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17.03.2023

09:32

Wohnungsmangel

Professoren schlagen Mieterhöhung um 15 bis 20 Prozent vor

Von: Markus Hinterberger

Drei Wissenschaftler haben eine radikale Lösung für den Immobilienmarkt erarbeitet: Um Wohnraum gerechter zu verteilen, müssten die Mieten steigen. Warum die Idee auch Vermieter erzürnt.

Immobilien IMAGO/Michael Gstettenbauer

Wohnungsbaustelle in Düsseldorf

Bisher will die Politik den Neubau ankurbeln, um den Wohnungsmangel vor allem in Ballungsräumen zu lindern. Drei Wissenschaftler schlagen einen anderen Weg vor.

(Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer)

Über wenige Themen wird derzeit erbitterter gestritten als über das Wohnen und die damit verbundenen Fragen, wo neue Häuser entstehen können und was Wohnraum kosten darf. Forscher des IREBS Immobilieninstituts der Universität Regensburg haben die Diskussion nun um einen radikalen Vorschlag bereichert.

Die These der Professoren um den Immobilienwissenschaftler Steffen Sebastian: Es braucht keine neuen Wohnungen, die vorhandenen müssten nur besser verteilt werden. Um das zu erreichen, sollen Mieter mit günstigen, alten Mietverträgen deutlich mehr zahlen und dadurch motiviert werden, Platz zu machen für Familien. Die Gewinne, die die Vermieter durch die höheren Mieten einnehmen, sollen über einen Vermieter-Soli abgeschöpft werden und als Wohngeld an deutlich mehr Menschen fließen als bisher.

Immobilienmarkt: Idee gegen Wohnungsmangel stößt auf Widerstand

Diese gigantische Umverteilung soll den Wohnungsmarkt gerechter machen, stößt aber vielerorts auf Widerstand. Das Handelsblatt hat Kritiker und Befürworter befragt und zeigt Alternativen, wie der Wohnungsmarkt gerechter werden kann.

„Ich halte es für ein Unding, dass Menschen, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten eine geringe Miete zahlen, hierzulande so extrem geschützt werden, während andere keine bezahlbare Wohnung finden“, sagt Steffen Sebastian, der gemeinsam mit dem Juristen Jürgen Kühling und dem Ökonomen Sebastian Siegloch den Vorschlag erarbeitet hat. „Wir subventionieren bundesweit über die Mietspiegel Millionen Mieter mit der Gießkanne und sorgen für einen Lock-in-Effekt“, erklärt er.

Millionen Menschen, die allein oder zu zweit große, günstige Wohnungen bewohnen, würden seiner Ansicht nach gern umziehen, aber wegen des gewaltigen Unterschieds zwischen Neu- und Bestandsmieten müssten sie in einer deutlich kleineren Wohnung viel mehr zahlen. Infolgedessen bleiben sie, wo sie sind.

Mieten würden um 15 bis 20 Prozent steigen

Der Hauptgrund für diese Verzerrungen am Markt sind seiner Ansicht nach die Mietspiegel. Diese werden aus dem Durchschnitt der Mieten der vergangenen sechs Jahre inklusive Mieterhöhungen und der Mieten von Genossenschaften und kommunalen Wohnungen errechnet. Dadurch seien sie zu weit vom Marktpreis entfernt.

Sebastian und seine Kollegen wollen die Berechnung des Mietspiegels so verändern, dass die Mieten in vielen Regionen um 15 bis 20 Prozent steigen und somit deutlich näher an einen realistischen Marktpreis heranreichen würden. Auch die Kappungsgrenze, die eine Mieterhöhung von mehr als 20 Prozent verbietet, wollen die Forscher stark einschränken. „Mieter mit geringen Einkommen müssen geschützt werden, nicht Mieter mit niedrigen Mieten“, konstatiert Sebastian.

Damit das nicht zu einem Konjunkturprogramm für Vermieter wird, schlagen die Wissenschaftler vor, deren zusätzliche Gewinne in Form eines Vermieter-Solidaritätszuschlags abhängig von deren Einkommen abzuschöpfen. Dieses Geld würde dafür verwendet, deutlich mehr Menschen als bislang ein Wohngeld oder eine vergleichbare Unterstützung zu zahlen. Steffen Sebastian schätzt, dass nach dem Modell in manchen Städten 15 bis 20 Prozent der Mieter einen Zuschuss zu ihrer Miete bekämen. Damit sei bezahlbares Wohnen für alle und sofort zu erreichen, so Sebastian. Laut Statistischem Bundesamt haben Ende 2021 deutschlandweit nur 1,5 Prozent der Haushalte Wohngeld erhalten.

