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07.01.2022

06:15

Energetische Mondernisierungen

Das Sanieren nach dem Baukastenprinzip könnte den Durchbruch schaffen

Von: Katja Bühren

Das Energiesprong-Prinzip könnte einen großen Beitrag dazu leisten, einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Das Interesse der Wohnungsunternehmen daran scheint deutlich zu steigen.

Die für das serielle Sanieren vorgesehenen Fassadenelemente werden in einem Werk produziert und vor Ort am Gebäude montiert.Quelle: Ecoworks, Urheber: Bachmann Photography

Produktion

Die für das serielle Sanieren vorgesehenen Fassadenelemente werden in einem Werk produziert und vor Ort am Gebäude montiert.

Quelle: Ecoworks, Urheber: Bachmann Photography

Beim Lesen des frisch veröffentlichten Koalitionsvertrags hat Emanuel Heisenberg gedanklich erst einmal einen Luftsprung gemacht. Denn darin steht, dass die neue Ampelkoalition „serielles Sanieren vorantreiben“ will, indem sie die Förderung ausbaut. Zudem will sie über das Forschungsprogramm Zukunft Bau „serielles und modulares Bauen und Sanieren zum Beispiel nach dem niederländischen Energiesprong-Prinzip weiterentwickeln“.

Dass es das serielle Sanieren und konkret das Energiesprong-Prinzip in den Koalitionsvertrag geschafft haben, ist für Heisenberg, CEO des Start-ups Ecoworks, ein weiteres Zeichen dafür, dass deren Bedeutung hierzulande zunimmt. Das Unternehmen führt als Generalunternehmer serielle Sanierungen durch.

Auch in der Branche bemerkt er ein steigendes Interesse an diesem Verfahren, bei dem Gebäude von außen mit seriell vorgefertigten Elementen für Dächer und Fassade und neuer Haustechnik ausgestattet werden. Das Ziel ist es, die Gebäude auf einen Net-Zero-Standard zu bringen, sodass sie also die Energie für Wärme, Warmwasser und Haushaltsstrom selbst produzieren. So soll bestenfalls die mit der Sanierung einhergehende Erhöhung der Kaltmiete durch geringere Energie- und Instandhaltungskosten kompensiert werden.

Heisenberg ist der Ansicht, dass das serielle Sanieren somit einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands und damit zum Erreichen der Klimaziele leisten kann.

Heisenbergs Einschätzung bestätigt auch die Dena, die die Einführung des Energiesprong-Prinzips hierzulande koordiniert: Zwar sei man in Deutschland noch in einer sehr frühen Marktphase, aber erste Pilotprojekte würden mittlerweile sichtbar, „und die Nachfrage nach diesen Lösungen wächst gerade enorm“.

Die Agentur sieht zudem ein „großes Engagement bei den beteiligten Wohnungs- und Bauunternehmen, anhand der Piloten einen Baukasten für skalierbare, serielle Lösungen zu entwickeln und für ihre Bestandsgebäude zu optimieren“. Da auch große Unternehmen dabei sind, erhofft sie sich Branchenimpulse. „Daher erwarten wir, dass wir den Durchbruch schaffen.“

Genug Potenzial gibt es jedenfalls. In der aktuellen Pilotphase liege der Fokus auf Mehrfamilienhäuser aus den 1950er- bis 1970er-Jahren mit einem hohen Energieverbrauch, teilt Dena mit. Das seien in Deutschland rund 500.000 Gebäude mit drei Millionen Wohnungen.

Bei dem großen Potenzial wundert es nicht, dass Fabian Viehrig, Leiter Bauen und Technik beim Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW, ein „enormes Interesse der GdW-Unternehmen an kostengünstigen Lösungen zur industriellen Gebäudesanierung“ bestätigt. „Wir benötigen dringend bezahlbare Lösungen für die Zukunftsaufgabe Gebäudesanierung.” Etwa sechs Mitgliedsunternehmen arbeiteten derzeit an konkreten Projekten mit.

Bis das Verfahren bei einer Vielzahl von Gebäuden zum Einsatz kommt, wird allerdings noch Zeit vergehen. Denn bisher geht es noch darum, durch Erfahrungen aus Pilotprojekten das Verfahren zu verbessern, Skalierungseffekte zu erzielen und die Kosten zu senken.

