Das Thema Mitarbeiterbindung kommt oft erst auf den Management-Tisch, wenn es zu spät ist. Dabei können es Führungskräfte mit diesen fünf Methoden besser machen.
Junge Mitarbeiter
Experten sagen: Der Fachkräftemangel hat ein Drucklevel erreicht, das Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung unter Zugzwang setzt.
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Berlin Der Mangel an Fachkräften ist so gravierend, dass er sich zu einem wirtschaftlich limitierenden Faktor entwickelt hat. Das sagt Christoph Niewerth, Vorstand des Personaldienstleisters Hays. Unternehmen hätten „zunehmend Schwierigkeiten mit der Rekrutierung neuer Mitarbeitender“. Die Zahlen geben ihm recht, wie schon das Beispiel einer einzelnen Branche deutlich macht: Allein im IT-Sektor blieben zuletzt laut Branchenverband Bitkom 137.000 Stellen unbesetzt.
Niewerths These: Die Schwierigkeiten bei den Neueinstellungen könnten dazu führen, dass Unternehmen ihren Fokus verlegen – weg von der Frage, wie man neue Mitarbeitende locken kann, hin zu einer anderen: Wie lassen sich die Mitarbeitenden halten, die schon im Unternehmen sind?
Bei Hays entschied man, dass die Mitarbeiterbindung eines der aktuell drängendsten Themen der Personalwelt sei – und wählte es als Kernthema für den HR-Report aus, den der Personaldienstleister jährlich gemeinsam mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) herausgibt.
Wie fit sind Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung? Und welche Hebel können sie noch in Bewegung setzen? Das Handelsblatt hat den Hays-Report für Sie analysiert und drei Experten um Ihre Tipps gebeten: Stefanie Plassmeier, Director bei der Beratung Kienbaum, Stefan Wickenhäuser, Unternehmens-Coach, und Ingrid Gerstbach, Wirtschaftspsychologin.
„Das Thema Mitarbeiterbindung erlebt gerade eine Renaissance“, sagt Kienbaum-Managerin Plassmeier. „Der Fachkräftemangel hat inzwischen ein Drucklevel erreicht, bei dem niemand mehr umhinkommt, sich damit auseinanderzusetzen. Schlupflöcher gibt es nicht mehr.“
Auch der Münchener Unternehmenscoach und Gründer Stefan Wickenhäuser hat festgestellt, dass Unternehmen in dem Bereich Nachhilfe brauchen – auch, weil sie zum Teil überfordert sind angesichts hoher Prozentzahlen der Mitarbeiter, die innerlich schon gekündigt haben. „Viel zu lange haben die Unternehmen ihre Mitarbeitenden nur als Zahl gesehen“, sagt Wickenhäuser.
Ein Beispiel sei der Trend zu Remote Work, der seit der Coronapandemie nicht mehr aufzuhalten ist. „Viele Führungskräfte waren überfordert, weil sie bis dahin nur über das Prinzip ,Nur wer vor Ort und ist und wen ich sehe, der arbeitet auch' geführt haben. Aber Zeit und Präsenz vor Ort sind eben nicht gleichbedeutend mit Leistung.“
Was Fachleute wie Wickenhäuser den Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung raten, haben wir für Sie in fünf Tipps zusammengefasst.
Wirtschaftspsychologin Ingrid Gerstbach sagt, viele Unternehmen machten es sich beim Ausschreiben der Stellen unnötig schwer. Sie empfiehlt, den Schwerpunkt von Abschlüssen und Qualifikationen auf Fähigkeiten zu verlagern.
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„Statt etwa für eine Führungsposition auf einen höheren Abschluss oder eine bestimmte Zahl von Jahren zu pochen, könnte man die Bewerber auf relevante Eigenschaften wie zum Beispiel auf kritisches Denken hin prüfen.“ Dieses frühzeitige Vertrauen in die Stärken der potenziellen Mitarbeiter stärke auch deren spätere Bindung.
Den Stein ins Rollen bringen kann nahezu jeder im Unternehmen, findet Coach Stefan Wickenhäuser. Selbst wenn ein Kulturwandel zum Beispiel nicht durch die Führungsetage angestoßen wird, könnten einzelne Teams eine neue Kultur erarbeiten. Im ersten Schritt sollten sich die Teams zusammensetzen und eine Liste schreiben: Welche Aufgaben gibt es? Jobtitel und Qualifikationen sollten dafür keine Rolle spielen.
