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19.03.2023

23:49

Volkskrankheit Adipositas

Großer Zuspruch für digitale Abnehm-Helfer

Von: Steffen Ermisch

Das telemedizinische Angebot für übergewichtige Menschen wächst um eine neue Plattform für Selbstzahler. Auch DiGA-Hersteller erhoffen sich einen neuen Schub.

Das Start-up Wellster bietet telemedizinische „Check-ups“ sowie eine kostenlose Ernährungsberatung an.

Abnehm-Helfer

Das Start-up Wellster bietet telemedizinische „Check-ups“ sowie eine kostenlose Ernährungsberatung an.

Köln „Sichtbare Erfolge“ beim Abnehmen nach wenigen Wochen verspricht GoLight. Ohne Diät, Kalorienzählen – und ohne Besuch in einer Arztpraxis. Stattdessen, so klärt die Homepage des Münchener Start-ups Wellster auf, füllen Patienten einen Fragebogen aus und schicken ein Foto ein. Nach einer ärztlichen Diagnose werde ein Injektionsstift versendet. Einmal täglich sollen sich Patienten ein Medikament mit dem Wirkstoff Liraglutid spritzen und so Heißhunger-Attacken vorbeugen. 200 Euro kostet das „Starterpaket“ für vier Wochen.

Der telemedizinische Ansatz soll Hürden senken. „Adipöse Patienten gehen im ärztlichen Arbeitsalltag unter oder trauen sich gar nicht erst zum Arzt. Wir wollen zu einer Entstigmatisierung beitragen“, sagt Sonja Senner. Die Ernährungsmedizinerin, die an der Uniklinik München arbeitet, gehört dem ärztlichen Beirat von Wellster an. Das 2018 gegründete Start-up betreibt bereits mehrere Portale für tendenziell schambehaftete Gesundheitsprobleme – darunter für Erektionsstörungen und Haarausfall. Wellster beansprucht für sich, so Versorgungslücken zu schließen.

Wie stark das Anfang März gestartete GoLight-Portal dazu tatsächlich beiträgt, ist fraglich. Denn das Angebot richtet sich ausschließlich an Selbstzahler. Auch der Fokus auf das Medikament wird kritisch beäugt. „Die medikamentöse Therapie kann hochwirksam sein“, sagt Michael Wirtz, Vorstandsmitglied des Patientenvereins Adipositas Hilfe Deutschland. „Sie ist aber ohne eine begleitende Behandlung wenig sinnvoll.“ Wellster gibt an, diese ebenfalls zu leisten: Im Paket seien telemedizinische „Check-ups“ sowie eine kostenlose Ernährungsberatung enthalten. Auf Nachfrage teilt das Start-up mit, dass Patienten auch die Beratung allein nutzen können – für 49 Euro je 25 Minuten.

DiGA kombinieren Schulungen mit Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen

Andere Start-ups haben Angebote entwickelt, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen. So gibt es aktuell zwei Adipositas-DiGA, die vergleichsweise stark gefragt sind: Nach Auswertungen des GKV-Spitzenverbands war Zanadio mit 28.000 Verschreibungen bis Ende September 2022 die populärste DiGA überhaupt. Mit 2000 Verschreibungen war auch die vorläufig zugelassene Anwendung Oviva Direkt in den Top Ten. Die Anwendungen kombinieren Patientenschulungen, Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen.

Die Popularität hängt auch damit zusammen, dass die DiGA zu den wenigen erstattungsfähigen Behandlungsmöglichkeiten überhaupt für Adipositas-Patienten gehören. Nur eingeschränkt

übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für Ernährungsberatungen, Abnehm-Medikamente wie Liraglutid werden nicht bezahlt. Sowohl Ärzte- als auch Patientenvertreter kritisieren seit Jahren, dass Übergewichtige im Gesundheitssystem durchs Raster fallen. „In der Regel ist erst der chirurgische Eingriff eine Kassenleistung“, sagt Wirtz.

Laut Zahlen des Robert-Koch-Instituts ist fast jeder fünfte Erwachsene in Deutschland adipös – kommt also auf einen Body-Mass-Index (BMI) von 30 oder höher. Zu den Folgeerkrankungen zählen Diabetes Typ 2, Vorhofflimmern, Bluthochdruck und die koronare Herzkrankheit. Die direkten und indirekten Kosten werden auf 63 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

DiGA-Entwickler wollen Angebote erweitern

Verglichen mit der großen Zielgruppe sind die DiGA-Verschreibungszahlen noch gering. „In der Ärzteschaft sind DiGA mitunter noch zu unbekannt“, sagt Henrik Emmert, Mitgründer des in Hamburg ansässigen Zanadio-Entwicklers Aidhere. Profitabel ist Aidhere eigenen Angaben zufolge noch nicht. Eine neue Finanzierungsrunde soll dem Start-up mit mehr als 160 Mitarbeitern neuen Spielraum geben – auch um weitere DiGA zu entwickeln: Denkbar seien etwa auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Anwendungen oder solche für Folgeerkrankungen, so Emmert.

Auch Oviva plant weitere Angebote für Adipositas-Patienten. Neben der DiGA bietet das Schweizer Start-up in Deutschland schon eine Ernährungsberatung an, die laut Deutschlandchefin Anna Haas im vergangenen Jahr 20.000 Menschen genutzt haben. Krankenkassen übernehmen die Kosten oft aber nur teilweise, zu unterschiedlichen Anteilen – und häufig nur bei einer ärztlichen Verschreibung. Haas spricht von einem „Flickenteppich“. „Wir legen den Fokus auf DiGA, weil es hier langfristige, einheitliche Erstattungsmöglichkeiten gibt.

Bei anderen DiGA-Herstellern wie Perfood gibt es Überlegungen, Adipositas-Anwendungen zu entwickeln. Das Lübecker Start-up ist auf die Analyse von Blutzuckerwerten spezialisiert – und leitet daraus individuelle Ernährungsempfehlungen ab. Eine DiGA für die Migräne-Therapie ist vorläufig im BfArM-Verzeichnis gelistet, eine Diabetes-Typ-2-Anwendung soll in diesem Jahr hinzukommen. „Erste Patientendaten zeigen, dass die Probanden nicht nur den Blutzuckerwert, sondern auch das Körpergewicht deutlich verbessern“, sagt Perfood-Mitgründer Dominik Burziwoda.

Neuen Schub erhoffen sich DiGA-Hersteller vom geplanten „Disease-Management-Programm“ (DMP) für Adipositas. Mit dem Programm, das derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet wird, sollen Patienten künftig über Einrichtungsgrenzen hinweg behandelt werden. Laut der Digitalstrategie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sollen DiGA zu „integralen digitalen

Bestandteilen“ von DMPs werden. „Im besten Fall wird die DiGA-Begleitung von Patienten künftig zum Standard“, sagt Oviva-Deutschland-Chefin Haas.

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