Europas börsennotierte Konzerne berufen mehr Frauen in Vorstände. Doch eine Studie zeigt, dass der Trend ab einer bestimmten Zahl an Frauen abrupt endet.
Frauenquote
Wenn börsennotierte Konzerne vorgegebene Quoten erreichen, hören sie oft auf, weitere Frauen auf Vorstandsposten zu berufen.
Bild: DigitalVision/Getty Images
Düsseldorf Je mehr Frauen einen Vorstandsposten in europäischen, börsennotierten Konzernen bekleiden, desto geringer ist die Chance für andere Frauen, berufen zu werden. Zwei Frauen schaffen es maximal in die Chefetage, danach ist meist Schluss. Das ist das Ergebnis einer Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Auch für Konzerne im Dax, MDax und SDax bestätigt sich dieser Trend, wie ein im Oktober 2022 erschienener Bericht der Allbright-Stiftung zeigt. Die Stiftung zählt jährlich, wie viele Frauen in Vorstände und Aufsichtsräte berufen werden. Deren Bilanz für eine unsichtbare Obergrenze des Frauenanteils in Vorständen deutscher Unternehmen fällt teils noch düsterer aus.
Das Handelsblatt hat mit einer ZEW-Studienautorin, der Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung und Vertretern von Dax-Konzernen darüber gesprochen, welchen Einfluss die gesetzliche Frauenquote bei der Besetzung im Vorstand hat – und welche Rolle die Öffentlichkeit dabei spielt.
Die Autorinnen und Autoren haben mit ihrer Studie erstmals empirisch einen „Sättigungseffekt“ beim Thema Diversität in europäischen börsennotierten Konzernen nachgewiesen. Grundlage dafür ist eine Stichprobe von über 27.000 Beobachtungen in mehr als 3300 börsennotierten Unternehmen aus 17 Ländern im Zeitraum von 2002 bis 2019. Allbright-Geschäftsführerin Wiebke Ankersen zeigt sich überrascht: „Wir gehen davon aus, dass es in Deutschland meist schon nach einer Frau eine Art Sättigungseffekt gibt“, sagt sie.
Eine Erkenntnis ist zudem, dass die Konzerne meistens nicht hinter ihre Quoten zurückfallen. Wenn eine Frau einen Vorstand verlässt, ist es wahrscheinlicher, dass wieder eine Frau berufen wird. „Scheidet ein Mann aus dem Vorstand aus, folgt daraufhin jedoch seltener eine Frau“, beobachtet ZEW-Studienautorin Hanna Hottenrott und ergänzt: „Das ist ein Beleg für einen frühen Sättigungseffekt bei der Vielfalt im Vorstand.“
Der Immobilienkonzern Vonovia etwa hat zum Jahresbeginn 2022 seinen Vorstand wegen der Übernahme der Deutschen Wohnen auf fünf Mitglieder vergrößert – mit einem Mann. Dabei wechselte die langjährige Finanzvorständin Helene von Roeder auf einen neu geschaffenen Posten für Digitalisierung und Innovation. Das neue Vorstandsmitglied Philip Grosse übernahm als Finanzvorstand. „Wir besetzen Führungspositionen vor allem nach fachlicher sowie sozialer Qualifikation“, schreibt ein Vonovia-Sprecher auf Anfrage.
