Unternehmen möbeln ihre Büros für die Rückkehr aus dem Homeoffice auf. Teils bauen sie dafür radikal um – Flexibilität schlägt feste Arbeitsplätze.
Telefonica Zentrale in München
Rollen unter Möbeln erlauben flexibel die benötigte Arbeitssituation zu erzeugen.
Bild: Telefonica Deutschland
Köln Die ersten Räume für die neue Normalität sind fertig. Drei der 37 Etagen seiner Firmenzentrale in München hat der Telekommunikationskonzern Telefónica kürzlich kräftig umgebaut. Ab der kommenden Woche dürfen wieder mehr Mitarbeiter zurück ins Büro, wenn sie denn wollen. Und auf diesen Pilotflächen, verteilt über das Hochhaus, will der Konzern vor allem lernen. „Alle reden über das hybride Arbeiten, aber kaum einer hat damit bislang wirklich Erfahrungen gesammelt, für welche Art von Arbeiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückkommen“, sagt Personalvorständin Nicole Gerhardt.
Die große Bewährungsprobe steht kurz bevor. Mit dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht am 19. März müssen viele Unternehmen und Beschäftigte nach und nach in einen neuen Rhythmus kommen. Egal ob die Büroflächen dabei angemietet oder in Eigenbesitz sind, steigt der Druck, jeden Quadratmeter neu zu planen. Vor allem die flexible Nutzung der Räume gewinnt an Bedeutung. „Es ist sehr wichtig, auch innerhalb des Büros den Menschen die gewohnte Freiheit zu ermöglichen“, sagt Matthias Pranke, Inhaber des Berliner Büroeinrichters Raumhaus. „Bei der Ausstattung gilt es, neben Belüftung und Technik auch Materialien, Raumformen und Farben mitzudenken, um Menschen zur Rückkehr ins Büro zu bewegen.“
Die vergangenen zwei Jahre haben viele Mitarbeiter genutzt, um sich ihre eigene Arbeitswelt zu bauen. Unternehmen sehen sich jetzt mit einer Vielzahl von Wünschen konfrontiert: Die Entwicklerin will gar nicht mehr zurück ins Büro, der Buchhalter gerne an zwei Tagen pro Woche, die Strategie‧planerin immer mal wieder für wichtige Projekte – aber dann eine ganze Woche am Stück. Der alleinerziehende Vater will flexibel entscheiden, die Berufseinsteigerin freut sich täglich auf bekannte Gesichter an der Kaffeemaschine.
61 Prozent der Beschäftigten wollen künftig zwei oder drei Tage in der Woche im Büro arbeiten, ergab eine aktuelle Umfrage des belgischen Personaldienstleisters Acerta. Umfragen in Deutschland zeigten zuletzt ähnliche Ergebnisse. Umgekehrt suchen viele Firmen nach Wegen, den eigenen Standorten eine neue Rolle zukommen zu lassen – als Raum der Kommunikation oder der Unternehmenskultur.
Der Vorteil: In fast allen Firmen, die ein hybrides Modell ermöglichen, wird mehr Raum frei. Mindestens ein Drittel der Fläche steht erst einmal zur freien Verfügung, wenn Mitarbeiter nur zwei bis drei Tage in der Woche ins Büro kommen, schätzen Experten. Langfristig bietet das ein enormes Einsparpotenzial, kurzfristig Raum für Experimente. Insbesondere kleinere Büros und klassische Besprechungsräume dürften an Bedeutung verlieren.
Die Pilotflächen bei Telefónica teilen sich auf in eher klassische Großraumarbeitsplätze, Arbeitsbereiche für bis zu vier Personen, größere Flächen für bis zu zehn Kollegen und einen größeren „Freiraum“. Ein Trend: Immer häufiger stehen Tische, Whiteboards und andere Möbel auf Rollen, um flexible Arrangements zu erleichtern. „Die Räume kann ich für das Format, das ich durchführen will, verändern“, sagt Portfolio-Manager Rainer Huff, der den Umbau im Konzern mitgestaltet hat.
Büromöbelhersteller reagieren auf den Trend: Viele Gegenstände werden nicht nur beweglicher, sondern erhalten mehr Funktionen. So lassen sich manche Besprechungstische nicht nur in der Höhe verstellen, sondern auch hochklappen, um als beschreibbare Notiztafel zu dienen.
Flexible Lösungen
Besprechungsräume für kurze Treffen benötigen keine festen Wände.
Bild: picture alliance
Das Büro selbst wird so zu einer Art Plattform für die neue Arbeitswelt. Jede fehlende Wand wird erst einmal zum Standortvorteil. „Wir haben vorher schon angefangen, die Räumlichkeiten immer wieder an die Erfordernisse anzupassen“, sagt Gerhardt, „jetzt sind wir trotzdem noch einmal dabei, sie deutlich mehr zu differenzieren.“ Wie das Verhältnis ihrer Flächennutzung künftig genau aussieht, ist vielen Unternehmen noch unklar. Berater Pranke spricht davon, dass in seinen aktuellen Projekten etwa 60 bis 70 Prozent der Fläche für kommunikative Arbeitsweisen ausgelegt sind.
