Direkter Draht: Bei der Aktion „Chef zu gewinnen“ geben Topmanager Karrieretipps. Die Schüler wollen wissen, wie die Digitalisierung ihr Leben verändern wird.
Chef zu gewinnen
Chef trifft Schüler: Klaus Dittrich, Chef der Messe München, ist einer von insgesamt 18 Top-Managern, die im Rahmen der Handelsblatt-Initiative Abiturienten Rede und Antwort stehen.
Bild: Sebastian Widmann für Handelsblatt
Düsseldorf Manchmal kommen die wichtigen Fragen unserer Zeit von einem Zwölftklässler. „Wenn immer mehr Jobs von Robotern und Computern übernommen werden,“ fragt der Jugendliche, „wie wird dann die Arbeitswelt für uns aussehen? Worauf müssen wir uns einstellen?“
Jürgen Hermann schmunzelt, bevor er zur Antwort ansetzt. „Spannendes Thema“, sagt er. Letztens habe er mit seinem Sohn im Teenageralter über etwas Ähnliches diskutiert. „Ich fürchte, das Szenario, das ich dabei entworfen habe, ist bei ihm etwas bedrohlich angekommen“, erzählt Hermann.
Dabei will der 54-Jährige den 21 Abiturienten des Stadtgymnasiums Köln-Porz gar keine Angst machen. Aber es gibt Veränderungen, das will Hermann nicht verheimlichen. Als Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters QSC weiß er, wovon der spricht. Seine Firma ist auf die Digitalisierung mittelständischer Unternehmen spezialisiert.
Von Rechenzentren bis Internet der Dinge: Jürgen Hermann vom IT-Dienstleister QSC sieht Chancen, aber auch Risiken der Transformation.
Der QSC-Chef steht den Schülern einen ganzen Vormittag lang Rede und Antwort. Zusammengebracht hat sie das Handelsblatt – im Rahmen der Aktion „Chef zu gewinnen“. Die Schüler haben sich dazu – wie im Berufsleben – bei den Chefs beworben, diese wählen dann aus, wen sie zum Gespräch treffen. Die Aktion ist ein fester Bestandteil der Initiative „Handelsblatt macht Schule“, mit der die Zeitung Wirtschafts- und Managementthemen stärker im Unterricht deutscher Schulen verankern möchte.
Mehrere Dutzend Topmanager haben in den letzten Jahren auf diese Weise schon ihre Erfahrungen mit Tausenden von Schülern geteilt. In der diesjährigen Runde sind Vorstandsmitglieder von gleich 18 Unternehmen mit dem Handelsblatt in Schulen unterwegs.
Neben den Klassikern zu Noten, Praktika und Karriereplanung spielten Fragen zur Digitalisierung und den Folgen für die Arbeitswelt eine große Rolle. Das Thema zog sich bei den ersten neun Chefbesuchen wie ein roter Faden durch die Gespräche.
„Ich denke, bei Digitalisierung geht es um weit mehr, als dass der Kühlschrank die Milch bestellt, dass ein Auto autonom fährt oder dass wir alle Instagram nutzen“, sagt QSC-Chef Hermann. „Digitale Technologien werden die Art, wie wir leben und arbeiten, komplett umkrempeln. In 20, 30 Jahren – wenn ihr also mitten im Berufsleben steht – wird es vielleicht Arbeitswelten geben, in denen man sich nur noch virtuell für ein Projekt zusammenschließt. Projekte werden dann nicht mehr von einem Unternehmen bearbeitet, sondern von dieser virtuellen Ansammlung von Personen. Das ändert die Art, wie Menschen zusammenarbeiten, radikal.“
Die große Gefahr sei, so gibt der Vorstandschef zu bedenken, dass vielleicht nur 15 oder 20 Prozent der Erwerbstätigen für die digitalisierte Arbeitswelt qualifiziert seien. Bei weiteren zehn, 15 Prozent gehe es um Aufgaben, die nicht oder nur schwer von Robotern und Computern übernommen werden können. Etwa Berufe wie Friseur, Erzieher oder Zahnarzt.
Viele weitere Jobs zwischen diesen beiden Polen stünden aber zur Disposition, erklärt er den Abiturienten. Sein Rat: „Bleibt an diesen Themen dran, seid offen, übernehmt Verantwortung, arbeitet eigeninitiativ. Das wird ganz entscheidend für euer Berufsleben sein.“ Auch wenn dieses Szenario vielleicht etwas bedrohlich klinge, ist Hermann überzeugt, dass die Digitalisierung den Jugendlichen mehr Chancen als Risiken biete. „Die Welt verändert sich ja nicht von null auf 100, man wächst in alles rein“, macht er Mut.
