Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen werden häufig Karrierewege verstellt – Fleiß und Können hin oder her. Was sich daraus lernen lässt.
Natalya Nepomnyashcha
„Ich habe früh gelernt, ein ,Das kannst du nicht‘ von Autoritäten wie Lehrern nicht zu akzeptieren.“
Düsseldorf Natalya Nepomnyashcha ist in einer sozial schwachen Gegend in Augsburg aufgewachsen. Ihre Eltern hatten Mitte der 90er-Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Jobs in Kiew verloren. Der Vater war Buchbinder, die Mutter Beschafferin in einer Fabrik. Perspektiven? Wenig bis keine.
Als damals Elfjährige kam Nepomnyashcha 2001 mit ihren Eltern nach Bayern. Sie lernte Deutsch, bekam an der Realschule schnell Bestnoten. Trotzdem erhielt das ehrgeizige Mädchen keine Empfehlung, die schulische Laufbahn am Gymnasium fortzusetzen.
Doch die talentierte junge Frau gab nicht auf, absolvierte eine Ausbildung zur staatlich geprüften Dolmetscherin. Auch ohne deutsche Hochschulreife machte sie später ihren Masterabschluss in Internationaler Politikwissenschaft in Großbritannien. Heute ist sie Senior Consultant beim Beratungsunternehmen EY.
Die Eltern langzeitarbeitslos und von Hartz IV lebend: Nepomnyashcha sagt rückblickend, es war „ein schwieriger Berufsweg, nicht nur weil ich eine Frau mit ausländischen Wurzeln bin, sondern auch weil ich aufgrund meiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen oft nicht mitreden konnte“. Weinkenntnisse, Finessen des Golfsports, gesellschaftliche und geschäftliche Kontakte – kamen Vorgesetzte und Kollegen auf solche Themen zu sprechen, blieb Nepomnyashcha als Arbeiterkind stumm.
Doch zwei Dinge habe Nepomnyashcha mitgebracht, die sie bei ihrem Werdegang stets vorangebracht hätten: Durchsetzungsvermögen und Durchhaltewillen. „Ich habe früh gelernt, ein ,Nein, das geht nicht‘ oder ,Das kannst du nicht‘ von Autoritäten wie Lehrern nicht zu akzeptieren, sondern mein Ziel hartnäckig zu verfolgen.“
Weiß, männlich, in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen – wer diesem Muster nicht entspricht, hat es hierzulande schwer, Karriere zu machen. Das belegen auch die Ergebnisse der Studie „Diversity Trends“: 59 Prozent der befragten Führungskräfte haben demnach Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft in der Arbeitswelt schon mal beobachtet oder sogar selbst erfahren.
Die Arbeitgeberinitiative „Charta der Vielfalt“ will das nun ändern – und den Blick auf die soziale Herkunft als eine wichtige Dimension von Vielfalt in Unternehmen schärfen. Insgesamt sind 31 Unternehmen Teil der Initiative, darunter große Arbeitgeber wie Böhringer Ingelheim, die Deutsche Bahn oder Audi. Schirmherrin ist Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Seit Jahren engagiert sich die „Charta der Vielfalt“ dafür, dass Belegschaften vielfältiger und Mitarbeiter nicht länger wegen ihres Geschlechts, Alters, Abstammung, Religionszugehörigkeit, der sexuellen Orientierung oder eines eventuellen Handicaps benachteiligt werden. Mit der sozialen Herkunft ist nun eine siebte Dimension von Vielfalt hinzugekommen, an denen sich Unternehmen, die dem Verein beitreten, künftig messen lassen müssen.
„Ob bewusst oder unbewusst: Durch Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft entgeht Organisationen in Deutschland großes wirtschaftliches Potenzial“, sagt Charta-Geschäftsführerin Aletta Gräfin von Hardenberg. Studien zeigen immer wieder, dass Unternehmen, die bei der Betrachtung eines Problems aus unterschiedlichen Blickwinkeln herangehen, unterm Strich erfolgreicher sind.
Für das Beispiel soziale Herkunft heißt das: Was aus der Perspektive der eigenen Sozialisation klar zu sein scheint, muss für andere Kollegen und Kolleginnen erst mal plausibel gemacht werden. So lernen Manager und Mitarbeiter ständig dazu. Das ist anregend und kann Innovation befördern. Im Idealfall ergeben die vielen Puzzleteile aus unterschiedlichen Perspektiven ein erweitertes Gesamtbild.
Davon ist auch Nepomnyashcha überzeugt. Sie hat ihre anfängliche Scham über ihre Situation zu Hause überwunden. Inzwischen spricht sie offen darüber, ein Kind arbeitsloser Eltern zu sein, die so gut wie kein Deutsch sprechen. „Es macht mich stolz, den beruflichen Aufstieg trotzdem geschafft zu haben.“
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