Bisher wurde ein erstes Pilotprojekt in Hameln vor etwa einem Jahr abgeschlossen, bei dem zwölf Wohneinheiten in drei Gebäuden seriell saniert worden sind. In der Umsetzung und teilweise kurz vor der Fertigstellung sind laut Dena zudem ein Projekt in Herford (Wohn- und Wirtschafts-Service Herford, 24 Wohnungen) und zwei in Bochum (VBW Bauen und Wohnen Bochum, 32 Wohnungen, und Vonovia, 24 Wohnungen).

Eine Steigerung des Volumens ist in Sicht: „Für 2022 ist die serielle Sanierung von mindestens 500 weiteren Wohneinheiten geplant“, berichtet Dena. Zusätzlich zu den bereits sichtbaren Projekten gebe es zahlreiche weitere interessierte Unternehmen, „die substanzielle Investitionen in die Entwicklung und Umsetzung des seriellen Sanierens beziehungsweise der Piloten stecken“.

Das erste Pilotprojekt in Hameln ist abgeschlossen. Allein aus den 1950er- bis 1970er-Jahren gibt es 500.000 Mehrfamilienhäuser mit drei Millionen Wohnungen, die sich für eine Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip eignen.Quelle: Ecoworks

Mondernisierung

Das erste Pilotprojekt in Hameln ist abgeschlossen. Allein aus den 1950er- bis 1970er-Jahren gibt es 500.000 Mehrfamilienhäuser mit drei Millionen Wohnungen, die sich für eine Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip eignen.

Quelle: Ecoworks

An dem Projekt in Hameln war auch Ecoworks beteiligt. Dabei sei deutlich geworden, „wo das Verfahren verbessert werden muss“, berichtet Heisenberg. Deshalb habe das Unternehmen Mitte 2020 alle anderen Piloten gestoppt. Die vergangenen 18 Monate wurde daran gearbeitet, die Software und digitale Prozesse weiter zu automatisieren.

Das Ziel sei es, durch einen maximalen Vorfertigungsgrad der Elemente schneller zu werden. Zwischen Vertragsschluss und Inbetriebnahme des sanierten Gebäudes sollen künftig „nur noch neun bis zwölf Monate vergehen“.

Mittlerweile sei Ecoworks so weit, weitere kommerzielle Projekte zu starten, berichtet Heisenberg. Derzeit hat das Unternehmen 14 Gebäude mit 82 Wohnungen in der Planung. Die gehören großen Wohnungsunternehmen wie LEG, aber auch ganz kleinen.

Der Düsseldorfer Wohnungskonzern LEG hat ein Quartier mit 25 baugleichen zweigeschossigen Gebäuden als Reallabor für eine serielle Sanierung ausgewählt. Drei Bauunternehmen wurden beauftragt, für je ein Drittel der Gebäude ein Sanierungsverfahren nach dem Energiesprong-Prinzip zu entwickeln.

LEG rechnet damit, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung die Verträge mit allen Partnern im ersten Quartal dieses Jahres unterzeichnet sind. Spätestens im Sommer soll mit der Sanierung der ersten Gebäude begonnen werden, die Arbeiten am letzten Gebäude sollen im Winter 2022/2023 abgeschlossen sein.

Fest steht, dass es im Anschluss weitere serielle Sanierungen an LEG-Gebäuden geben wird. Ob man sie nach dem Energiesprong-Prinzip durchführt, müsse noch entschieden werden, heißt es vom Unternehmen.

Ein deutlich größeres Energiesprong-Projekt hat Gewobau Erlangen bereits in Arbeit: In den nächsten dreieinhalb Jahren will die kommunale Wohnungsbaugesellschaft 6000 Wohnungen nach dem Energiesprong-Prinzip sanieren – und damit einen Großteil des 8758 Einheiten umfassenden Bestands. Ab Mitte April 2022 werde mit den ersten Pilotprojekten begonnen, ab Juni startet die Umsetzungsphase.

Vor allem um das Unternehmensziel Klimaneutralität bis 2025 zu erreichen, müsse der überwiegend aus den 1950er-Jahren stammende Gebäudebestand der Gewobau saniert werden. „Eine an sich erstrebenswerte Vollmodernisierung der Gebäude – und schon gar ein Abriss und Neubau – ließe sich allenfalls in einem Zeitrahmen von 20 Jahren umsetzen“, betont Gewobau.

Das Unternehmen erwartet „im Vergleich zur konventionellen Sanierung deutliche Kosteneinsparungen“ und durch das hohe Auftragsvolumen bei den Ausschreibungen „auch Skaleneffekte“. Die Mieter sollen durch das Projekt nicht belastet werden: Geplant ist eine Modernisierungsumlage von ein bis zwei Euro pro Quadratmeter, die durch Einsparungen bei Strom- und Heizkosten „weitgehend kompensiert wird“. Allerdings kommt auch dieses Projekt nicht ohne enorme Fördermittel aus verschiedenen Töpfen aus.