Der Energiekonzern hat einen Innovationscampus für Digital-Ideen eingerichtet, um den Gründergeist seiner Mitarbeiter zu fördern.
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Frank Mastiaux bei seinem Besuch am Mädchengymnasium St. Agnes in Stuttgart. Der 54-Jährige ist Vorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Bei den Schülerinnen aus dem Wirtschaftskurs der elften Klasse stellt er zum Thema Digitalisierung fest: „Ich denke, sie wird vor allem unsere Art zu arbeiten verändern.“
Beispiel: Fuhren EnBW-Monteure bislang mit Stadtkarte und dickem technischem Handbuch zur Schaltanlage, lotst sie heute ein Navi, und die Betriebsanleitung bekommen sie demnächst über eine Datenbrille eingespielt, so dass die Hände zum Arbeiten frei bleiben. „Geblättert wird per Augenzwinkern“, sagt Mastiaux. Die größte Herausforderung werde dabei sein, Menschen, die schon lange im Beruf stehen, für solche Veränderungen im Arbeitsablauf zu gewinnen.
Über 160 Initiativen sollen in seinem Unternehmen die Digitalisierung im Arbeitsalltag forcieren. Mastiaux: „Große Unternehmen lernen von dem, was Start-ups schon etabliert haben, und ziehen nach.“ Neben Prozessen, die automatisiert oder digitalisiert würden, gäbe es für Mitarbeiter und Kunden inzwischen Apps und neue Produkte wie Solar+, eine intelligente Verknüpfung von Solaranlage und Speicher.
Beobachten müsse man, so Mastiaux, wie sich die Digitalisierung auf den Informationsfluss im Unternehmen auswirkt: „Je mehr wir auf die Interaktion zwischen Mensch und Maschine setzen, desto weniger davon gibt es zwischen Menschen. Das müssen wir im Auge behalten. Denn man wundert sich, wie viel Gutes entsteht, wenn Menschen miteinander reden“, sagt der EnBW-Vorstandschef den Stuttgarter Schülerinnen.
Mit einem persönlichen Internetscout macht sich Alexander Boldyreff fit für die Ära, in der Siri & Co. das Kommando übernehmen.
Welche Umwälzungen neue Technologien dagegen fürs Geschäft bringen, erklärt Alexander Boldyreff Schülerinnen am Maria-Ward-Gymnasium in Bamberg. Boldyreff leitet die Nürnberger Teambank, unter anderem bekannt durch ihr Produkt „Easycredit“. Die Firma aus Franken hat dank Internet und Social Media neue Kommunikationswege hinzugewonnen.
„Wir betreuen unsere Kunden on- und offline. Erstaunlicherweise sind die online betreuten Kunden die zufriedeneren. Die Chatfunktion wird zum Beispiel supergerne genutzt“, berichtet der 50-Jährige und gibt zu, dass ihm ein sogenannter Internetscout aus den Reihen seiner Azubis jede Woche für eine halbe Stunde zeigt, was mit Smartphone und Social Media so alles möglich ist. „Als Vorstand muss ich im Auge haben, wie man heute kommuniziert“, erklärt der Manager den 45 Schülerinnen aus dem Wirtschaft-und-Recht-Kurs der elften Klasse.
Die eigentliche Revolution stehe den Unternehmen aber noch bevor, schätzt Boldyreff. Der Chef der Teambank sieht Sprachassistenten wie Alexa und Siri als „die wahren Gamechanger“ der Digitalisierung. Denn war es bislang wichtig, mit seinem Produkt bei Google aufzutauchen, würden Kunden künftig Sprachassistenten um Produktempfehlungen bitten. „Und Siri wird eine einzige Antwort geben. Keine Tabelle.“
Für Unternehmen sei es deshalb „eine der spannendsten Fragen überhaupt“, wie man es schaffe, dass die digitalen Assistenten dann das eigene Produkt und nicht das der Konkurrenz nennen. „Da brechen fordernde Zeiten an – für Unternehmen wie auch für Kunden.“ Denn Boldyreff ist überzeugt, dass auch Kunden in Zukunft vor allem eines brauchen, um Siri und Co. nicht alles zu glauben: Bewertungskompetenz.
Die gute Nachricht für die Oberstufenschüler: Auch in Zeiten zunehmender Digitalisierung dürften kritische Geister kein Auslaufmodell werden.
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