Im zweiten Schritt darf jeder und jede äußern, welche dieser Aufgaben – subjektiv – gut zu einem selbst passen. Aus diesen Aufgaben werden dann Rollen. Das ist ein erster Schritt in Richtung einer holokratischen Struktur, ein Prinzip, das vorsieht, Hierarchien zugunsten partizipativer Strukturen abzubauen. Idealerweise stärkt die Tatsache, dass die Einzelnen ihre Aufgaben selbst gestalten können, auch deren Bindung.
Angesichts von Debatten über die Rückkehr ins Büro warnt Stefanie Plassmeier von Kienbaum davor, Teams pauschal vorzuschreiben, sofort wieder an vier von fünf Tagen ins Büro kommen zu müssen. „Die gewonnene Flexibilität ist jetzt einstudiert. Sie sollten Ihren Teams gute Gründe geben, ins Büro zurückzukehren.“
Das können Team-Essen oder andere Zusammenkünfte sein – auch aus solchen kleineren Initiativen kann sich ein Schneeballeffekt entwickeln. Vorgesetzte können aber auch kreativ werden und ihren Teams Anlässe bieten, die auch eine inhaltliche Relevanz haben, gemeinsame Lernevents beispielsweise. „Aber nicht nur das institutionalisierte, sondern auch das informelle Lernen sollte auf den Plan kommen“, sagt Plassmeier.
Dabei muss es nicht immer um eine persönliche Entwicklung hin zur Führungskraft gehen, das wolle ohnehin längst nicht mehr jeder werden. „Aber auch eine Erweiterung der Aufgaben und die Möglichkeit, sich selbst zu fordern, können Resultat einer kontinuierlichen Weiterbildung sein, gefördert durch die jeweilige Führungskraft.“
Viele Mitarbeitende suchen Ingrid Gerstbach zufolge nach Möglichkeiten, den eigenen Karrierepfad zu personalisieren. Früher sei der Pfad in den meisten Berufen vorgezeichnet gewesen. Heute könne etwa der Datenwissenschaftler im Laufe seiner Karriere gut zum Blockchain-Ingenieur werden – und bei solchen Entwicklungen sollte das Unternehmen unterstützen und kreativ sein bei der Auswahl der Fortbildungen.
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„Die Künstliche Intelligenz wird für Jobs sorgen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können, aber gewisse Eigenschaften kann man schon jetzt trainieren“, sagt Gerstbach. Den Horizont erweitern können Mitarbeitende auch, indem sie temporär mit anderen Teams, in einer anderen Filiale oder in einem anderen Land arbeiten.
Überhaupt bedeute der Wunsch nach flexiblen Arbeitsbedingungen eben längst nicht nur die Möglichkeit, jederzeit remote arbeiten zu können, sagt Gerstbach. Umgekehrt gebe es Mitarbeiter, die lieber im Büro arbeiten. „Vorgesetzte hinterfragen oft nicht, was die Mitarbeitenden brauchen.“
Doch auch Mitarbeitende kommunizieren längst nicht immer offen, welche Wünsche sie haben. Oft hat Gerstbach beobachtet, dass Teammitglieder sich aus Angst vor der Reaktion der Vorgesetzten lange Zeit zurückhielten – und das Unternehmen dann irgendwann frustriert verließen. Vorgesetzte sollten aus diesem Grund besonders sensibel sein und aktiv nachfragen, was ihre Teammitglieder brauchen.
Für alle fünf Tipps gilt laut Stefan Wickenhäuser: Unternehmen müssen sich langfristig verpflichten, sie zu befolgen. „In den vergangenen Jahren haben Unternehmen ständig neue Säue durchs Dorf getrieben. Plötzlich war abwechselnd überall die Rede von Begriffen wie agilem Arbeiten oder New Work.“ Ein, zwei Trainings im Jahr reichten aber nicht - es müsse ein drei bis neun Monate umfassender, strukturierter Plan her, wenn Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung wirklich besser werden wollen.
Klar, das koste Zeit und Geld. Rechne man aber die Kosten des Fachkräftemangels dagegen auf, sei es eine lohnende Investition.
Erstpublikation 20.02.2023, 10:50 Uhr.
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