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28.07.2022

08:41

Trainings-Apps

Digitale Programme für die Demenzbehandlung

Von: Jan Wittenbrink

Apps können einen einfachen und spielerischen Zugang zu Denk- und Bewegungsübungen bieten. Start-ups arbeiten an Wirksamkeitsnachweisen.

Apps könnten eine Möglichkeit sein sich mental fit zu halten. dpa

Gehirntraining im Alter

Apps könnten eine Möglichkeit sein sich mental fit zu halten.

Zehn Sekunden lang leuchten auf dem Tablet drei blaue Quadrate auf. Dann färben sich alle 16 Kästchen grau. „Welche Kästchen waren markiert?“, fragt die App Brainmee. Zwei rechts unten in der Ecke, und eines links oben? „Super, das haben Sie sehr rasch gelöst“, lobt das Programm. Brainmee ist ein Produkt des Grazer Start-ups Digitaal Life, ein Spin-Off der Forschungsgesellschaft Johanneum Research. Es soll die kognitiven Fähigkeiten von älteren Menschen trainieren.

Die Zahl der von Demenz betroffenen Menschen nimmt rasant zu, in Deutschland sind es etwa 1,7 Millionen. Nach einer WHO-Studie von 2021 wird die Zahl der Betroffenen bis 2030 weltweit um 40 Prozent steigen. Menschen werden schließlich immer älter – zudem erhöhen Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Diabetes das Risiko. Demenz ist eine Verschlechterung kognitiver Leistungen, häufig wird sie durch die Alzheimer-Krankheit ausgelöst. Nicht nur das Gedächtnis wird oft stark beeinträchtigt, sondern auch sprachliche Fähigkeiten und die Emotionen.

Heilbar ist Demenz nicht. Doch das Fortschreiten der Symptome lässt sich durch Training verlangsamen – und digitale Anwendungen können dabei helfen. Start-ups wittern einen wachsenden Markt und investieren kräftig.

Training mit „Dalli Dalli“

„Das Gehirn kann sich selbst im Alter noch entwickeln“, sagt Konstantin Lekkos, Chefarzt der Klinik für Altersmedizin am Helios Klinikum Hildesheim. Es gehe darum, Bahnen zwischen Neuronen aufrechtzuerhalten. Früher habe man oft den Fehler gemacht, Betroffene zu isolieren. „Dabei ist es enorm wichtig, dass Erkrankte Aufgaben gestellt bekommen und viel kommunizieren.“ Durch eine App seien solche Trainings schnell und mobil verfügbar.

Lekkos hat in Zusammenarbeit mit der Alzheimer Gesellschaft Niedersachsen selbst eine kostenlose Trainings-App für Demenzpatienten entwickelt. Die erste Version von „Auguste“ – benannt nach der ersten bekannten Alzheimer-Patientin Auguste Deter – ist bereits seit 2018 verfügbar, seitdem wurde sie mehrmals erweitert. Die von der Techniker Krankenkasse geförderte Tablet-Anwendung enthält mehrere Spiele, die Betroffene zusammen mit ihren Angehörigen oder dem Pflegepersonal spielen können: Klassiker wie Memory, aber auch eine Abwandlung der bei der jetzigen Rentnergeneration sehr beliebten Fernsehshow „Dalli Dalli“ aus den siebziger Jahren.

Die App ist bewusst einfach gehalten. Zwar gebe es auch andere kostenlose Apps mit geeigneten Gedächtnis-Spielen, sagt Lekkos. Doch diese richteten sich oft an Kinder und seien sehr bunt und überladen gestaltet. Lekkos setzt die App auch in seiner Klinik ein. Er sei immer wieder überrascht, wie gut selbst Betroffene im fortgeschrittenen Stadium mit Touchscreens zurechtkämen.

Anbieter versprechen individuelle Trainingsprogramme

Die kostenpflichtige Brainmee-App geht noch einen Schritt weiter und bietet strukturierte Trainings mit einer Übungsdauer von je etwa 45 Minuten. Zu Beginn stehen Anleitungen zu Bewegungsübungen, dann folgen verschiedene kognitive Aufgaben wie Quizfragen, Gedächtnisübungen und kreative Aktivitäten – etwa das Mitsingen eines Liedes. „Das Training soll Senioren ganzheitlich aktivieren“, sagt Geschäftsführerin Maria Fellner.

