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05.12.2020

15:00

Auswahlverfahren

So können Manager im Assessment-Center bestehen

Von: Claudia Obmann

Beweisen Sie Ihre Chefqualitäten im Auswahlverfahren: Das sind die Knackpunkte beim Psycho-Test, im Stress-Interview und in der Konflikt-Simulation.

Immer mehr Arbeitgeber wollen auch der Persönlichkeit der Kandidaten auf den Zahn fühlen. mauritius images / Rudall30 / Alamy

Manager im Rampenlicht

Immer mehr Arbeitgeber wollen auch der Persönlichkeit der Kandidaten auf den Zahn fühlen.

Düsseldorf Die Anweisung war präzise: Handy aus, um in einer Stunde konzentriert 80 Onlineaufgaben zu bearbeiten. Das Ergebnis: Manfred Körbers* Persönlichkeitsprofil. So viel hatte der Personalberater von Korn Ferry dem 52-jährigen Maschinenbauingenieur vorab verraten.

Und: Dieser Psychocheck entscheide darüber, ob Körber im mehrstufigen Auswahlprozess für einen Geschäftsführerposten weiterkomme. Der Manager gibt zu: „Nicht zu wissen, was mich da genau erwartet, war schon seltsam.“

Bammel vor dem Psychotest haben nicht nur erfahrene Finanzchefs wie Manfred Körber. Immer öfter heißt es vor einer Neueinstellung oder Beförderung: „Dann beweisen Sie uns mal Ihre Chefqualitäten.“

Was ein externer oder interner Kandidat kann und an Erfahrung mitbringt, ist das eine. Doch immer mehr Arbeitgeber wollen auch der Persönlichkeit auf den Zahn fühlen. Wie steht es um Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit eines Bewerbers? Wie reagiert er auf Rückschläge und Widerstand? Bleibt er gelassen unter Druck?

Den oder die Beste für eine bestimmte Rolle zu finden ist Ziel der sogenannten Assessment-Center (ACs). Denn „das Risiko einer personellen Fehlentscheidung auf den oberen Führungsetagen ist zu teuer“, weiß Uwe Kanning. Der Professor ist Personaldiagnostikexperte an der Hochschule Osnabrück und gilt als einer der führenden Köpfe der Personalauswahl in Deutschland.

Ob Autoindustrie, Energiesektor, Tourismus oder Banken – die Nachfrage nach methodischen Auswahlverfahren boomt. Konkrete Zahlen, wie viele Assessment-Center pro Jahr hierzulande stattfinden, gibt es zwar nicht. Aber spezialisierte Personalberatungen wie Kienbaum, Korn Ferry oder Mercuri Urval bestätigen „massiv gestiegene“ Anfragen.

Michael Schäfer, Senior Vice President von Mercuri Urval, einem der Pioniere der Szene, der rund 50.000 ACs weltweit pro Jahr durchführt, sagt: „Wir erleben gerade ACs, so groß wie nie zuvor.“ Seine Kollegen hätten zuletzt mehr als 200 mittlere und obere Führungskräfte eines deutschen Medienhauses danach beurteilt, wie veränderungswillig, innovationsgetrieben und lernbereit sie sind. Und wem von ihnen es wohl am besten gelingen dürfte, die Mitarbeiter zur Umsetzung der neuen Unternehmensstrategie zu motivieren.

Kritiker sehen im systematischen Scan von Führungsriegen reine Alibiveranstaltungen. Wen man loswerden wolle, stehe schon vorher fest. Mit scheinbar objektiven Tests solle lediglich der „Nasenfaktor“ verschleiert werden.

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Ob das AC nun zur Trennung oder zu einer Neubesetzung führt, der Arbeitgeber muss tatsächlich zuerst einmal definieren, welche Kompetenzen und Persönlichkeiten er benötigt. Die Gründungs- oder Wachstumsphase eines Unternehmens verlangt nach unterschiedlicher Expertise, vor allem aber anderen Eigenschaften als etwa ein Sanierungsfall.

Dann kommt es auf die Passgenauigkeit von Stellenprofil und Persönlichkeit an. Um die herauszufinden, besteht ein AC meist aus drei Komponenten: Auf die Testeinheit folgen ein strukturiertes Gespräch und ein berufsbezogenes Rollenspiel, um die Profiling-Ergebnisse zu überprüfen.

Das kommt bei der Manager-Musterung auf Sie zu, und das sollten Bewerber unbedingt wissen, um im AC zu überzeugen.

