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22.01.2020

13:59

Management-Berater im Interview

Reinhard K. Sprenger über VW-Chef Diess: „Brandreden sind unsouverän und hysterisch“

Von: Lazar Backovic

Der bekannte Autor von Management-Literatur attestiert dem VW-Chef nach seinem klaren Appell Führungsschwäche. Der Konzern müsse an anderen Stellen ansetzen.

„Volkswagen hält an psychoorganisatorischen Fehlkonstruktionen fest.“ Stefan Kröger/WirtschaftsWoche

Reinhard K. Sprenger

„Volkswagen hält an psychoorganisatorischen Fehlkonstruktionen fest.“

Düsseldorf Die Worte von Volkswagen-Vorstandschef Herbert Diess in seiner Brandrede vergangene Woche waren überdeutlich: „Der Sturm geht jetzt erst los“, „uns fehlt der Mut zu kraftvollem Umsteuern“, „wenn wir so weitermachen, wird es eng“. Das klingt nach nicht weniger als Existenzfrage.

Wachrütteln wollte VW-Chef Diess damit aber offenbar nicht nur die anwesenden Manager, vor denen er die Rede hielt. Der Konzern machte Diess‘ Redentext wenig später öffentlich. Ziemlich radikal – aber ist das auch gutes Management?

Reinhard K. Sprenger gilt als einer der gefragtesten Führungsspezialisten der Republik. Sprenger sagt: „Führung hat immer einen Störungsauftrag.“ Wer aber Brandreden hält oder Brandbriefe schreibt, beweist damit nur eins: Dass er seine Hausaufgaben als Führungskraft nicht gemacht hat. Auch bei Diess sieht der bekannte Berater „ein Führungsdefizit“.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Sprenger, sind Brandreden wie die von VW-Chef Diess ein legitimes Management-Werkzeug?
Dazu kann ich nur einen alten psychotherapeutischen Grundsatz bemühen: Niemand hat das Recht, alten Ärger zu präsentieren.

Was meinen Sie damit?
Wer alten Ärger präsentiert, hat zu lang geschlafen und geschwiegen. Wer alte Fehler präsentiert, hat seine Hausaufgaben als Führungskraft nicht gemacht.

Was ist denn die Aufgabe von Managern?
Führung hat immer einen Störungsauftrag. Das heißt, die Entscheider müssen in homöopathischen Dosen und optimistischer Absicht den Status quo infrage stellen. Und zwar permanent, tagtäglich. Wenn man stattdessen bruchhaft agiert und Brandreden hält, zeigt man, dass man diese zentrale Aufgabe nicht verinnerlicht hat.

Reinhard Sprenger

Werdegang

Der heute 66-jährige Autor von Management-Literatur studierte Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und Sport in Bochum und Berlin. 1985 erhielt er den Doktortitel in Philosophie. Nach Stationen als wissenschaftlicher Referent beim Kulturministerium NRW und als Personalentwickler machte er sich 1990 als Vortragsredner, Trainer und Berater für Personalentwicklung selbstständig.

Managementtheorie

Gemäß Sprenger werden künftig nur Unternehmen erfolgreich sein, die Mitarbeiter als Individuen und Vertrauenspersonen schätzen. Motivation hat nicht durch Anreize zu erfolgen, sondern aus eigenem Antrieb heraus.

Hat Herr Diess als Manager also versagt?
So weit würde ich nicht gehen. Versagen ist ein Fallbeilwort. Aber: Ein Führungsdefizit erkenne ich schon. Selbst wenn man hinterher immer besser weiß, was man vorher hätte wissen sollen.

Ein Kernzitat aus Diess‘ Brandrede lautet: „Wenn wir in unserem jetzigen Tempo weitermachen, wird es sehr eng“. Ist es nicht die Aufgabe von Führungskräften, klar zu benennen, wenn etwas schiefläuft?
Das ist so. Aber eine Brandrede ist unsouverän, hysterisch. Die Probleme fielen ja nicht wie ein Asteroid vom Himmel, das konnte man auch ohne Expertenkenntnis lange kommen sehen. Insofern ist es unterkomplex, plötzlich in alter personenzentrischer Manier den Blitz auf die Leute zu schleudern, statt die Strukturen zu entrümpeln. Der ganze Managementfirlefanz wirft schon seit vielen Jahren ungeheure Transaktionskosten auf. In diese Richtung hat Herr Diess zumindest gewiesen.

Welchen Firlefanz meinen Sie?
Volkswagen hält an psychoorganisatorischen Fehlkonstruktionen fest. Anders gesagt: Es beschäftigt sich vorrangig mit sich selbst, erzeugt ungeheure Bürokratien, die den Konzern am Markt keinen Meter weiterbringen und für die der Kunde nicht bezahlt. Ich nenne das Unternehmensautismus.

Wie bitte?
Die meisten Unternehmen denken doch immer noch komplett von innen nach außen, auch wenn sie das nicht zugeben wollen. Sie fragen: Was haben wir? Was können wir? Sie fragen nicht: Was will der Kunde? Die feiern ihre Unternehmenskultur, ihre Werte, ihre Townhalls, sind aber strukturell kundenfeindlich.

Was sollte VW Ihrer Meinung nach tun?
Sich wirklich die Prozesse und Strukturen anschauen und dort ausmisten – statt an den Leuten herumzuschrauben und zu sagen: Lauft mal schneller! Werdet kreativ! Kluge Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance.

Was müsste sich denn in der Organisation VW ändern?
Eine detaillierte Antwort würde meine Kompetenz überdehnen. Aber VW hat eine explizite Staatsgarantie. Das VW-Gesetz von 1960 sichert dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität. Dazu kommt der übermächtige Betriebsrat. Wie soll man da Transaktionskosten abbauen?

Sagen Sie es uns.
Im Falle VW haben wir es mit einer unzulässigen Grenzüberschreitung zwischen den Funktionssystemen Politik und Wirtschaft zu tun. Es ist eine systemische Korruption, in der Individuen eben gerade keine Rolle spielen. Das hindert Manager nicht, mit ausgestrecktem Finger auf den Einzelnen zu zeigen und Brandreden als Reinigungsrituale zu inszenieren. Man lädt die Widersprüche einfach beim Mitarbeiter ab, um den institutionellen Rahmen nicht antasten zu müssen. Aber man kann vorweisen, dass man was getan hat.

Mir fehlt ein konstruktiver Ausblick. Was sollte das Management jetzt ändern oder ist VW nicht fähig zum Change?
Mal eben so wird sich da gar nichts ändern. Weil es bei VW keine glaubhafte Änderungsnotwendigkeit gibt. Man hält ja allseits echsenhaft am VW-Gesetz fest. Wer wirklich etwas ändern will, der darf nicht individuelle Einsicht fordern, sondern etwas viel Leichteres: kluge Ordnungspolitik. Der Staat hat in Unternehmen nichts zu suchen. Er muss wieder eine klare Grenze ziehen, er muss die unheilvolle Systemverschränkung auflösen.

Herr Sprenger, vielen Dank für das Gespräch.

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