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18.02.2021

16:47

Forschungsprojekt

Mieter sollen spielerisch Heizkosten sparen

Von: Kristina Pezzei

Mit einem Gamification-Ansatz sollen Bewohner von Mehrfamilienhäusern zu weniger Wärmeverbrauch animiert werden. Die Proptech-Szene sieht wachsendes Potenzial.

Mithilfe einer App sollen Mieter auf spielerische Art und Weise Heizenergie einsparen. Quelle: In Bester Gesellschaft

Heizkosten-App

Mithilfe einer App sollen Mieter auf spielerische Art und Weise Heizenergie einsparen.

Quelle: In Bester Gesellschaft

Es ist ein wiederkehrendes Dilemma: Die beste Heizungssanierung, das innovativste Wärmekonzept für den Bestand bringen wenig, wenn Mieter nichts von ihren persönlichen Einspareffekten merken – oder ihnen die konkreten Handlungsanleitungen fehlen, wie sie den Wärmeverbrauch optimieren können. „Dabei kann das Nutzerverhalten Einzelner entscheidende Effekte für die Wärmebilanz im ganzen Gebäude nach sich ziehen“, sagt Viktor Grinewitschus.

Der Professor für Energiefragen am EBZ Bochum und sein Team haben nun eine spezielle Anwendung entwickelt, mit der Mieter Rückschlüsse auf ihr Verhalten ziehen können und zugleich zum Energiesparen animiert werden sollen. Die App, für die seit dieser Woche bei 500 Haushalten in etwa 100 Liegenschaften bundesweit geworben wird, ist Teil des Forschungsvorhabens Baltbest. Das Big-Data-Projekt mit 15 Projektpartnern aus Wohnungswirtschaft, Industrie und Wissenschaft untersucht seit drei Jahren, wie eine verbesserte Gebäudetechnik, optimierte Betriebsführung, aber eben auch ein bewussteres Heizverhalten zum Erreichen der Klimaschutzziele im Gebäudesektor beitragen können.

Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt mit 1,1 Millionen Euro, zu den Partnern zählen Branchenschwergewichte wie Vonovia, LEG und Nassauische Heimstätte/Wohnstadt genauso wie Ista, Techem und die Anlagenhersteller Bosch und Viessmann.

Grinewitschus und sein Team setzen bei der App auf einen Gamification-Ansatz: Mit der eingesparten Wärme füttern die Nutzer ein Fantasiewesen, das auf diese Weise wächst und gedeiht. Bonus- und damit „Fütterpunkte“ kann man außerdem mit richtigen Antworten auf ein Energiesparquiz sammeln. „Die Frage ist ja, wie wir das Wissen in die Köpfe kriegen“, sagt Grinewitschus. Das spielerische Herangehen könne dazu animieren. App-Nutzer können sich zeitnah über ihren Wärmeverbrauch informieren, die Forscher sehen zugleich, wie die Endkunden heizen und können daraus Handlungsempfehlungen ableiten.

In der Breite sei dieser Ansatz einmalig, sagt Grinewitschus – es gebe zwar viele Anwendungen im Smarthome-Bereich, die fokussierten allerdings auf den Strom- und auf den Einfamilienhausbereich und vielen fehlten wirksame, individuelle Tipps. Die Wechselwirkungen zwischen großen Heizungsanlagen und vielfältigen Nutzern seien außerdem kaum untersucht. „Die Herausforderung besteht in der Verknüpfung der Daten“, sagt der Ingenieur. Potenzial sieht er vor allem auch in den schwergewichtigen Projektpartnern, mit denen man große Bestände optimieren könne.

