Banken gelten als konservative Arbeitgeber. Dennoch öffnen sie sich für eine hybride Arbeitswelt. Fintechs gewähren Mitarbeitenden viel Freiraum.
Raisin
Mitarbeiter in Deutschland haben mehr Auswahl beim Arbeitsort.
Bild: Raisin
Berlin Wenn ausländische Mitarbeiter des Fintechs Raisin Familie und Freunde in ihrer Heimat besuchen wollen, können sie den Aufenthalt künftig deutlich entspannter angehen als bislang. Bis zu drei Monate pro Jahr dürfen die rund 400 in Berlin und Hamburg Beschäftigten außerhalb Deutschlands arbeiten. Das gilt für Ausländer und Deutsche gleichermaßen.
Damit nicht genug. „Wir räumen in Deutschland volle Flexibilität ein, es wird keine Anwesenheitspflicht im Büro mehr geben“, sagt Maria Göhler, Head of HR Business Partnering bei der Raisin GmbH, die Anlegern auf der Plattform Weltsparen Zugang zu Spar- und Investmentprodukten verschafft. Absprachen mit Führungskräften und Kollegen seien jedoch Pflicht. Ihren Wohn- und Arbeitsstandort innerhalb Deutschlands können die Angestellten künftig sogar komplett frei wählen. Ein Kollege aus Berlin könnte zum Beispiel nach Aachen ziehen und von dort arbeiten.
So weit wie Raisin gehen die meisten Mitbewerber in der Finanzbranche zwar noch nicht. Dennoch: Die moderne Arbeitswelt hat auch eine der konservativsten Branchen Deutschlands verändert. Laut einer Studie des Arbeitgeberverbandes des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) haben sich Arbeitsqualität und Flexibilität in Banken durch den Homeoffice-Schub verbessert.
„Das neue Normal wird besser sein als das Alte“, sind die Autoren überzeugt. Die Beschäftigten nannten als Vorteile vor allem weniger Stress, deutlich mehr Flexibilität und Effizienz.
Wie flexibel und offen Arbeitgeber reagieren, zeigt das Beispiel Raisin. Nach Abflauen der Pandemie Ende 2021 sollten die Beschäftigten eigentlich wieder zwei Tage wöchentlich im Büro arbeiten, so hatte es sich die Geschäftsführung beim Einlagenspezialisten gewünscht. „Das entsprach aber nicht den Vorstellungen der Mitarbeiter. Die Teams wollten lieber frei entscheiden, wo sie wann ihre Aufgaben erledigen“, so Göhler.
Hauptgründe für die freie Standortwahl sind eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, niedrigere Lebenshaltungskosten als in Hamburg oder Berlin sowie der Wunsch nach mehr Flexibilität im beruflichen Alltag. Im Schnitt sind Raisins Mitarbeitende gerade mal 34 Jahre alt und kommen aus 50 verschiedenen Ländern. Mobilität wird entsprechend großgeschrieben. Auch das Unternehmen profitiert, kann es doch an einem hart umkämpften Arbeitsmarkt mit großer Arbeitgeberattraktivität punkten.
„Keiner will zurück in die alte Arbeitswelt, weil alle den Mehrwert sehen“, sagt Christoph Auerbach, Head of People & Culture bei der HypoVereinsbank. Vor Ausbruch der Coronapandemie habe noch der größte Teil der Belegschaft im Büro gearbeitet. Eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2021 sah dann vor, dass Mitarbeitende mit direktem Kundenkontakt bis zu einem Tag mobil arbeiten können und die anderen zwei Tage.
Seit dem viertem Quartal 2022 wurde befristet bis März 2023 sogar auf drei Tage aufgestockt. „Bei dieser Entscheidung hat neben dem Wunsch der Kolleginnen und Kollegen nach noch mehr Flexibilität auch die Energiekrise eine Rolle gespielt, da die Belegschaft so Wege von und zur Arbeit spart“, so Auerbach. Aktuell nutzten die Kollegen den Freiraum fast vollständig aus.
Eine rein virtuelle Arbeitswelt kann sich Auerbach jedoch nicht vorstellen, wobei sein Institut durchaus flexibel auf Sondersituationen reagiert. So wurde die Belegschaft während des gut zweiwöchigen Oktoberfests und noch eine Woche danach angehalten, überwiegend von zuhause zu arbeiten, um die Ansteckungsgefahr zu senken .
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Bei Deutschlands größtem Geldhaus, der Deutschen Bank, können die Beschäftigten bis zu 40 Prozent und in Ausnahmefällen bis zu 60 Prozent pro Woche mobil an einem Ort in Deutschland arbeiten. Mitarbeitende, die mindestens 40 Prozent mobil tätig sind, erhalten alle fünf Jahre eine Zahlung von 1000 Euro brutto, um die technische Grundausstattung der Bank je nach persönlichen Bedürfnissen ergänzen zu können.
Die HypoVereinsbank wird nach einer Aufwandsentschädigung von 1500 Euro als steuer- und sozialversicherungsfreie Einmalzahlung im Jahr 2020 und einer Sonderzahlung von 350 Euro brutto im Jahr 2021 für Aufwendungen für das Mobile Arbeiten im März 2025 einen Zuschuss in Höhe von 450 Euro brutto sowie weitere 500 Euro brutto im März 2030 zahlen.