Der Kritik, dass die neuen Wohngeld-Bezieher dann ihre Hände in den Schoß legen könnten und nicht mehr arbeiten müssten, tritt Sebastian entschlossen entgegen. Es gehe vielmehr darum, allen die Möglichkeit einzuräumen, so zu wohnen, dass nach der Mietzahlung noch genug Einkommen übrig bleibt, um andere laufende Kosten zu decken. Menschen ein auskömmliches sogenanntes Residualeinkommen zu verschaffen, sei wichtiger als eine Durchschnittsmiete zu bestimmen, die für eine Bevölkerungsgruppe zu hoch und für eine andere Gruppe viel zu niedrig sei.

Laut Mieterbund fehlen 700.000 Wohnungen in Deutschland

Beim Deutschen Mieterbund kommt der Vorschlag gar nicht gut an. „Jegliche Maßnahmen zur Erhöhung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die zur weiteren Erhöhung der Mietspiegelmieten führen, lehnen wir insbesondere in Zeiten angespannter Wohnungsmärkte und drastischer Mietenexplosion deutlich ab“, sagt Melanie Moritz.

Die Bundesdirektorin des Mieterbunds fordert im Gegenteil, alle Mieten – auch die aus dem geförderten Wohnungsbau – in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einzubeziehen. Das würde die Mietspiegelmieten sogar senken.

Ihrer Ansicht nach fehlten in Deutschland rund 700.000 Wohnungen. Es sei „blauäugig zu glauben“, dass alle Menschen, die in Ballungsräumen nach Wohnraum suchen, allein durch Umverteilung eine neue Bleibe finden könnten.

Auch beim Vermieterverband Haus & Grund stößt der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Bundesgeschäftsführer Gerold Happ ist sich sicher, dass höhere Mieten keinen neuen Wohnraum schaffen. Vor allem dann nicht, wenn die höheren Mieteinnahmen nicht in neue Wohnungen oder Sanierungen investiert werden könnten, sondern an Menschen gezahlt würden, die sich die gestiegenen Mieten nicht mehr leisten könnten.

Happ findet, Bauen müsse günstiger werden. „Hier sind die Kosten schneller gestiegen als die Inflationsrate. Wenn hier nicht gegengesteuert wird, müssen die Mieten steigen.“ Anders als durch steigende Mieten – deren Einnahme bei den Vermietern bliebe – sei Neubau derzeit nicht finanzierbar.

Reiner Braun, Vorstand des Immobilienmarktforschungsinstituts Empirica, hält den Vorstoß der drei Wissenschaftler aus wirtschaftlicher Sicht für richtig, aber für kaum finanzierbar. Er rechnet vor: Wenn jeder fünfte Haushalt Wohngeld bezöge, müssten jährlich rund 20 Milliarden Euro ausgezahlt werden. 2021 betrug das Volumen aller Wohngeldzahlungen 1,4 Milliarden Euro. Zudem zweifelt er daran, ob der Vorschlag politisch überhaupt umsetzbar ist.

Immobilien-Forscher: „Erheblicher sozialer Sprengstoff“

In einem Punkt pflichtet Braun den Forschern bei: Die Kluft zwischen Neuvertragsmieten und denen im Bestand sei zu hoch. Das sorge für erheblichen sozialen Sprengstoff.

Dennoch bekämpfe der Vorschlag nur die Symptome. Deshalb sieht auch er einen Ausbau des Angebots als den einzigen Ausweg, das Problem zu lösen: „Wir haben an einigen Orten in Deutschland schlicht zu wenig Wohnraum“, so Braun. Um den zu schaffen, müsste Bauen günstiger werden.

Während Architekten und Projektentwickler immer wieder fordern, das Baurecht und die Vorgaben beim Neubau zu entschlacken, um die Baukosten zu senken, sieht Braun den größten Hebel beim Bauland: „Wir brauchen eindeutig mehr Flächen, und zwar in den Städten oder an deren Rand.“

Besonders zuversichtlich, dass sich hier etwas ändere, sei er aber nicht. „Aus ideologischen und umweltpolitischen Gründen wird in Ballungsräumen kaum noch Bauland ausgewiesen“. Das führe dazu, dass viele Bauwillige die Städte verlassen würden.

Seiner Meinung nach könnten die Kommunen mit einer höheren Grundsteuer auf Bauland in Form einer Bodenwertsteuer schnell Anreize für mehr Wohnraum schaffen. Gleichzeitig begrüßt er den Vorschlag, die Grunderwerbsteuer für alle, die zum ersten Mal kaufen, zu streichen. Die FDP hatte dies bereits vor der jüngsten Bundestagswahl angeregt.

Wie Wohnraum dort entstehen kann, wo er gebraucht wird, und zu welchem Preis, wird die Politik und die Akteure am Immobilienmarkt weiter beschäftigen. „Vielleicht brauchen wir auch hier eine Zeitenwende“, sagt Reiner Braun. Steffen Sebastian ergänzt: „Es ist unstrittig, dass es etwas geschehen muss. Und wenn unser zugegebenermaßen radikaler Vorschlag einen Denkanstoß gibt, ist schon einiges gewonnen“.

Erstpublikation: 10.03.2023, 06:15 Uhr.

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