Eine Beschäftigte im öffentlichen Dienst ringt mit der Frage, ob sie sich aus einem sicheren Job heraus neu bewerben sollte – und das mit über 50 Jahren. Michael Alznauer weiß Rat.
Neuanfang mit Mitte 50?
Man sollte der Versuchung widerstehen, sich als „Multifunktions-Werkzeug“ positionieren zu wollen.
Bild: Unsplash/Nickolas Nikolic
Düsseldorf Regelmäßig präsentieren wir Ihnen an dieser Stelle eine Frage zu Job, Gehalt oder Karriere – mit einer Antwort eines unserer renommierten Experten. Wenn Sie auch eine Frage an den Handelsblatt Karrierecoach haben, schicken Sie uns eine E-Mail an [email protected] – wir leiten Ihre Frage anonymisiert an unsere Experten weiter.
Martina F. arbeitet seit zehn Jahren als Angestellte im öffentlichen Dienst. Ihr Job ist zwar sicher, doch ihre Aufgaben belasten sie zunehmend. Sie hat sich in den vergangenen Jahren gleich mehrfach weitergebildet und sogar einen Fernuni-Abschluss gemacht.
Was sie bei ihrer beruflichen Neuorientierung verunsichert: das Alter. „Mein Geburtsjahr 1964 ist auf dem Arbeitsmarkt wenig attraktiv.“ Die Mutter zweier erwachsener Söhne fragt den Handelsblatt Karrierecoach, ob sie sich mit Mitte 50 nicht einfach mit ihrem Job zufriedengeben sollte – oder ob sie versuchen sollte, beruflich doch noch einmal neu durchzustarten. Und falls ja: „Wie könnte sich mein Bewerbungsprozess gestalten?“
Liebe Frau F., zunächst zu Ihrem Alter: Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nehmen mit Mitte 50 ab, das zeigt die Statistik. Lassen Sie sich davon jedoch bitte nicht beeindrucken. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie Ihre Erfolgsaussichten durch eine clevere Bewerbungsstrategie deutlich steigern können.
Grundsätzlich hört sich Ihre Situation nach einem echten Zwiespalt an. Offenbar verfügen Sie einerseits über Potenziale und Ehrgeiz, die ausgelebt werden möchten. Andererseits ahnen Sie, dass irgendwann wohl auch der Zeitpunkt gekommen ist, mit dem Erreichten seinen Frieden zu machen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie Ihre Frage schon längere Zeit aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten. Und vermutlich kamen Sie dabei häufiger ins Grübeln als wirklich einer Lösung näher – nicht wahr?
Das liegt daran, dass wir Menschen uns von zu vielen Details bei unseren Entscheidungen lähmen lassen. Noch differenzierter darüber nachzudenken hilft dann natürlich nicht. Was heißt das praktisch?
Sie scheinen es gewohnt zu sein, sich auf Ziele und Pläne zu konzentrieren, diese diszipliniert abzuarbeiten und dann zu schauen, ob Sie dadurch zufriedener geworden sind. Auf diese Weise haben Sie sich eine beeindruckende Sammlung von Kompetenzen zugelegt. Allerdings offenbar auch noch nicht das gefunden, was Sie wirklich suchen.
Handelsblatt Karrierecoach
In dieser Rubrik können Leser ihre Fragen zu Job und Karriere stellen – die Antwort hat diesmal Führungscoach Michael Alznauer geliefert.
Gönnen Sie sich deshalb zunächst ein Gespräch mit einem vertrauten Menschen. Fragen Sie sich dabei nicht „Was sollte ich als Nächstes tun?“, sondern „Was ist mir warum wichtig?“.
Wenn Sie Ihre Beweggründe besser verstehen, erweitert sich Ihr Blick: Es gibt viel mehr Wege, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, als wir zunächst denken.
Aber nehmen wir an, ein Jobwechsel würde Sie tatsächlich am glücklichsten machen: Wie könnte ein sinnvoller Bewerbungsprozess für Sie aussehen?
Weder für Ihr Selbstvertrauen noch als Basis für einen Jobwechsel ist die Überlegung nützlich, welche Aspekte womöglich gegen Sie sprechen könnten, wie etwa Ihr Alter. Der Adressat Ihrer Bewerbung fragt sich nicht, warum er Sie nicht nehmen sollte. Ihr zukünftiger Arbeitgeber hat vielmehr ein ernstes Problem und sucht jemanden, der dies für ihn löst.
Sobald Sie das verstanden haben, geht es nur noch um zwei Fragen:
Durchforsten Sie Ihren Lebensweg sorgfältig nach Problemen, die Sie in Ihrem (Berufs-)Leben bereits gelöst haben. Beschränken Sie sich hier nicht nur auf große Herausforderungen oder fachspezifische Themen. Notieren Sie am besten all die praktischen Beispiele, bei denen jemand glücklich über Ihren wertvollen Beitrag war.
In der Regel lässt sich aus einer solchen Sammlung ein Muster erkennen: Für eine bestimmte Art von Problemen haben Sie Talent, die passende Persönlichkeit und die entsprechenden Fähigkeiten. Aber: Widerstehen Sie der Versuchung, sich als „Multifunktions-Werkzeug“ positionieren zu wollen.
Um sich selbst zu motivieren und mehr Klarheit zu verschaffen, ergänzen Sie bitte folgenden Satz: „Ich bin Spezialistin für __________-Probleme!“
Jetzt notieren Sie, inwieweit all Ihre spezifischen Erfahrungen, Weiterbildungen und Titel Sie genau für diese Art von Problemen noch wertvoller machen.
Vergessen Sie Bewerbungen auf klassische Ausschreibungen! Konzernstrukturen, Behörden und formalisierte Prozesse werden Ihren Besonderheiten nicht gerecht. Überlegen Sie vielmehr, bei welchen mittelständischen Arbeitgebern immer wieder die Art von Problemen auftaucht, für deren Lösung Sie nachweislich prädestiniert sind.
Sammeln Sie deren Adressen und recherchieren Sie, welche Person für eine Bewerbung Ihr Ansprechpartner wäre. Dieser senden Sie eine sogenannte Zielgruppen-Kurzbewerbung (maximal anderthalb Seiten).
Erläutern Sie hier zunächst, warum Sie davon ausgehen, dass Ihre besonderen Qualitäten in diesem Fall gefragt sein könnten. Anschließend nehmen Sie sich einige Absätze lang die Zeit, Ihre Problemlöse-Spezialität zu belegen.
Beenden Sie Ihr Schreiben mit einem Satz, in dem Sie kurz Ihre eigenen Erwartungen formulieren (wie etwa Halbtagsarbeit oder Gehaltsvorstellung). Fassen Sie drei Tage später telefonisch nach.
Liebe Frau F., oft ist ein solcher Weg zielführend, insbesondere für so disziplinierte, engagierte Menschen wie Sie. Das Lebensalter spielt dabei oft kaum noch eine Rolle. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie auf diese Weise nicht nur den verdienten Erfolg, sondern auch Zufriedenheit fänden.
Michael Alznauer aus Bonn ist Führungsspezialist, Managementberater und Evolutionspsychologe. Der Gesellschafter der Karriereberatung LEAD2gether ist Autor des Ratgebers „Das evolutionäre Führungsmodell. Sieben Kernaufgaben für eine erfolgreiche und effiziente Führungskraft“.
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