigen Verlängerung der Corona-Sonderregelungen. Privat Versicherte haben weiterhin einen permanenten Zugang zu telemedizinischer Psychotherapie.

Mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen erschwere die abgelaufene Reglung die Patientenversorgung, heißt es in dem offenen Brief, der Handelsblatt Inside vorliegt. Unterzeichnerinnen sind der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung, sechs Telemedizin-Anbieter – darunter die führenden Unternehmen Teleclinic, Zava und Kry – und angestellte Ärztinnen. „Der Gesetzgeber muss zudem schnellstmöglich die Gesetzesgrundlagen zur Telemedizin überarbeiten – das Ziel müssen sinnvolle, zukunftsweisende Regelungen zur Telemedizin ohne willkürlich festgesetzte Obergrenzen sein“, lautet ihre Forderung außerdem.

Telemedizin-Anbieter sind verunsichert

Die Entscheidung stünde auch im Widerspruch zum Koalitionsvertrag. Dort sei zu lesen, dass die Videosprechstunde zur regelhaften Leistung werden soll. Schließlich sei die virtuelle Sprechstunde längst bei Patientinnen angekommen, heißt es weiter. „Waren es 2019 nur einige tausend Behandlungen, wurden 2021 mehrere Millionen durchgeführt“, schreiben die Verfasser des Briefes.

Zahlen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland belegen das: Von Januar bis Juni 2021 sprachen Ärztinnen und Patientinnen 2,3 Millionen Mal per Videochat miteinander. Das geht aus den Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung hervor.

Dass es nun wieder eine Deckelung gibt, verunsichert Geschäftsführer Peter Zeggel und sein Team: „Meine Mitarbeiter fragen sich, ob es das Unternehmen in vier Monaten noch geben wird.“ Sein Start-up Arztkonsultation bietet Kliniken Software für Telemedizin an. Krankenhäuser würden eine Monatspauschale zahlen, nicht für die Zahl der Nutzer. „Trotzdem werden Kunden abspringen, weil das Angebot mit der Beschränkung unattraktiv wird“, sagt er. Die politische Lage bezeichnet er als chaotisch. „Die Verbände kämpfen gegeneinander, das führt zu Planungsunsicherheit für Unternehmen.“

Angebote für Privatversicherte

Auf Anfrage von Handelsblatt Inside teilt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit, dass die Krankheitsverläufe trotz hoher Inzidenzen eher milder seien: „Jetzt steuern wir als Gesellschaft insgesamt Rahmenbedingungen an, die weg vom Ausnahmezustand einer Pandemie gehen.“ Die KBV will die Lage trotzdem weiter beobachten.

Einigkeit herrscht unter Ärztevertretungen bei diesem Thema offensichtlich nicht. So hatte der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) das Auslaufen der Sonderregelungen im März als zu früh bewertet. „Die Zahlen zur Videosprechstunde sind aus Sicht der KVN ein Beleg dafür, dass die Praxen der Digitalisierung offen gegenüberstehen, teilt die KVN mit. Ärzte wüssten längst, wie sie die Videosprechstunde gezielt in ihrem Arbeitsalltag einsetzen könnten.

Psychotherapeutinnen sind besorgt

Die 30-Prozent-Regel gilt allerdings nur für Kassenpatienten. Private Krankenversicherer übernehmen für ihre Patienten weiterhin die unbegrenzte Erstattung von Videosprechstunden in der Psychotherapie. Auf diese Vereinbarung verständigten sich der Verband der Privaten Krankenversicherungen, die Bundespsychotherapeutenkammer und Beihilfekostenträger von Bund und Ländern. „Die Möglichkeiten der Telemedizin, die jetzt immer stärker gefragt sind, belegen einmal mehr die Rolle der PKV als Türöffner für Innovationen“, sagt Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes.

Ernst Dietrich Munz ist Vorstandspräsident der Bundespsychotherapeutenkammer und freut sich nur bedingt über die neuen Abrechnungsmöglichkeiten für Privatversicherte. Dass die Videosprechstunde für gesetzlich Versicherte quasi wegfalle, sei „besorgniserregend“: „Gerade besonders gefährdete Patientinnen und Patienten, zum Beispiel mit einer Krebserkrankung, müssen effektiv geschützt werden können.“ In der psychotherapeutischen Behandlung von Krebspatienten sei Telemedizin „unverzichtbar“. Nur so könnte verhindert werden, dass eine Therapie unterbrochen wird.

Gegen die „Zweiklassenmedizin“ stellen sich auch die Unterzeichnerinnen des offenen Briefes. Sie nennen Gründe unabhängig von der Corona-Pandemie, die für eine bundesweite Förderung von Telemedizin sprechen: Lange Wartezeiten in Praxen, lange Anfahrtswege für kranke Patienten und den Fachkräftemangel.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×