Die App beruht auf einem Konzept der österreichischen MAS Alzheimerhilfe. Unter dem Namen Brainmee ist sie seit April auf dem Markt – derzeit noch als Lifestyle-Produkt. Das neunköpfige Unternehmen arbeitet an einer Zulassung als zertifiziertes Medizinprodukt für das kommende Jahr. In Zukunft könnten zusätzliche diagnostische Elemente in das Produkt integriert werden.

Außer auf Angehörige zielt Fellner mit der Anwendung vor allem auf Pflegedienste. „Eine App hat den Vorteil, dass man kein Material kopieren oder schleppen muss“, sagt sie. Schwierigkeitsgrad und Themengebiete ließen sich individuell anpassen. So könnten auch ungelernte Ehrenamtliche mit den Klienten Übungen absolvieren. Aktuell tritt das Start-up in den deutschen Markt ein. Eine erste Finanzierungsrunde mit der Wiener Crowdinvesting-Plattform Danube Angels als Lead-Investor wurde im Herbst abgeschlossen.

Den Fokus auf Bewegungsübungen legt die App „Mentalee“ des gleichnamigen Start-ups aus Göttingen. Medizinerin und Gründerin Svenja Zihsler promoviert derzeit in Kognitiver Neurologie.

Die ehemalige Profischwimmerin siegte mit ihrer Idee 2019 bei der „Start-up Academy“ der Deutschen Sporthilfe. Die App bietet ein multimodales Training zur Demenzprävention und -therapie und passt Übungen individuell an das Leistungsniveau der Nutzerinnen an.

„Viele Betroffene bewegen sich kaum, weil die ihnen bekannten Übungen entweder zu anspruchsvoll oder zu einfach sind“, sagt Zihsler.

Die Anwendung ist mit einem 3D-Avatar ausgestattet, mit dem die Nutzer per Sprachsteuerung kommunizieren können. Die Figur führt die Übungen vor – und gibt Rückmeldungen, ob diese richtig praktiziert wurden. „Das funktioniert per Motion Tracking über die Kamera des Tablets“, sagt Zihsler. Aktuell gibt es einen Prototyp der App, im Januar hat Mentalee über eine Crowdfunding-Kampagne 10.000 Euro eingesammelt. Im Oktober soll eine klinische Studie der Universitätsmedizin Göttingen zur Wirksamkeit der App starten.

Per VR-Brille in die Lebenswelt der Patienten

Die Diagnose Demenz stellt auch die Angehörigen für große Herausforderungen. Unter Umständen leiden sie stärker als die Betroffenen – etwa wenn sie von diesen zeitweise gar nicht mehr erkannt werden. Einige Apps richten sich daher speziell an Angehörige. Seit Februar ist die kostenlose App „DemenzGuide“ verfügbar – entwickelt unter anderem von der Evangelischen Altenheimseelsorge in München. Sie gibt Angehörigen Denkanstöße und Perspektivwechsel auf den Weg. Ein Beispiel: Patienten kann es überfordern, von der Seite angesprochen zu werden, da ihr Blickfeld eingeschränkt sein kann.

„Aufklärung über die Erkrankung ist extrem wichtig“, sagt Mediziner Lekkos. Der Vorteil einer App sei auch ihre Anonymität. „Noch immer schämen sich einige Angehörige und scheuen den Weg zu Beratungsstellen.“ Es gibt sogar Virtual-Reality-Anwendungen, die Angehörige in die Lebenswelt von Demenzpatienten eintauchen lassen – etwa die englischsprachige App „A Walk through Dementia“ der Forschungsgesellschaft Alzheimer’s Research UK. Per VR-Brille kann man hier etwa einen Einkauf im Supermarkt nachspielen und die Gedanken und Problem von Demenzpatienten im Alltag nachempfinden.

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