Der Test: Schummeln ist sinnlos

„Wie würden Sie mit widerspenstigen Mitarbeitern verfahren? Wie gut können Sie priorisieren? Stimmen Worte und Taten bei Ihnen überein?“ So und ähnlich lauteten die Fragen, die Manfred Körber beim Onlinetest beantwortete. Um sein Verhalten als Vorgesetzter selbst einzuschätzen, klickte er vorgefertigte, abgestufte Antworten an.

Headhunter Robert Frisinger von Korn Ferry, der Manager Körber ins AC geschickt hat, sagt: „Es geht nicht um ‚Daumen hoch oder runter‘, sondern darum, einen Kandidaten zuerst einmal möglichst ganzheitlich zu erfassen.“ Dabei gilt für den Bewerber: Schummeln ist sinnlos. Ein ausgeklügeltes System ähnlicher Fragen macht Diskrepanzen in den Antworten sichtbar.

Insgesamt zeigt sich so die individuelle Ausprägung von vier Führungsdimensionen des Teilnehmers: Erfahrung, Fähigkeiten, Motivatoren, Persönlichkeitsmerkmale. Dieses Ergebnis wird dann verglichen mit einer bestimmten Anzahl von Profilen für vergleichbare Positionen aus insgesamt 2,5 Millionen Bewerbern, die von Korn Ferry getestet wurden.

Unterschiedliche Anbieter haben auch unterschiedliche Metriken. Als deutscher Goldstandard unter den Persönlichkeitstests für Manager gilt das „Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung“ der Ruhr-Universität.

Die Auswertung zu Manfred Körber, die er auch selbst erhielt, zeigte zum Beispiel seine Stärke, mit Ungewissheit umzugehen, effektiv zu handeln und andere zum Mitmachen zu bewegen. Zudem konnte der Ingenieur mit Aufgeschlossenheit für Neues und Flexibilität glänzen.

Als Schwäche offenbarte sich dagegen sein unterdurchschnittlich ausgeprägter Hang zum Netzwerken. Für die angestrebte Position als neuer Geschäftsführer einer international tätigen Konzerntochter kein kleines Manko. Größter Aha-Effekt für ihn selbst war allerdings sein offenbar besonders ausgeprägtes Machtstreben. Einfluss und Entscheidungsfreiheit, aber auch der Wunsch nach kollegialem Miteinander erwiesen sich als Körbers Hauptmotivatoren.

Das Interview: Nur nicht provozieren lassen

Wer bei seinem Selbstbild zu dick aufgetragen hat, fliegt spätestens im persönlichen Interview auf. Im zweiten Teil des AC geht es für den Kandidaten nun darum, seine Analyse- und Führungsfähigkeiten nachzuweisen, mit denen er sich für die neue Position qualifiziert. Die Prüfer bohren anhand ihres Interview-Leitfadens gezielt. Jede Kompetenz wird mit drei, vier Fragen abgedeckt. Seriöse Anbieter hinterlegen ein Raster für die Bewertung jeder einzelnen Antwort.

Etwa 80 Prozent der Fragen werden jedem Bewerber in gleicher Weise gestellt. Das ist wichtig, damit sich keine Beurteilungsfehler einschleichen. Der erfahrene Eignungsdiagnostiker Kanning weiß: „Sogar wir Profis können auf Attraktivität, Ähnlichkeit oder ausgefeilte Bewerbungsunterlagen hereinfallen.“

Die Prüfer fragen den Jobanwärter nach dem Verhalten und seinen Erfahrungen in konkreten Situationen. Neben den Erfolgen interessieren sie Schwächen, Niederlagen, Fehler. Wirtschaftspsychologe Maximilian Junck, der für Mercuri Urval ACs konzipiert, sagt: „Es geht um Selbstreflexion. Der Teilnehmer muss sich stark öffnen.“

Das kann unangenehm werden: „Sind Sie in Ihrem letzten Unternehmen wirklich so krachend gescheitert, wie es scheint?“ Wer jetzt schockiert ist und aggressiv reagiert, hat verloren, warnt Claus Verfürth. Er trainiert Manager für ACs, insbesondere für Stressinterviews, mit denen einige Prüfer Kandidaten bewusst durch harsche Nachfragen, Unterstellungen und eine ungemütliche Atmosphäre provozieren.

Die Prüfer bohren anhand ihres Leitfadens gezielt. imago images / PhotoAlto

Das Interview

Die Prüfer bohren anhand ihres Leitfadens gezielt.