Dass die neue Banken-Arbeitswelt hybrid tickt, darüber sind sich die meisten Vertreter der Branche einig. So unterstreicht Thorsten Koch, Head of Global Real Estate und Future of Work bei der Deutschen Bank: „Das Büro bleibt unser wichtigster Arbeitsplatz: als Ort des persönlichen Austauschs, der Kreativität und Zusammenarbeit.“ So sieht es auch Marcus Lingel, Geschäftsführer der Merkur Privatbank KGaA, der größten inhabergeführten Privatbank in Süddeutschland.
In Hammelburg, am Sitz der 2019 übernommenen Schilling Bank, baut Lingel gerade ein zweites, modernes Verwaltungsgebäude, in der er trotz verstärktem Homeoffice allen Mitarbeitern einen eigenen Schreibtisch anbieten möchte. Lingel verhehlt nicht, dass er auf eine gewisse Präsenz am Arbeitsplatz Wert legt. „Wir leben von einer starken Kultur, dafür braucht es ein persönliches Miteinander“, sagt der CEO, der seit Beginn der Coronapandemie selbst nur einen einzigen Tag im Homeoffice verbracht hat.
Ein Selbstläufer ist New Work trotz aller Offenheit in der Branche ohnehin nicht. Das gilt selbst für die digitalaffinen Fintechs. Noch vor einem Jahr blickte niiio-Chef Johann Horch mit eher gemischten Gefühlen auf die schöne neue Arbeitswelt. Seine damalige Einschätzung: „Die Leute sind motivierter und glücklicher, aber die Produktivität sinkt. Früher hat ein Team mit zehn Mann zehn bis 20 Prozent mehr Software produziert.“
Die Mitarbeiter seien zuhause abgelenkter, im Büro hingegen würden offene Frage schneller von Kollege zu Kollege geklärt und man arbeite weiter. Heute fällt Horchs Urteil deutlich positiver aus. „Das Hauptproblem war, dass während der Lockdowns oftmals Mann und Frau von zuhause arbeiteten, gleichzeitig die Kinder im Homeschooling betreuten, während auch noch die Kita ausfiel.“ Heute erlaubt Horch seinen 80 Beschäftigten, von jedem Ort flexibel arbeiten zu können ohne feste Präsenzpflicht. Und dieser Ort muss keinesfalls das Homeoffice sein. „Einige verlegen ihr Büro auch mal vier Wochen nach Brasilien.“
Dabei achten die niiio-Führungskräfte sehr genau darauf, dass alle Kollegen mit der neuen Arbeitsform klarkommen. Um eine erfolgreiche Kommunikation sicherzustellen, wurden die einstigen reinen Teams aus Entwicklern, Product Managern oder etwa Testern durchgemischt. Regelmäßige virtuelle Meetings, aber auch Treffen vor Ort sollen zudem garantieren, dass man sich nicht aus den Augen verliert.
„Wir müssen regelmäßig in die Teams reinhören“, so Horchs Vorgabe für sich und die Führung. Bei den Führungskräften selbst gab es gleichfalls Bewegung. „Nicht jeder kann digital gut führen, in manchen Fällen haben wir deshalb Teamleiter austauschen müssen.“
Die neuen hybriden Arbeitsmodelle wirken sich nicht zuletzt auf die Immobilienstrategie der Branche aus. „Es ist unser Ziel, uns auf wenige Gebäude zu konzentrieren, diese aber im Gegenzug mit einem höheren Standard auszustatten und vor allem auf kollaboratives Arbeiten auszurichten“, so Koch von der Deutschen Bank. Allein in Frankfurt spart Deutschlands größtes Geldhaus bis zum Jahr 2024 108.000 Quadratmeter Bürofläche ein und damit gegenüber Anfang 2021 rund 40 Prozent.
Gleichzeitig will das Institut sicherstellen, dass die verbleibenden Büroräume für die Mitarbeitenden attraktiv bleiben. „Es hat sich gezeigt, dass die Abkehr von der traditionellen Bürogestaltung auch die Produktivität der Mitarbeitenden verbessert und die Identifikation mit dem Arbeitgeber stärkt“, so Koch.
Wie die Deutsche Bank stößt niiio-Chef Horch Flächen ab. Das Fintech behält zwar noch feste Büros in Freiburg und Görlitz. Das Office in Dresden mit 500 Quadratmetern gab niiio hingegen auf und bucht jetzt flexibel Schreibtische in Coworking Spaces. Noch einen Schritt weiter geht die Sparda-Bank Berlin.
Als vermutlich einziges größeres Unternehmen Deutschlands wird die Genossenschaftsbank keine Zentrale mehr haben. 400 Mitarbeiter waren dort beschäftigt. Wollen sie sich persönlichen austauschen, können sie an einem der Sparda-Standorte in Ostdeutschland zusammenkommen oder wie bei niiio im Coworking Space. Berlins Sparda-Chef Frank Kohler steuert die Bank dann von zuhause aus.
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