PremiumDorie Clark hat schon Google und Microsoft beraten. Sie sagt: Wer in der Jobwelt der Zukunft bestehen will, muss sich ständig neu erfinden können.
Beraterin, Speakerin und Autorin Dorie Clark
„Seien Sie die Art Mensch, die sich mehr für Fakten interessiert als für Ideologien.“
Bild: Mark Thompson
Berlin Wenn Dorie Clark nicht gerade Konzerne wie Google, Microsoft, die Weltbank oder Morgan Stanley berät oder Vorträge in der Yale University und der Harvard Business School hält, dann geht sie einer anderen Leidenschaft nach: Seit sechs Jahren übt sich die New Yorkerin auch als Musical-Autorin.
Clark lebt damit selbst nach einem Credo, das ihr zu weltweiter Bekanntheit verhalf: Niemand sollte je stehen bleiben – und jeder sollte sich regelmäßig neu erfinden. Die Neuerfindung des eigenen Ichs ist für sie die Schlüsselfähigkeit, die es braucht, um in der Arbeitswelt der Zukunft zu bestehen.
Doch wie entwickelt man sich ständig weiter, ohne sich aufzureiben? Und warum muss das eigentlich sein? Das erklärt die 44-jährige Bestseller-Autorin im Interview.
Ukrainekrieg, Pandemie, Kündigungswellen: Hat es jemals eine Zeit mit mehr Umbrüchen gegeben, Frau Clark?
Klar, die Geschwindigkeit, in der Dinge sich heute ändern, ist größer geworden. Ich fände es aber ehrlich gesagt ein wenig narzisstisch zu behaupten, dass uns die Veränderungen in der Welt gerade härter träfen als alle früheren Generationen. Wir sollten uns in dieser Hinsicht nicht für so besonders halten. Mit Umbrüchen umzugehen, das war schon immer schwer – für jeden.
Und wie wappnen wir uns für die Veränderungen in der Arbeitswelt?
Ich glaube, die wichtigste Frage, die sich Berufstätige heute stellen müssen, lautet: Wie viel Lust habe ich, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen? Wir sind auf dem Weg in ein Zeitalter der radikalen Eigenverantwortung. Wir können entscheiden, wer wir sein wollen. Nie war es einfacher, sich zu bilden, neue Dinge zu lernen, sich anderen Bedingungen anzupassen. Durch das Internet haben wir mehr Möglichkeiten, uns weiterzuentwickeln, als jemals zuvor.
Manchen mag diese Verantwortung auch als Last erscheinen.
Klar. Wenn ich in Unternehmen zu Talks eingeladen werde, fragen die Mitarbeiter mich oft: „Wie klettere ich am besten die Karriereleiter hoch?“ Denen muss ich dann sagen, dass das nicht mehr so läuft wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Da fingen die Leute ihre Jobs noch mit der Erwartung an, dass sie mehr oder weniger von selbst aufsteigen würden, wenn sie ihre Arbeit nur einigermaßen gut machten. Wie in einem Fahrstuhl, der sie mit der Zeit automatisch nach oben beförderte.
Aber wissen Sie was? Der Fahrstuhl wurde abgeschaltet. Jetzt stehen die Menschen vor einem riesigen Treppenhaus, das Dutzende verschiedene Abzweigungen hat. Sie müssen sich ständig neu entscheiden, welche sie nehmen – und dann selbst hochgehen.´
Dorie Clark bei der Handelsblatt-Veranstaltung „Work in Progress“
Jeder sollte sich regelmäßig neu erfinden, fordert die Karriereexpertin.
Bild: Willi Nothers
Was passiert mit denen, die unten stehen bleiben?
Auch das ist eine Entscheidung. Aber eine sehr defensive, die diese Menschen meiner Meinung nach nicht glücklich machen wird. Es gibt in der Berufswelt Leute, die sich sagen: „Wenn ich nur möglichst unauffällig bleibe und alles so mache wie immer, muss ich bei diesen ganzen Umbrüchen vielleicht nicht mitmachen.“ Wer so denkt, wird unglücklich.
Wieso? Vielleicht haben solche Menschen ja einfach kein Interesse, aus ihrer Komfortzone herauszukommen.
