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02.02.2022

21:24

Telemedizin

Hamburger Start-up eröffnet digitale Intensivstation

Von: Steffen Ermisch

Das Unternehmen TCC will Ärzte in Krankenhäusern mit einem eigenen Mediziner-Team entlasten. Bei der Bezahlung der Tele-Beratungen gibt es aber noch offene Fragen.

(Foto: Unternehmen)

TCC-Gründer David Barg (links) und Christian Storm

(Foto: Unternehmen)

Nicht erst seit der Coronapandemie arbeitet die Intensivstation der Kliniken Weilheim und Schongau oft am Limit: „Für kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum ist es schwer, Fachkräfte dauerhaft zu binden“, sagt Thomas Lippmann, Geschäftsführer der kommunalen Krankenhausgesellschaft in dem oberbayerischen Landkreis. Eine Folge der angespannten Personalsituation: Einige der Ärzte sind vergleichsweise unerfahren – und müssen dennoch folgenschwere Entscheidungen treffen.

Entlastung erhofft sich Lippmann von einem Start-up: TCC aus Hamburg verspricht, Intensivmediziner in Krankenhäusern per Telemedizin zu unterstützen. Rund um die Uhr soll ein Team erfahrener Ärzte für medizinische Fragen bereitstehen – und auch auf eigene Initiative hin Behandlungsvorschläge unterbreiten. Dazu werden Daten der intensivmedizinischen Geräte über eine gesicherte Internetverbindung an TCC übertragen.

Technisch erprobt werden soll das Modell am Klinikum Schongau mit seinen acht Intensivbetten. Das 2020 gegründete Start-up arbeitet nach eigenen Angaben zudem mit zwei weiteren Krankenhäusern an Pilotprojekten. Geplant ist eine schnelle Ausweitung: Bis zu zehn Krankenhäuser pro Jahr will TCC – die Abkürzung steht für „Telehealth Competence Center“ – anbinden. „Wir verstehen uns als digitale Intensivstation, die Krankenhäuser in Zeiten des Fachkräftemangels entlastet“, sagt Geschäftsführer Christian Storm.

Künstliche Intelligenz wird zum Assistenzarzt

Mitgebracht hat der Intensivmediziner, der lange an der Berliner Charité tätig war, die Idee aus den USA. An der Johns-Hopkins-Universität hatte er sich als Wissenschaftler zuletzt mit den Chancen Künstlicher Intelligenz (KI) für Intensivpatienten befasst – und dort den Ansatz digitaler Intensivstationen kennengelernt. Für die Gründung von TCC hat er sich mit seinem Jugendfreund David Barg zusammengetan, der zuvor unter anderem Deutschlandchef des privaten Rettungsdienstes Falck A/S war.

Großen Wert legen die Gründer darauf, dass sie die Expertise ihres Ärzteteams und Datenanalysen kombinieren. Die KI soll beispielsweise frühzeitig bemerken, wenn sich der Zustand eines Patienten verschlechtert. Um den Datenstrom in Gang zu setzen, verbindet das Start-up medizinische Geräte der Kliniken mit einem taschenbuchgroßen „IoT-Konnektor“. Die größere Herausforderung seien organisatorische Fragen, sagt Storm: „Uns ist wichtig, dass wir alle Mitarbeiter schulen und den Veränderungsprozess aktiv begleiten.“ Von der Kontaktanbahnung bis hin zum Regelbetrieb könne etwa ein halbes Jahr vergehen.

TCC behauptet, mit seinem Ansatz in Deutschland Pionierarbeit zu leisten – und hat bei Business Angels bereits einen mittleren einstelligen Millionenbetrag eingeworben. Zumindest verwandte Vorhaben gibt es aber bereits: Die RWTH-Aachen-Ausgründung Clinomic etwa setzt ebenfalls auf KI, um Intensivmediziner zu unterstützten. Dazu hat das Start-up eine Art Riesen-Tablet fürs Patientenzimmer entwickelt, das zugleich für Videosprechstunden und Dokumentation genutzt wird.

Sprung in die Regelversorgung steht noch aus

Auch Projekte, in denen sich Ärzte in sogenannten Telekonsilen Rat von Kollegen aus der Ferne holen, gibt es schon. So hat das von der Charité geleitete Projekt „Eric – Enhanced Recovery after Intensive Care“ zuletzt 15 Intensivstationen miteinander vernetzt. In Nordrhein-Westfalen startete 2017 das Projekt „Telnet@NRW“, das 17 Krankenhäuser und 100 Arztpraxen telemedizinisch mit Experten der Unikliniken Aachen und Münster verbindet. Zu Beginn der Coronakrise ist Telnet in das Projekt „Virtuelles Krankenhaus Nordrhein-Westfalen“ mit 140 angeschlossenen Kliniken überführt worden.

Entstanden ist daraus auch eine umfassende Studie, die in dieser Woche veröffentlicht wurde – und die Wirksamkeit von Telemedizin in der Intensivmedizin und Infektiologie untermauert. „Die Veröffentlichung unserer Ergebnisse ist ein Meilenstein auf unserem gemeinsamen Weg zur digital vernetzten Gesundheitsversorgung“, sagt Telnet-Projektleiter Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care des Aachener Universitätsklinikums. „Dass Telekonsile die Behandlungsqualität stark verbessern, ist zudem für viele Indikationen wie Lungenversagen oder Sepsis nachgewiesen.“

Zwar sind sowohl Telnet als auch Eric nach Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) derzeit bundesweit förderungsfähig. Ob die Leistungen dauerhaft von den Krankenkassen bezahlt werden, ist aber noch unklar – zum Ärger von Marx, der auch Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist: „Angesichts der eindeutigen Vorteile ist für mich unverständlich, dass Telekonsile nicht längst Teil der Regelversorgung sind.“ Der Ansatz könne zahlreiche Menschenleben retten.

TCC positioniert sich als Digitalisierungshelfer

Auf neue Abrechnungsmöglichkeiten wollen die TCC-Gründer nicht warten. Sie argumentieren, dass sich ihr Dienst auch so trägt. Krankenhäuser zahlen monatliche Pauschalen, die sich nach dem Leistungsumfang und der Zahl der Betten richten. „Den Kosten stehen deutliche Effizienzgewinne gegenüber“, sagt Barg. So ließen sich Personaleinsatzpläne optimieren und Behandlungszeiten reduzieren. Die Cloud-Software von TCC diene zudem als digitale Akte, um Behandlungsschritte zu dokumentieren – und lückenlos abzurechnen.

Das Pilotprojekt mit der Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau kam indes nur zustande, weil es die Aussicht auf eine Förderung nach dem Krankenhauszukunftsgesetz gab. „Eine richtige Kundenbeziehung zwischen TCC und uns kann erst beginnen, wenn wir den Förderungsbescheid erhalten“, stellt Geschäftsführer Lippmann klar. „Den finanziellen Spielraum, um solche Projekte komplett aus dem eigenen Budget zu finanzieren, haben wir leider nicht.“

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