Die Pflicht zum Bau von Solaranlagen auf Neubauten ist vielerorts bereits beschlossen. Allerdings sollten bürokratische Hemmnisse abgebaut werden, fordern Experten.
Erneuerbare Energien
Die Dächer von Gewerbeimmobilien eignen sich aufgrund ihrer Größe für den Ausbau mit Solaranlagen.
Bild: dpa
Wenn Alessandro Mauri unterwegs ist, dann sieht er vor allem eines: Ungenutzte Schrägen und Ebenen, die er gerne kultivieren würde. Für den Gründer des Start-ups Voltaro Energy sind die Dächer von Großmärkten, Büroimmobilien oder Logistikhallen vor allem Brachflächen, die genutzt werden könnten, um die kostenlose Sonneneinstrahlung in wertvollen Strom zu wandeln. Mehr als 2000 Gebäude hat Voltaro mit der eigenen Software analysiert. Gebäudebesitzer können, so Voltaros Offerte, Entwicklung, Bau und Betrieb dem Münchener Start-up überlassen und den gewonnenen Strom selbst nutzen oder ins Stromnetz einspeisen.
Was derzeit noch ein mögliches Geschäftsmodell ist, könnte bald Vorschrift sein. Die Politik von Ländern über Bundesregierung bis zur EU sendet entsprechende Signale. So schlugen die Energieminister von fünf EU-Staaten Anfang Mai in einem Brief an die EU-Kommission vor, dass Dächer von Supermärkten, Verwaltungsgebäuden oder Industrieanlagen verpflichtend mit Solaranlagen ausgestattet werden müssten. In Deutschland haben verschiedene Bundesländer Gesetze verabschiedet, die bei Neubauten PV-Anlagen fordern. So müssen Händler in NRW oder Baden-Württemberg, die von 2022 an Parkplätze mit mehr als 35 Stellflächen planen, diese mit Solarmodulen ausstatten.
Dass Pflichten allerdings wenig aussagen über die Bereitschaft, Strom aus Sonnenstrahlen zu erzeugen, zeigt ein Blick in die einzelnen Bundesländer. Bayern, das derzeit einen Entwurf für eine Solarpflicht für Gewerbeimmobilien diskutiert, lag 2020 nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts mit 14.560 Megawatt als mögliche Höchstleistung mit Abstand vor Baden-Württemberg mit 6934 und NRW mit 6004 Megawatt als Peak. Gemeint ist damit die maximale Leistung. Gerechnet auf die Bewohnerzahl stehen allerdings Bundesländer wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ohne Solarpflicht um bis zu Faktor fünf vor NRW. Umgelegt auf die Fläche wiederum sind Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland Spitzenreiter.
Insgesamt wurden 2021 in Deutschland rund 48 Terawattstunden Strom mit Solarmodulen erzeugt. Um aus der Kraft der Sonne noch mehr Energie zu produzieren, sieht der Bundesverband Solarwirtschaft eine Solarpflicht im Neubau als flankierende Maßnahme. Für den Ausbau im Bestand fordert er aber vor allem bessere Investitionsbedingungen. Die seien nötig, auch wenn die Zahl der Unternehmen steigt, die angesichts der Volatilität des Energiemarktes jetzt schon über eine Versorgung mit Solarenergie nachdenken.
Angesichts der derzeit noch unklaren Gesetzeslage sieht sich die Immobilienbranche einer komplexen Ausgangslage gegenüber. Bei Neubauten, darin sind sich Branchenvertreter noch einig, gilt es zu entscheiden, wer die Anlage finanzieren, installieren und betreiben soll und wer den Strom bekommt. Wenn es um die technische Umsetzbarkeit geht, sind die Ansichten aber sehr unterschiedlich.
So hat der Lebensmittelhändler Aldi-Süd derzeit rund 1350 seiner 2000 Filialen mit PV-Anlagen ausgestattet. Der so gewonnene Strom wird zu 80 Prozent für den Betrieb von Backautomaten, Beleuchtung und Kühlregalen verwendet. Lebensmitteinzelhändler benötigen im Vergleich zu Logistikzentren große Strommengen pro Quadratmeter Nutzfläche. Angesichts der verschiedenen Vorgaben der Länder und baulichen Voraussetzungen seien einheitliche Lösungen für alle Filialen allerdings nicht praktikabel, teilt das Mülheimer Unternehmen mit. Die XXXL-Group, die in Deutschland Möbelhäuser betreibt, baut teils in Passivbauweise, die Solarpaneele beinhaltet. „Etwaige Gesetze würden bei uns nicht zu Veränderungen führen“, sagt Volker Michels von der XXXL-Group.