Vertreter der Start-up-Szene stimmen der Einschätzung aus Bochum teilweise zu. „Aufgrund der ESG-Regulatorik wird die Notwendigkeit, im Bereich Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik in Immobilien gezielt Daten zu erheben und zu analysieren, immer dringender“, erklärt Sarah Schlesinger, Managing Director und CEO bei Blackprintpartners. „Nach Angaben unserer Partner sind aktuell 95 Prozent der Mehrfamilienhäuser allerdings noch nicht mit der dafür notwendigen Infrastruktur ausgestattet.“

Es gebe kaum eine Lösung, die flächendeckend einsetzbar und mit einem positiven Business-Case verbunden sei, also sich mittelfristig lohne, bekräftigt die CEO des Immobiliendigitalisierers Metr, Franka Birke. Gründe dafür sieht sie im bisher fehlenden Anreiz für Wohnungsunternehmen, in energiesparende Technik zu investieren – zum einen koste der CO2-Ausstoß erst seit Anfang des Jahres Geld und dies sei noch zu wenig, um zu wirken. Zum anderen warte man auf die ausstehende Novelle der Heizkostenverordnung.

Allerdings seien einige Projekte in der Entwicklung, die vor einem Ausrollen stünden, sagt Birke. Als entscheidend sieht die Metr-CEO Kooperationen innerhalb der Proptech-Szene und mit etablierten Partnern an – um etwa erhobene Rohdaten dann auch Nutzern zuordnen zu können.

Auch von Allthings, einem Proptech der ersten Stunde mit gutem Marktüberblick, heißt es: Noch möge es stimmen, dass Smarthome-Technik bisher vorwiegend auf Einfamilienhäuser abziele. „Hier findet aber zunehmend ein Wandel statt“, erklärt Unternehmenssprecher Benjamin Rheinheimer. Das Interesse vonseiten der Wohnungswirtschaft steige, bekräftigt er. „Das Bewusstsein wächst rapide.“

Blackprintpartners-CEO Schlesinger weist darauf hin, dass nicht nur etablierte Unternehmen an eigener Infrastruktur wie etwa individuellen Gateways arbeiteten, um diese als Standard zu installieren, sondern dass auch Proptechs Lösungen anbieten. Eines der Start-ups, die ein funktionierendes Modell für sich beanspruchen, ist Kugu. Das in Berlin ansässige Proptech offeriert die Digitalisierung von Heiz- und Nebenkostenabrechnungen, beteiligt ist etwa Eon über seine Tochter edis.

Kugu-Mitgründer Christopher von Gumppenberg verspricht Unternehmen, Ablesedienstleister überflüssig zu machen. Über eine App sehe jeder Nutzer, wie viel Heizkosten er verbrauche, sagt von Gumppenberg. Mieter würden mit dem Herunterladen der Anwendung der Verarbeitung ihrer Daten zustimmen. Derzeit arbeite man an einer Verknüpfung, um die Wärmeeinsparungen in finanzielle Einsparungen umzurechnen, so der Kugu-Gründer weiter. Für Metr-CEO Birke wäre die Vergleichbarkeit einer solchen App mit anderen Nutzern der entscheidende Ansporn, um wirklich zu sparen. „Wenn ich mich nur mit mir selbst vergleiche, fehlt der Anreiz.“

Während solche Ansätze in Deutschland aus Datenschutzgründen problematisch werden dürften, ist etwas in dieser Richtung in Dänemark bereits erprobt worden: Die Wohnungsbaugesellschaft Dansk Almennyttigt Boligselskab (DAB) hatte in einem Sanierungsobjekt die dänische Noventic-Tochter KeepFocus damit beauftragt, den Bewohnern über eine App Zugriff auf ihren aktuellen Energieverbrauch und Informationen über den Verbrauch von Strom, Wasser und Wärme in ihrer Wohnung zukommen zu lassen. Außerdem konnten sie sich mit anderen Wohnungen in dem Viertel vergleichen. Der Effekt des inzwischen abgeschlossenen Forschungsvorhabens: Der Wärmeverbrauch in der sanierten Siedlung sank um 60 Prozent – ein Vielfaches der Einsparungen nach vergleichbaren früheren Maßnahmen.

Häufig nämlich sind nach solchen Vorhaben Rebound-Effekte zu beobachten. Bewohner ändern ihr Verhalten, weil sie nach der Modernisierung von einem effizienteren Energieeinsatz ausgehen, und erhöhen ihren Verbrauch. Indem sie dann zum Beispiel wenig genutzte Räume stärker heizen oder bedenkenlos lüften, verpuffen die durch die Sanierung erzielten Verbesserungen.

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