Nein, das haben sie sicher nicht. Aber diese Denkweise ist sehr passiv und führt irgendwann zu einem Gefühl der Machtlosigkeit. Und es gibt viele Studien, die zeigen: Der wichtigste Faktor für ein erfülltes und zufriedenes Leben ist das Gefühl, die Zügel in der Hand zu halten. Autonom zu sein. Deswegen hoffe ich, dass sich die Mehrheit der Menschen dazu entscheidet, bei Veränderungen um sie herum nicht den Kopf in den Sand zu stecken.
Sie gelten als Koryphäe auf dem Gebiet der „Self-Reinvention“ – der Neuerfindung des eigenen Selbst. Klingt nach einem riesigen Projekt. Wie schafft man das?
Der Begriff wird leider oft falsch verstanden. Ich meine damit nicht, dass man sich regelmäßig in einen neuen Menschen verwandeln soll. Stellen Sie sich mal vor, wie anstrengend es wäre, wenn Sie sich ständig durch unbekanntes Terrain kämpfen müssten und niemals zur Ruhe kämen! Das wäre ja so, als wären Sie in einen reißenden Strom gefallen und müssten sich die ganze Zeit abstrampeln, um Ihren Kopf über Wasser zu halten. So möchte doch keiner leben.
Was meinen Sie dann mit „Self-Reinvention“?
Die kleinen Schritte. Die einfachsten Wege, um sich neu zu erfinden, sind subtile Veränderungen. Wer es clever angeht, überlegt sich: Was mache ich im Moment? Und wo will oder muss ich hin? Und zwischen diesen beiden Bereichen sucht er dann die Gemeinsamkeiten.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Ich kannte hier in den USA mal jemanden, der für eine Non-Profit-Organisation alte Bahnstrecken in Fahrradwege umgewandelt hat, in sogenannte Rail-Trails. Der Mann liebte seinen Job. Irgendwann aber hätte er für seinen Arbeitgeber in einen anderen Bundesstaat ziehen müssen – und er wollte seine Heimat nicht verlassen.
Und dann?
Dann hat er sich gemeinsam mit seiner Frau einen lang gehegten Traum erfüllt und ein kleines Hotel eröffnet – direkt neben einem der Rail-Trails. Als Kunden warb er all seine Kontakte aus seinem früheren Job an. Die machen heute ihre Fahrradurlaube bei ihm. Was ihn so erfolgreich gemacht hat: Er hat seinen alten Job mit einer neuen Aufgabe kombiniert. Eine subtile Veränderung.
Vielen Menschen dürfte es dennoch schwerfallen, Gewohntes loszulassen – gerade dann, wenn sie in der Vergangenheit damit erfolgreich waren.
Das verstehe ich sogar. Ich kann mir vorstellen, dass es auch in Deutschland viele Menschen gibt, die an bestimmten Jobs, Projekten oder Zielen festhalten, weil sie sich sagen: „Ich habe mir vorgenommen, das durchzuziehen, und jetzt muss ich es auch tun.“ Nur ergibt das in vielen Fällen einfach keinen Sinn.
In welchen Fällen zum Beispiel?
Immer dann, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Wenn ich erfolgreich einen Imbiss an einer Autobahn betreibe und die Autobahn wird stillgelegt – dann kann ich nicht einfach weitermachen wie bisher. Entweder muss ich meinen Imbiss verkaufen oder ihn neu erfinden oder ihn anderswo wiedereröffnen. Da hilft es auch nichts, zu jammern oder den Behörden Vorwürfe zu machen, die die Autobahn geschlossen haben. Ich muss mich eben mit den Tatsachen arrangieren.
Haben Sie einen Tipp, wie man das schafft?
Seien Sie die Art Mensch, die sich mehr für Fakten interessiert als für Ideologien. Ideologen beschäftigen sich nur damit, wie die Welt in ihren Augen sein sollte. Das führt zu irrationalem Verhalten, politischer Polarisierung, sogar zu Kriegen. Wer es schafft, sich stattdessen an Fakten zu orientieren, der wird merken: Wenn sich die Fakten ändern, dann ändert sich auch mein Mindset. Und das ist großartig! Denn dann bleibt man nicht in der Vergangenheit haften – und klammert sich nicht an unrealistische Vorstellungen davon, wie die Welt zu sein hat.
Frau Clark, vielen Dank für das Interview.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (1)