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11.04.2022

07:51

Das Lager des schwedischen Medikamenten-Versandhändlers Meds. Lukas Hoffmann

Online-Apotheke

Das Lager des schwedischen Medikamenten-Versandhändlers Meds.

Stockholm In Schweden kann man sehen, wie sich der deutsche Medikamenten-Versandhandel entwickeln könnte. Denn dort ist das elektronische Rezept (E-Rezept) längst etabliert, während es hierzulande erst getestet wird. Die Pandemie hat den schwedischen Arzneimittel-Versandhandel zusätzlich befeuert. Entsprechend gut läuft das Geschäft der dortigen Online-Apotheken.

Eine davon ist „Meds“. Der Betriebswirt Björn Thorngren hat das Start-up vor vier Jahren zusammen mit zwei Partnern gegründet, weil ihm – von einem Arbeitsaufenthalt aus London zurückkehrend – die Online-Bestellung von Medikamenten in Schweden zu kompliziert war. Schnell ist das Unternehmen gewachsen. Heute beschäftigt Thorngren rund 200 Mitarbeiter. „Allein im vierten Quartal des vergangenen Jahres haben wir hundert Leute eingestellt“, berichtet er, während er durch sein Lager führt. Meds hat seinen Standort im Südwesten von Stockholm, etwa 15 Autominuten vom Zentrum entfernt.

Um der wachsenden Nachfrage zu begegnen, hat Thorngren eine Verpackungstechnologie für zwei Millionen Euro gekauft und vor einigen Wochen in Betrieb genommen. „Damit ist unser Versandlager etwa zur Hälfte automatisiert“, sagt er. Die Bestellungen im 8000 Quadratmeter großen Lager werden aber immer noch von Angestellten zusammengetragen. Am Sonntagabend benötigt er am meisten Personal. „Zu dieser Zeit sitzen die Kunden auf dem Sofa und haben Zeit für Bestellungen“, sagt er.

Anders als in Deutschland ist das E-Rezept in Schweden längst eingeführt. Verschreibt ein Arzt ein Medikament, landet die Verordnung in einer zentralen Datenbank, an die alle stationären und auch die drei Online-Apotheken in Schweden angeschlossen sind. Der Patient kann das Medikament bei der Apotheke ums Eck abholen oder es sich nach Hause liefern lassen.

Mehr Arzneimittel werden in der Pandemie versendet

Dabei entscheiden sich immer mehr Menschen für die Lieferung nach Hause, wie der jetzt veröffentlichte Bericht des schwedischen Apothekenverbands Sveriges Aopteksförening zeigt. Lag der Marktanteil von online versendeten rezeptfreien und rezeptpflichtigen Medikamenten im Jahr 2019 noch bei zwölf Prozent, kletterte er im Jahr 2021 auf 19 Prozent. Insgesamt werden in Schweden rund 6,3 Milliarden Euro mit Arzneimitteln umgesetzt. 1,2 Milliarden Euro entfallen demnach auf den Versandhandel.

Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im Jahr 2020 rund 42 Milliarden Euro für verschreibungsfreie und verschreibungspflichtige Medikamente ausgegeben. Über den Versandhandel wurden etwa vier Prozent des Umsatzes erwirtschaftet, 1,8 Milliarden Euro.

Der Meds-Gründer vor seinem neuen Verpackungsapparat. Lukas Hoffmann

Björn Thorngren

Der Meds-Gründer vor seinem neuen Verpackungsapparat.

Besonders interessant: Während hierzulande rund ein Prozent aller rezeptpflichtigen Medikamente versendet werden, liegt der Wert in Schweden laut dem Bericht bei 13 Prozent. Ebenso wie in Deutschland bieten auch in Schweden stationäre Apotheken Versanddienste an. So hat etwa die große Apothekenkette Apoteket AB 391 Vor-Ort-Apotheken plus einen angeschlossenen Online-Shop.