Laut Heisenberg veranschlagen große Wohnungskonzerne etwa 700 bis 800 Euro pro Quadratmeter für eine umfassende Sanierung, kleine genossenschaftliche Unternehmen müssten mit 1200 bis 1300 Euro noch tiefer in die Tasche greifen. Derzeit kommt Ecoworks bei einer seriellen Sanierung auf Kosten von 1800 bis 2200 Euro brutto. „Bei einer Förderung von 40 bis 60 Prozent würden aber die Preise von großen Wohnungsunternehmen erreicht“, rechnet er vor.

Deshalb brauche es weiter diese finanzielle Unterstützung, um durch die Erfahrungen aus weiteren Pilotprojekten daran zu arbeiten, die Kosten zu senken. Um hier noch schneller voranzukommen, wünscht sich Dena „noch mehr aktive Unternehmen und mehr Dynamik, insbesondere auf der Anbieterseite“.

Welches Potenzial das Enegiesprong-Prinzip haben kann, zeigt ein Blick in die Niederlande: Dort sei das Verfahren bereits für einen Teil des Reihenhausbestands etabliert, berichtet GdW-Fachmann Viehrig. Während in Deutschland noch etablierte Produktionsstätten und Verfahren fehlten, sei im Nachbarland „die Leistungsfähigkeit der Fabriken für vorgefertigte Wanddämmelemente beeindruckend“.

Allerdings habe es auch dort bis zur Entwicklung einer ersten serienreifen Lösung einige Pilotprojekte benötigt. Mittlerweile wurden dort laut Dena etwa 5700 Häuser nach dem Energiesprong-Ansatz saniert. „Die Preise dafür sind seitdem um 40 Prozent gegenüber den Piloten gesunken.“ Diese Kostenreduktion könne laut Dena grundsätzlich in Deutschland erreicht werden.

Abgesehen von den Kosten kann das serielle Sanieren einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands und damit zum Erreichen der Klimaziele leisten. Heisenberg ist sich sicher, dass die Energiewende im Gebäudebereich nur mit dieser skalierbaren Technologie möglich sein wird. Die angekündigte Erhöhung der Sanierungsquote, Kostensteigerungen, EU-Taxonomie, ESG-Kriterien: „Der äußere Druck ist unfassbar gestiegen“, begründet er diese Einschätzung.

Erste Auswertungen zum Pilotprojekt in Hameln zeigen, dass das Net-Zero-Versprechen sogar übertroffen wird. Die drei Gebäude produzierten im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent mehr erneuerbare Energie als vor Ort benötigt. So könne das bei der Herstellung der neuen Gebäudehülle und der Entsorgung von Materialien entstandene CO2, die sogenannte graue Energie, bereits in weniger als zwei Jahren kompensiert werden. Im Vergleich zu einem Abriss und Neubau nach KfW-55-Standard „ist das eine unfassbar gute Bilanz“, sagt Heisenberg.

Deshalb hofft er auf weitere Mitstreiter in einem großen Markt. „Selbst wenn unser Unternehmen auf den Umsatz von einer Milliarde Euro kommt, wäre das ein Anteil von 0,5 bis 1,5 Prozent der Sanierungsindustrie in Deutschland.“ Den peilt Ecoworks übrigens für 2027 an.

Auch laut Viering könnte das Energiesprong-Prinzip oder eine vergleichbare Lösung ein entscheidender Hebel für die 2045-Ziele sein. „Man darf davon ausgehen, dass solche Lösungen notwendig sind, um die Ziele überhaupt erreichen zu können.“ Ähnlich sieht es der Wohnkonzern LEG.

Derweil will Dena in diesem Jahr mit der Marktentwicklung für Nichtwohngebäude starten. Der Fokus liegt dabei auf öffentlichen Immobilien. „Auch hier sammeln wir in der Pilotphase Erfahrungen, wie der Baukasten aussehen kann und auf welche Gebäudetypen sich das gut übertragen lässt.“

Ein weiterer Schritt ist die Ausweitung auf Ein- und Zweifamilienhäuser. „Unsere Potenzialanalyse hat ergeben, dass von den circa 15 Millionen Einfamilienhäusern in Deutschland rund vier Millionen grundsätzlich für eine serielle Sanierung geeignet sind. Es gibt also genug zu tun.

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