Die Nachrüstung bestehender Objekte ist für Matthias Schrade, CEO des börsennotierten Betreibers von Retail-Immobilien Defama, oft mit noch mehr Problemen behaftet. Viele der von dem Unternehmen bundesweit betriebenen Objekte seien schon älter. „Die Statik erlaubt oft gar nicht, dass wir eine Anlage auf dem Dach installieren“, sagt Schrade. Dort, wo es möglich wäre, ergäben sich auch beim Bau weitere Fragen, die geklärt werden müssten. So sei es möglich, dass es zu Undichtigkeiten käme, die vielleicht in einer Lagerhalle mit verpackten Dingen kein so großes Problem im Alltag darstellten, einen Supermarkt jedoch schnell vor ernste Probleme stelle. „Auch im Winter sind Gebäudebesitzer verpflichtet, etwaige Schneemassen zu entfernen, um die Last zu verringern“, sagt Schrade. Haftungsfragen und Wirtschaftlichkeit seien für Immobilienbetreiber wie die Defama dann entscheidend in der abschließenden Beurteilung, ob eine Anlage gebaut würde.
Alessandro Mauri sieht in Zukunft Potenzial für Gebäude, deren Statik bislang keinen schweren Aufbau zuließ. „Vor fünf Jahren lag das Gewicht von PV-Anlagen noch bei zehn bis 15 Kilogramm pro Quadratmeter. Das ist dank besserer Technologie auf drei bis fünf Kilogramm gesunken“, sagt Mauri, dessen Unternehmen eine erste Einschätzung per Satellitenbild trifft, ob sich eine genaue Prüfung von Objekten lohnt.
Die zahlreichen Logistikobjekte, die die Immobiliengesellschaft Garbe Industrial Real Estate vermietet, sehen sich wiederum im Betrieb steuerlichen Herausforderungen gegenüber. Diese können, wenn es schlecht läuft, den Umsatzbringer Stromeinspeisung auch zum Verlustbringer wandeln. „Am einfachsten ist es, wenn der Besitzer des Gebäudes die Anlage selbst finanziert, betreibt und den Strom verwendet“, sagt Jan Dietrich Hempel, Geschäftsführer von Garbe Industrial Real Estate. Das Unternehmen erzeugt auf rund 230.000 Quadratmetern Dachflächen rund 24.000 bis 29.000 Megawattstunden Strom pro Jahr – die Leistung eines mittelgroßen Kohlekraftwerks.
Die Selbstnutzung ist allerdings nicht die Regel, denn eine Spedition, die große Flächen nutzt, hat einen vergleichsweise geringen Strombedarf. „Auf dem Dach eines Gebäudes beträgt die mögliche Leistung in Summe bis zu 15 Megawatt. Das ist schon ein kleines Kraftwerk“, sagt Hempel. Doch wohin mit dem Strom? Einfach so ins öffentliche Netz einspeisen und Geld dafür nehmen ist keine Option.
Immobilieneigentümer wie Aldi, die Strom komplett oder teilweise direkt ins Netz einspeisen, können alle vier Monate an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur teilnehmen. Dort bieten sie den Strom einer neuen Anlage an, den sie dann zu fixen Preisen veräußern dürfen. Der Mieter einer Immobilie kann wiederum seinerseits die Anlage finanzieren und den Strom verkaufen oder selbst nutzen – und für die Dachnutzung wiederum Miete zahlen.
Alle Beteiligten müssen zudem im Blick behalten, dass sie ab einer bestimmten Menge verkauften Stroms quasi als Energieversorger gelten und Gewerbesteuer fällig wird. Angesichts der komplexen Lage sehen sich Immobilienfonds, -besitzer und -mieter deshalb schneller im Gespräch mit Anwälten als mit Monteuren oder Lieferanten für Solarmodule. Dennoch sind viele Branchenvertreter überzeugt, dass die Installation von PV-Anlagen nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern notwendig und schlussendlich auch wirtschaftlich sein kann.
Immobilienunternehmen wie Garbe, die dank Bezugsquellen für Solarmodule in der Lage sind, geplante Anlagen mit kalkulierbaren Kosten in der vorhergesehenen Zeit in Betrieb zu nehmen, und sich auf die Herausforderungen bei Planung und Installation der Anlagen und beim Einspeisen des Stroms eingestellt haben, rechnen mit einem weiteren Ausbau der Technologie. Voltaro setzt derzeit vor allem auf Modelle, in denen der Strom vom Dach auch von den Nutzern in den Geschossen darunter genutzt wird. Das lohne sich auch bei Büroimmobilien, die ausreichend Verbrauch haben. Das 2020 gegründete Unternehmen sieht für bis zu 600.000 Gebäude in Deutschland derzeit Potenzial für eine wirtschaftliche Nutzung einer PV-Anlage.
Einer Pflicht dazu stehen Branchenkenner allerdings skeptisch gegenüber. Viel wichtiger, da sind sich zum Beispiel Garbe oder der BSW einig, sei der Abbau von bürokratischen Hemmnissen. Für Mauri würden sich dann noch mehr Dachbrachflächen in potentielle Sonnenkraftfelder verwandeln.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×