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Obwohl Aufsichtsräte mittlerweile durchschnittlich zu 25 Prozent mit Frauen besetzt sind, sind nur rund elf Prozent geschäftsführender Vorstände weiblich. Im Durchschnitt sitzt immer noch weniger als eine Frau im Vorstand börsennotierter europäischer Konzerne. Allbright-Geschäftsführerin Ankersen sagt: „Die Dynamik hängt stark vom Mindset des Aufsichtsratsvorsitzenden ab. Wenn der keine echte Transformation will, findet sie in der Regel auch nicht statt.“
Bis zu vier Frauen werden in der Regel in Aufsichtsräte großer europäischer Konzerne berufen. Beim Dax-Konzern Vonovia sind vier der zwölf Mitglieder weiblich. Bei Siemens liegt der Frauenanteil sogar bei 45 Prozent. Allerdings sitzt trotzdem nur eine Frau im geschäftsführenden Vorstand von Siemens. Zur Hauptversammlung im Mai 2023 plant Vonovia, Clara-Christina Streit zur Aufsichtsratsvorsitzenden zu machen. Ob dann auch mehr Frauen in den Vonovia-Vorstand berufen werden, ist ungewiss.
Worin sich Expertinnen und Experten einig sind: Der öffentliche Druck hat es Frauen leichter gemacht, in Vorstandsposten zu kommen. „Alibi oder echte Gleichstellung: Da sehen wir die Schere in der deutschen Wirtschaft auseinandergehen“, sagt Ankersen.
Die Studienlage zeige, dass diverse Teams profitabler entscheiden. „Es ist aus betriebswirtschaftlichen Gründen sinnvoll, genauso viele Frauen zu berufen wie Männer“, sagt die Allbright-Geschäftsführerin. Auch Konzerne, die nur eine Frau im Vorstand haben, sagen, dass sie von Diversität überzeugt seien, wie etwa Siemens: „Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass Quoten nur ein Mittel zum Zweck sein können“, schreibt der Konzern.
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Doch Studienautorin Hottenrott hat empirisch nachgewiesen, dass die Überzeugung an Grenzen stößt: „Wenn etwa eine gesetzliche Frauenquote erreicht ist, ist eine weitere Ernennung einer Frau viel unwahrscheinlicher.“ Quoten würden dazu beitragen, dass überhaupt Frauen berufen werden. Die Wirtschaftswissenschaftlerin sagt aber auch: „Der Kulturwandel muss aus den Unternehmen selbst kommen.“
Die vom Handelsblatt angefragten Konzerne BMW, Siemens und Vonovia erfüllen zwar die gesetzliche Quote, doch die Zahl der Frauen im Vorstand liegt seit drei Jahren bei eins. Die ZEW-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass „Quoten die Aufmerksamkeit für die Geschlechterfrage zwar erhöhen, aber auch zu symbolischen Ernennungen führen können“. Das dementieren die angefragten Konzerne indirekt.
Der Bericht der Allbright-Stiftung zeigt, dass durchschnittlich 20,2 Prozent der Vorstandsmitglieder in Dax-Unternehmen weiblich sind. Die Quote von Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen zusammen liegt nun bei 14,2 Prozent, denn MDax- und SDax-Konzerne hatten 2022 im Durchschnitt nur 11,3 und 10,4 Prozent Vorständinnen.
Damit liegt die Frauenquote in Vorständen bei Dax-, MDax- und SDax-Konzernen zusammen (14,2 Prozent) über der von europäischen börsennotierten Konzernen. Dort lag die Quote laut der ZEW-Studie bei rund elf Prozent. Das dürfte damit zu tun haben, dass der Datensatz der Studie nur Beobachtungen bis Ende 2019 enthält. In dieser Größenordnung handelt es sich dennoch um die aktuellste Stichprobe, da sich die europaweite Erfassung durch das Einlesen jährlicher Geschäftsberichte von über 3300 Konzernen stark verzögert.
In Deutschland stechen vier Konzerne heraus, bei denen ab der zweiten Frau im Vorstand kein Sättigungseffekt eingesetzt hat: Allianz, Beiersdorf, Deutsche Telekom und Mercedes-Benz. Beiersdorf hat mit vier Männern und drei Frauen (42 Prozent) sogar fast die Parität erreicht. Ankersen gibt jedoch zu bedenken: „Unternehmen, die schon zwei oder mehr Frauen im Vorstand haben, sind die absolute Ausnahme in Deutschland.“
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