Früher waren die circa 1000 schwedischen Apotheken in staatlicher Hand. Infolge einer Apothekenreform wurde der Sektor im Jahr 2009 geöffnet. In den Folgejahren wuchs die Anzahl der Vor-Ort-Apotheken. Im Jahr 2021 gab es eine Zäsur, schreibt der Apothekenverband in seinem Jahresbericht. Erstmals hat die Anzahl der Vor-Ort-Apotheken abgenommen, sie sank von 1433 auf 1411. Dabei scheint der Wettbewerb in Großstädten besonders groß zu sein. Während in den kleineren Städten die Anzahl der Apotheken leicht gestiegen sei, nahm sie in den größeren Städten ab.

Thorngren erklärt diese Entwicklung mit den zunehmend digitalaffinen Großstadtbewohnern: „Warum sollte ich in Stockholm in die Apotheke gehen, wenn ich das Medikament innerhalb von zwei Stunden geliefert bekomme?“ Nicht-verschreibungspflichtige Medikamente seien bei Meds außerdem bis zu 45 Prozent günstiger als in einer Vor-Ort-Apotheke. Genau wie in Deutschland dürfen schwedische Online-Apotheken Preisrabatte auf rezeptfreie Medikamente geben. Wie hierzulande sind dort Preisrabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente verboten.

Im vergangenen Jahr hätte sich der Umsatz von Meds gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt, sagt Thorngren. Im Jahr 2020 lag der Umsatz des Unternehmens bei 223 Millionen schwedischen Kronen, rund 22 Millionen Euro.

Die größte schwedische Online-Apotheke Apotea gibt gegenüber Handelsblatt Inside einen Umsatzwachstum von 2020 auf 2021 um elf Prozent an. Im vergangenen Jahr hätte Apotea einen Umsatz von 4,5 Milliarden schwedische Kronen erwirtschaftet, rund 440 Millionen Euro. Insgesamt 850 Angestellte hat Apothea, 700 davon arbeiten in den beiden Warenlagern.

Einige schwedische Apotheken-Ketten betreiben Online-Shops. Lukas Hoffmann

Eine Apotheke in einem Stockholmer Einkaufszentrum

Einige schwedische Apotheken-Ketten betreiben Online-Shops.

Warum lässt sich bei solchen rasanten Wachstumszahlen keine ausländische Versandapotheke in Schweden nieder? Verschiedene Online-Medikamentenhändler hätten sich den Markt angeschaut, sagt Thorngren. „Aber der Markteinstieg ist kompliziert.“ Es ginge nicht nur darum, die technologischen Voraussetzungen zu erfüllen – alle Apotheken, ob lokal oder online – müssen an die nationale Apotheken-IT angedockt werden. „Auch als Marke haben wir uns etabliert. Das müssen andere aufholen.“

Keine Angst vor Amazon

Die große Angst vor Amazon, die in deutschen Apothekerkreisen kursiert, teilt er nicht. „Amazon hat erst seit 2020 einen Standort in Schweden, der Marktanteil von Amazon am Versandhandel ist gering.“ Meds investiere viel Geld in die Anzeige bei Google, um neue Kunden zu gewinnen. „Wenn es rentabler ist, können wir auch Key-Words bei Amazon kaufen“, sagt Thorngren.

Gustav Hasselgren ist Geschäftsführer der kleinsten der drei Online-Apotheke in Schweden. Apohem hat im vergangenen Jahr rund 232 Millionen Kronen Umsatz gemacht, das sind etwa 23 Millionen Euro. Klar hätte die Pandemie den Arzneimittel-Versandhandel angekurbelt, sagt Hasselgren. Die Einführung des E-Rezepts sei aber der „Gamechanger“ gewesen. „Die elektronische Verschreibungspflicht ist ein entscheidender Faktor für das explosive Wachstum der Online-Apotheken in Schweden“, sagt Hasselgren, „ich wüsste nicht, warum das in Deutschland anders kommen sollte.“

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