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19.05.2022

07:50

Unterschätzte Volkskrankheit

Mit digitalen Technologien gegen Schlafapnoe

Von: Jan Wittenbrink

Digitale Technologien sollen helfen, die gefährlichen Atemaussetzer während des Schlafs besser zu behandeln.

Dank des Schweizer Start-ups „Sleepiz“ werden Geräte und Kabel im Schlaflabor überflüssig. dpa

Untersuchung im Schlaflabor

Dank des Schweizer Start-ups „Sleepiz“ werden Geräte und Kabel im Schlaflabor überflüssig.

Dem Würfel auf dem Nachttisch bleibt keine Bewegung verborgen: Er registriert jedes Herumwälzen im Bett, jeden Atemzug und sogar den Puls – denn jeder Herzschlag lässt den Körper um etwa 0,2 Millimeter erbeben. Das Gerät des Schweizer Start-ups „Sleepiz“ verspricht, Körperfunktionen von Schlafenden kontaktlos zu messen. Ein eingebauter Radarchip sendet elektromagnetische Wellen in Richtung Oberkörper. „Das Gerät wertet dann die zurückreflektierten Wellen im Millimeterfrequenzbereich aus“, sagt Max Sieghold, Mitgründer von Sleepiz.

In der Schweiz ist der Sleepiz-Würfel seit November auf dem Markt und wird bereits von den Krankenkassen erstattet. In Deutschland können Privatpersonen ihn seit dieser Woche bestellen und für drei Nächte mieten. Den Preis von mindestens 119 Euro müssen sie selbst zahlen.

Nach der Nutzung folgt eine Auswertung. Je nach gebuchtem Paket können Nutzer sich auch von einem Schlafcoach beraten lassen. Das Gerät soll Hinweise auf eine unterschätzte Volkskrankheit liefern: Schlafapnoe. Laut einer Studie der Fachzeitschrift The Lancet von 2019 könnten 26 Millionen Menschen in Deutschland an der Atmungsstörung während des Schlafs leiden. Betroffene sind oft nicht nur chronisch übermüdet, sondern haben unbehandelt auch ein deutlich erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Niedrigschwellige Technologien wie die von Sleepiz könnten dazu beitragen, dass Schlafapnoe deutlich häufiger diagnostiziert wird. Denn viele Patienten wissen nichts von ihrer Krankheit. Das liegt auch daran, dass die Hürden für eine Untersuchung im Schlaflabor hoch sind: Die Wartezeiten für eine Verkabelung und Übernachtung im Labor betragen bis zu 24 Monate. Zwar gibt es tragbare Sets, mit denen der Körper auch zuhause mit Sensoren verkabelt werden kann. Doch auch die Wartezeit für solche Geräte kann hoch sein – zudem müssen Patienten im Anschluss häufig dennoch ins Schlaflabor.

Essener Studie mit über 4400 Patienten

Wie digitale Technologien die Versorgungsstrukturen verbessern können, untersucht derzeit auch die Universitätsmedizin Essen. Für eine im April gestartete Studie wurden über 4400 Patienten mit Verdacht auf Schlafapnoe ausgewählt, die bis 2025 mithilfe verschiedener telemedizinischer Ansätze behandelt werden sollen. So könnten tragbare-Messgeräte in Zukunft zum Beispiel per Post an Patienten verschickt und die erhobenen Daten digital in einer Cloud ausgewertet werden. Damit beschleunige man die Abläufe deutlich, sagt Christoph Schöbel, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Essener Ruhrlandklinik. Begleiten lasse sich das durch Videosprechstunden, in denen die Befunde besprochen werden.

Bei einigen Patienten testen die Forscher auch, ob sich die Schlafapnoe-Therapie telemedizinisch einleiten lässt. In vielen europäischen Ländern sei das bereits üblich, so Studienleiter Schöbel. In Deutschland dagegen müssen Patienten zu Beginn der Therapie in der Regel zumindest eine Nacht im Schlaflabor verbringen.

Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss unterstützt das Projekt mit 6,8 Millionen Euro, mehrere große Krankenkassen sind beteiligt. „Wir wollen zeigen: Telemedizin verbessert die Lebensqualität der Patienten und senkt die Behandlungskosten“, sagt Schöbel. Die digitalen Potenziale würden zu wenig genutzt, oft fehle eine entsprechende Abrechnungsmöglichkeit.

Großes Potenzial sieht der Experte auch in der kontaktlosen Schlafmessung. Wer keine Kabel am Körper habe, schlafe schließlich noch authentischer. Zudem ließen sich solche Technologien einfacher über mehrere Nächte hinweg im häuslichen Umfeld anwenden. Das sei gerade bei Verdacht auf Schlafapnoe sinnvoll. „In einer Nacht kann die Zahl der Atemaussetzer sehr hoch sein, in der nächsten schon sehr viel niedriger“, sagt Schöbel.

Smartphone erkennt Ursachen des Schnarchens

Ganz ohne Spezial-Hardware will Diametos auskommen. Das Potsdamer Start-up hat die App „Snorefox“ entwickelt, die sich an Schnarcher richtet. Schnarchen ist ein typisches Symptom einer Schlafapnoe. Die App analysiert, ob ein gesundheitlich bedenkliches Schnarchen vorliegt. Benötigt wird dafür nur das Mikrofon eines Smartphones. „Wir haben das System mit akustischen Daten aus Schlaflaboren gefüttert und trainiert“, sagt Heiko Butz, Mitgründer und CEO bei Diametos. Ein zweites Produkt von Diametos, die Software „Somnofox“, richtet sich an Ärzte. Sie findet heraus, wo genau die anatomische Ursache des Schnarchens liegt – etwa im Bereich des Kehldeckels oder deutlich weiter oben am Gaumensegel. „Wir schließen hier eine Lücke“, sagt Butz. Denn der Nachweis der anatomischen Ursachen des Schnarchens bedeutet heute selbst in spezialisierten Schlafzentren einen hohen Aufwand – Patienten werden dabei in künstlichen Schlaf versetzt.

Beide Anwendungen befinden sich laut Diametos derzeit in Beta-Testphasen. Im Spätsommer sollen sie in Deutschland auf den Markt kommen. Mit einigen Krankenkassen würde über eine Kostenübernahme gesprochen.

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