Die Arbeitsrichter haben ein Urteil entgegen der bislang eher arbeitgeberfreundlichen Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes gefällt. Was das für den Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern heißt.
Junge Frau am Strand
Resturlaub verfällt laut Bundesarbeitsgericht nicht mehr, sondern kann auch im neuen Jahr genommen werden.
Bild: imago images/Westend61
Düsseldorf Groß war der Ärger bei Angestellten, wenn ihr Resturlaub am Ende eines Jahres verfiel. Damit ist jetzt Schluss: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am Dienstag geurteilt, dass Urlaubsansprüche von Mitarbeitern nicht mehr automatisch verfallen und auch nicht automatisch nach drei Jahren verjähren.
Das kann dazu führen, dass Resturlaub auch Jahre später noch genommen werden kann oder dass er Angestellten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausbezahlt werden muss. Ausnahme: Der Arbeitgeber hat dafür gesorgt, dass Beschäftigte ihren Urlaub tatsächlich nehmen können.
Mitarbeitende müssen also rechtzeitig vom Chef auf Resturlaubsansprüche hingewiesen und aufgefordert werden, Ferien zu machen. Eine dreijährige Verjährungsfrist beginne „erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat“, erklärte das Gericht (Az.: 9 AZR 266/20).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte erst kürzlich geurteilt, dass ein Urlaubsanspruch nur verjähren kann, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist. Dieses EuGH-Entscheidung hat nun das BAG in seinem aktuellen Urteil berücksichtigt.
Die Informationspflicht des Arbeitgebers gelte auch für Arbeitnehmer, die für lange Zeit erkrankt sind, erklärte das Gericht (Az.: 9 AZR 245/19). Ihnen drohte bisher auch für das Jahr ihrer Erkrankung der Verfall von Urlaub 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres. Das gilt nun nicht mehr.
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Das Urteil der höchsten deutschen Arbeitsrichter bedeutet eine Abkehr von der bislang eher arbeitgeberfreundlichen Auslegung des Bundesurlaubsgesetztes. Es sieht eigentlich vor, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen ist. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des Folgejahres war nur aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen möglich.
Und so kam es zum BAG-Urteil: Eine Steuerfachangestellte, seit 1996 im Betrieb, die ihre 24 Tage Urlaub pro Jahr nicht ausschöpfte, bekam von ihrem Arbeitgeber 2011 76 Tage Resturlaub bescheinigt.
Er sagte ihr zu, dass dieser Urlaub nicht am 31. März 2012 verfallen würde, da sie den Urlaub aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens nicht antreten konnte. Statt den Resturlaub rasch abzubauen, häufte die Angestellte bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses 2017 weiteren Resturlaub an: 101 Tage im Gegenwert von circa 23.000 Euro machte sie geltend.
Das Arbeitsgericht Solingen entschied, es seien nur drei Urlaubstage vom Unternehmen abzugelten – die Ansprüche aus früheren Jahren seien verfallen. Im Berufungsverfahren sprach das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf der Angestellten dagegen einen finanziellen Ausgleich für insgesamt 79 Urlaubstage zu.
Gegen das LAG-Urteil hat die Steuerkanzlei im Jahr 2020 Revision beim BAG eingelegt. Die Erfurter Arbeitsrichter erkannten, dass eine abschließende Entscheidung von der Auslegung des Europarechts abhängt und daher vorab vom EuGH entschieden werden muss, ob ein Urlaubsanspruch nur verjähren kann, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist. Diese Frage bejahte der EuGH Ende September 2022.
Pascal Verma, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei NBS Partners in Hamburg, sagt dazu: „Das Thema Urlaubsanspruch bleibt komplex und muss differenziert betrachtet werden.“ Die Rechtsprechung des EuGH und des BAG bezögen sich auf den gesetzlichen Mindesturlaub.
Verma: „Für zusätzlichen Urlaub, der durch den Arbeitsvertrag oder durch einen Tarifvertrag gewährt wird, können auch eigenständige Regelungen zum Verfall oder zur Verjährung des Urlaubs vereinbart werden.“ Laut dem Hamburger Juristen muss zudem der Anspruch auf freie Tage vom Anspruch auf finanziellen Ausgleich von Resturlaub unterschieden werden.
Das bedeutet konkret: Hält der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflicht nicht ein, kann im laufenden Arbeitsverhältnis Resturlaub künftig auch Jahre später noch genommen werden. Verma: „Der Anspruch, Resturlaub ausgezahlt zu bekommen, falls das Arbeitsverhältnis endet, kann meines Erachtens hingegen weiterhin verjähren oder aufgrund einer arbeits- oder tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen.“
Erstpublikation: 20.12.2022, 15:25 Uhr.
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