Parallel kann der Bedarf für abgeschirmte Arbeitsplätze steigen, in denen Mitarbeiter ungestört mit Kunden oder Kollegen videokonferieren können. Oder einfach in Ruhe arbeiten, weil das im Familientrubel zu Hause nur schwer möglich ist. Das kann in abgetrennten Boxen stattfinden oder in Arbeitsbereichen mit gutem Schallschutz. „Die Unternehmen der Zukunft werden mehr Extreme haben“, sagt Monika Lepel, Workplace-Spezialistin, Innenarchitektin und Gründungspartnerin des Kölner Büros Lepel & Lepel.
Der Weg dahin erfordert in jedem Fall viel Arbeit. Experten raten dazu, alle Beteiligten – von der Chefetage bis zu den unterstützenden Funktionen – einzubinden, bevor die Inneneinrichter Wände einreißen und Schreibtische versetzen. Wer grundsätzlich neu plant, kann bisherige Hierarchien in der Bürowelt über Bord werfen. David Wiechmann, Berater und Vorsitzender des Vereins Deutsches Netzwerk Büro, empfiehlt etwa, die Kaffeeküche nicht mehr am Ende des Ganges zu verstecken: „Man muss versuchen, das Thema Versorgung und Gastfreundschaft in das Zentrum zu rücken, sodass es an den Wegen der Mitarbeiter liegt.“
Noch radikaler denkt Monika Lepel um. Kernfunktionen wie Buchhaltung, Personal oder die IT-Betreuung könnten in neuen Gebäudeplänen besonders zentrale Flächen bekommen. „Das sind oft die Kollegen, die sich kümmern und eine große emotionale Bedeutung für die anderen Mitarbeiter haben. Aber sie haben heute trotzdem häufig die schlechteren Arbeitsplätze.“
Neben dem richtigen Konzept geht es vor allem um die richtige Technik. „Es gibt künftig keinen Raum mehr, wo nicht die digitalen Medien Einzug halten“, sagt Pranke, „das hybride Meeting ist permanent da.“ Das klingt einfach – erfordert aber jede Menge Arbeit. Wo Monitore, digitale Tafeln oder Beleuchtung frei im Raum bewegt werden dürfen, müssen Steckdosen und Internetanschlüsse überall in Reichweite sein. Und auch Mikrofone und Kameras müssen zügig mit den eigenen Laptops gekoppelt werden können.
In den Telefónica-Testflächen können Mitarbeiter am Eingang jeder Etage auf Bildschirmen sehen, welche Räume wie belegt sind. Auf Wunsch können sie sogar ihren Arbeitsplatz für den aktuellen Tag hinterlegen, sodass Kollegen sie auf den verschiedenen Etagen schneller finden. Die Informationen stammen aus Sensoren, die neben der Belegung die Temperatur und die Luftqualität erfassen und melden. Der Gesundheitsschutz und verlässliche Abstände spielten dauerhaft eine größere Rolle, glaubt Berater Pranke. „Der Trend zur guten alten DIN-Norm in der Raumplanung erzeugt Sicherheit und Wohlgefühl im Büro.“
Manche Immobilienentwickler nutzen dieses Thema sogar als Alleinstellungsmerkmal. In Aschheim bei München errichtet Rock Capital gerade ein selbst getauftes „Immun-Office“. Auf mehr als 40.000 Quadratmeter Bürofläche werden Luftfilter und -sterilisatoren gleich mitverbaut.
Das Gebäude, ursprünglich einmal für den Hauptmieter Wirecard vorgesehen, wird für den Mobilfunkempfang optimiert. Festnetznummern haben in der Pandemie an Bedeutung verloren. Die Einrichtung solle auffallen. „Im Einheitslook der Zoom-Hintergründe sticht ein individuelles Office-Design hervor“, wirbt der Entwickler.
Dieser Aspekt könnte tatsächlich an Bedeutung gewinnen. Bei Telefónica ist in den Testflächen häufig die Markenfarbe zu sehen, Logos der Marke O2 tauchen immer wieder an den Wänden auf – und sollen dabei helfen, die Identifikation mit der Firma zu steigern.
Bei dem Telekommunikationskonzern blickt man nun gespannt auf die Anzahl und Frequenz der Bürorückkehrer. Zwar hätten einige Mitarbeiter die Freiheit für einen Umzug genutzt, um dauerhaft aus der Ferne zu arbeiten. Doch bei anderen könnte die Attraktivität des Büros dank neuer Einrichtung deutlich wachsen. „Der Mensch arbeitet gern in einem sozialen System.
Da kann es durchaus in ein paar Monaten zu einer Neubewertung kommen“, sagt Personalvorständin Gerhardt. Auch bei der Homeoffice-Welt will man ein paar Anleihen nehmen. Zur Mittagspause gebe es bald auch Picknickboxen – damit niemand auf einen lieb gewonnenen Spaziergang in der Sonne verzichten muss.
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