„Der Interviewer will den Bewerber verunsichern und beobachten, wie er mit Druck umgeht“, erklärt Verfürth. Denn während der Kandidat noch überlegt, warum man ihn attackiert, muss er auch schon eine souveräne Antwort liefern.

Dabei ist der Lebenslauf eine wahre Fundgrube für provokante Fragen, weiß Verfürth: „Sie wollen Digitalisierungsexperte sein. Na, dann schildern Sie uns doch mal drei Ihrer außerordentlichen Erfolgsbeispiele.“ Der Manager-Trainer erläutert: „Eines hat der Kandidat sicher parat, vielleicht zwei. Aber drei? Sie können sicher sein, da steigt der Puls.“ Verfürth rät, ruhig zu bleiben, die Vorwürfe sachlich zu entkräften und sich niemals aufregen zu lassen.

Das Rollenspiel: Dominanz bringt Minuspunkte

Kluge Kommunikation ist die häufigste Schwäche von Managern, weiß Psychologe Maximilian Junck. Deshalb wird diese so wichtige Fähigkeit auch im dritten Teil eines umfassenden Manager-ACs überprüft. Im Rollenspiel werden einige stressige Situationen aus dem künftigen Arbeitsalltag aufgegriffen. Der Teilnehmer agiert in seiner Führungsrolle, ein Beobachter mimt den Gegenpart.

Klassischerweise geht es um konfliktreiche Mitarbeiter-, Verkaufs- oder Beschwerdegespräche. In allen Fällen muss der Kandidat Kommunikationsgeschick beweisen und aus dem Stegreif Lösungen finden. Je nachdem, um welche Position es geht, werden weitere Situationen durchgespielt.

Die neue Personalchefin muss etwa einen hochrangigen Manager wegen eines Verstoßes gegen Compliance-Richtlinien befragen. Der neue Vorsitzende der Geschäftsleitung, der für eine Restrukturierung engagiert wird, muss vielleicht einen Investor überzeugen.

Einbeziehen ließe sich hier noch eine Fallstudie. Eignungsdiagnostiker Kanning erklärt das so: „Der Kandidat bekommt vorab Zahlenmaterial, etwa zu einer Fusion mit einem US-Unternehmen. Er hat 45 Minuten Zeit, sie zu sichten und eine Strategie auszuarbeiten plus Zugang zu Medien, um dazu eine Präsentation zu erstellen.“

Was dann als gut oder schlecht bewertet wird, hängt wieder stark vom Ziel des AC ab. Minuspunkte bringen Dominanz und Halsstarrigkeit. Zuhören, das Gespräch steuern, einen Prozess vorantreiben oder richtungsweisend agieren: Das kommt gut an. Sich durchzusetzen, ohne andere abzubügeln, eine sachliche Argumentation und ein sicheres, ruhiges Auftreten trotz Zeitdruck sind ebenso wichtig.

Fazit: Der Abgleich kann beiden Seiten helfen

In Summe ist man etwa einen Tag mit einem dreiteiligen AC beschäftigt. Experte Kanning hält ein gezieltes Training für wissenschaftlich solide Tests für kaum möglich. Aber eine gute Vorbereitung mache definitiv einen Unterschied: „Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, die eigenen Stärken, Schwächen, Motive und Kraftquellen zu kennen, ist sinnvoll.“

Darüber hinaus lohnt es sich, berufliche Erfahrungen – speziell die schwierigsten, inklusive der daraus gezogenen Lehren – zu reflektieren. Und stets parat zu haben, welchen Mehrwert man über generelle Managementqualitäten hinaus bei der neuen Position einbringt.

Schließlich empfiehlt es sich zu hinterfragen, was man will oder nicht will – und ob das zum potenziellen Arbeitgeber passt. Der einhellige Rat von Prüfern und Absolventen lautet: „Nicht verbiegen, sondern Sie selbst sein.“

Dann lässt sich auch das stressigste AC als Chance begreifen. Teilnehmer Körber, der danach den Job als neuer CFO bekommen hat, bestätigt: „Der Abgleich von Eigen- und Fremdbild und die Anstöße zur beruflichen Weiterentwicklung sind wertvoll.“

Außerdem offenbare ein AC viel über die Kultur eines Unternehmens, die einen erwarte. Experte Kanning ergänzt: „Eine professionelle Personalauswahl ist für beide Seiten gut: Der Arbeitgeber besetzt optimal, und auch die neue Führungskraft ist mit der Situation zufrieden und kann ihre volle Leistung bringen.“ 
*Name geändert.

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