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08.03.2022

06:15

Urban Mining

Die Stadt als Rohstofflager

Von: Imke Reiher

In alten Häusern und Fabriken stecken Massen an Rohstoffen. Die alten Gebäude werden daher immer mehr als Mine betrachtet.

Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung von Urban Mining. Quelle: Gundlach Bau und Immobilien GmbH & Co. KGQuelle: Gundlach Bau und Immobilien GmbH & Co. KG

Deutschlands erstes Recyclinghaus in Hannover

Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung von Urban Mining. Quelle: Gundlach Bau und Immobilien GmbH & Co. KG
Quelle: Gundlach Bau und Immobilien GmbH & Co. KG

Sie sind verlassen, alt und unansehnlich und haben doch großen Wert: leer stehende Immobilien. In den Häusern, Fabriken oder Bahnhöfen stecken Massen an Rohstoffen. Sie zu bergen ist allerdings die große Herausforderung – noch. Einige Unternehmen haben sich vorgenommen, diese Materialien zu erfassen, zu dokumentieren und dadurch nutzbar zu machen.

Ziel ist es, die im Bestand gebundenen Materialien am Ende ihrer Nutzungszeit in dieser Form wieder in den Baukreislauf zu integrieren. Das spart Ressourcen, und das ist ein Ansatz, der angesichts des Kampfes gegen den Klimawandel zunehmend an Bedeutung gewinnt. Schließlich werden allein in Deutschland jedes Jahr rund 560 Millionen mineralische Tonnen an Rohstoffen wie Steine, Kies, Sand und Erden verbaut – mit einer entsprechenden Belastung für die Umwelt. Wird ein Gebäude abgerissen, wird entsprechend viel Material freigesetzt. Bau- und Abbruchabfälle machen hierzulande mehr als die Hälfte des insgesamt anfallenden Abfalls aus.

Durch gezieltes Urban Mining – die gezielte Rohstoffgewinnung im städtischen Raum aus bestehenden Immobilien – ließe sich zumindest ein Teil dieser wertvollen Rohstoffe wieder nutzen. Wie groß das Potenzial ist, zeigt Felix Müller, Experte für Urban Mining und Kreislaufwirtschaft beim Umweltbundesamt, am Beispiel Berlin auf: „Bis 2030 könnten 55 Prozent des Betons als Ressourcenbeton produziert werden, aktuell ist es weniger als ein Prozent.“

Erste Projekte zeigen bereits die Möglichkeiten auf. Dazu zählt unter anderem das Rathaus im hessischen Korbach, das 2018 ‘Urban Mining‘-gerecht saniert wurde. Das beim Abbruch anfallende Material wurde in den Neubau integriert, sowie passende andere Roh- und Wertstoffe, die sich für eine Wiederverwertung eigneten.

Die Qualität der Sekundärmaterialien spielt beim Urban Mining eine wichtige Rolle, schließlich müssen die Materialien je nach Einsatz unterschiedliche Anforderungen erfüllen, so sind beim Hochbau strengere Kriterien zu erfüllen als beim Tiefbau. Um ein optimales Recycling-Ergebnis zu erhalten, sollten sich die einzelnen Materialien am Ende ihres Lebenszyklus’ möglichst sortenrein trennen lassen. Damit das möglich ist, werden Materialien bestenfalls bereits so verbaut, dass sie sich am Ende ihrer Nutzungsphase problemlos wieder trennen und somit in gleichbleibender Qualität erhalten beziehungsweise aufarbeiten lassen. Hier kommt der Cradle-to-Cradle-Ansatz ins Spiel: Baumaterialien sollen schon vor ihrem Einsatz mit Blick auf eine spätere Umnutzung betrachtet werden, sodass sie eines Tages leicht demontiert, sortenrein trennbar und dadurch vollständig zu recyceln sind.

Wie gut sich alte Materialien wieder einsetzen lassen, zeigt ein weiteres Urban-Mining-Projekt aus Hannover. Im Sommer 2019 entstand im Stadtteil Kronsberg nach drei Jahren Vorbereitungszeit das erste Recyclinghaus Deutschlands. Mehr als die Hälfte der eingesetzten Materialien ist Recycling-Ware, etwa Holztüren, Fensterrahmen und Ziegelsteine. Weitere Beispiele für Urban-Mining-Projekte sind der Erweiterungsbau des Umweltbundesamts (UBA), der Neubau der Humboldt-Universität Berlin, die Mercedes-Fabrik in Sindelfingen und das Technische Rathaus in Tübingen.

Die Nachhaltigkeit von Gebäuden und der Trend zur Kreislaufwirtschaft wird in Bälde für Investoren, Projektentwickler und Bauherren eine größere Rolle spielen, ist Felix Müller überzeugt. „Urban Mining wird die Baubranche auf jeden Fall verändern“, sagt er. „Information und Dokumentation werden mit Blick auf Materialinventare und Baubestand immer wichtiger und müssen gebündelt und zusammengebracht werden.“ Zum einen, um so nachvollziehen zu können, welches Material in den einzelnen Bauten steckt und welche Mengen davon wann zu erwarten sind. Zum anderen, weil auch die ökologische Bilanz per se an Bedeutung gewinnt. Zertifizierungen beeinflussen schließlich den Wert eines Hauses, weil eine umweltfreundliche Bauweise als Mehrwert eingepreist wird.

Im Urban-Mining-Bereich aktiv sind unter anderem Gundlach Bau und Immobilien, Drees & Sommer, das Projekt Urban-Mining-Design aus Köln und die Firma Wacker aus Filderstadt, die sich auf Baustoff-Recycling fokussiert. Ein weiteres Angebot bietet die Online-Plattform Madaster, die seit vergangenen November öffentlich zugänglich ist. Einen ähnlichen Ansatz hat das 2020 gegründete Unternehmen Concular. Ebenfalls über eine digitale Plattform bringt es gebrauchte Baumaterialien und Nutzer zusammen. Dafür werden Materialien in Bestandsgebäuden erfasst und Materialpässe erstellt. Junge Gründer aus der Kreislaufwirtschaft können sich zudem für ein Förderprogramm bewerben, das Veolia und Eit Raw Materials 2021 an den Start gebracht haben.

Auch wenn der Bau nach Urban-Mining-Kriterien zunächst teurer und aufwendiger ist als das klassische Bauen, kann sich dieses Vorgehen auszahlen. Denn die Kreislaufwirtschaft ist nicht nur umweltfreundlicher und schadstoffärmer, sondern ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Immerhin werden Kosten für langlebige Güter gespart, durch Aufbereitung im Inland und kürzere Transportwege. „Wir sprechen hier von einer enormen CO2-Reduzierung sowie Kosteneinsparungen“, sagt Oliver Wacker, Geschäftsführer der Firma Wacker aus Filderstadt.

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