Viele Führungskräfte stimmen ihre Karriere eng mit dem Partner ab. Unternehmen könnten sie dabei unterstützen – tun das aber noch viel zu selten.
Beruflich flexibel
Dirk Könen, BNP Paribas, und Yvonne von de Finn, Telekom.
Bild: Frank Beer für Handelsblatt
Düsseldorf Das Angebot war nahezu perfekt. Aber eben nur nahezu. Als Personalmanager bei Siemens in München hatte Michael Weckesser über Jahre gezeigt, dass er mehrere Abteilungen parallel führen kann. Da schien es nur folgerichtig, dass ihm einer der Siemens-Oberen aus Berlin früher oder später einen Job auf Deutschland-Ebene anbieten würde.
Als es vor sechs Jahren so weit war, fühlte sich Weckesser geehrt, versprach der Job doch mehr Verantwortung, Prestige und einen Aufstieg in der Hierarchie. Dennoch schlug der Manager am Ende den lukrativen Posten aus. Denn für die Stelle hätte Weckesser mit seiner Familie umziehen sollen.
Zu Hause in Bayern war gerade die gemeinsame Tochter auf die Welt gekommen. Seine Frau Bettina, ebenfalls bei Siemens, war auf ihrer Position als Rechtsexpertin glücklich. Da suchten sie nicht unbedingt nach einer Veränderung. „Letztlich habe ich die Stelle abgelehnt, weil unklar war, ob und wo meine Frau einen adäquaten Job hätte finden können.“
Als Weckesser seinem potenziellen Chef mit dieser Begründung absagte, reagierte der zunächst mit Unverständnis. Schließlich hatte er den Kandidaten extra einfliegen lassen, um ihm die gute Nachricht bei einem Essen zu überbringen. Da hätte er mehr erwartet.
Inzwischen ist Weckessers potenzielle Führungskraft von damals sein realer Chef. Als Personalleiter ist Weckesser exakt auf jener Hierarchiestufe angekommen, die ihm damals angeboten wurde. Nur dass heute – sechs Jahre später – auch der Standort passt. Denn: Die Weckessers sind in München geblieben. Auch seine Frau Bettina ist inzwischen in eine Leitungsfunktion bei Siemens aufgestiegen.
Sicher, so Weckesser, könnte man meinen, dass sich seine Karriere durch die Absage verzögert habe. „Aber das sehe ich nicht so“, sagt der 44-Jährige. Vielmehr würde er aus heutiger Sicht in der gleichen Situation wieder so entscheiden. Außerdem dürfte ihm sein Chef die einstige Absage inzwischen nachgesehen haben, sonst hätte der ihn am Ende vermutlich nicht doch befördert.
Auch wenn die Sache glimpflich ausging, das Beispiel zeigt: Wer als Paar gemeinsam Karriere machen will, hat es in Deutschland noch immer schwer. Das zeigt auch eine aktuelle Befragung der „Initiative Chefsache“, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Danach empfinden es fast zwei Drittel der befragten Paare mit Kindern als „schwierig“ bis „sehr schwierig“, wenn beide ihre Berufswünsche verwirklichen wollen. Unter den kinderlosen Paaren schätzen nur neun Prozent eine Karriere zu zweit als „schwierig“ ein. Insgesamt haben sich rund 1.000 angehende und tatsächliche Führungskräfte an der „Chefsache“-Befragung beteiligt.
Angesicht solcher Zahlen wundert es kaum, dass viele Paare vor dem Modell Doppelkarriere, gerne auch als „Dual Career“ bezeichnet, zurückschrecken. Und das wirkt sich meist zum Nachteil der Frauen aus. So tragen laut einer OECD-Auswertung aus dem Jahr 2016 Mütter in Deutschland im Schnitt lediglich 22 Prozent zum gemeinsamen Familieneinkommen bei. Zum Vergleich: Beim Musternachbarn Dänemark liegt der Wert bei 42 Prozent.
„Deutschland hat im internationalen Vergleich Aufholbedarf, wenn es darum geht, gemeinsame Karriere zu ermöglichen“, sagt Cornelius Baur, Deutschlandchef bei McKinsey und Koordinator der „Chefsache“-Studie. Aus seiner Sicht gibt es drei große Herausforderungen, die Dual-Career-Paare mit Kindern auf ihrem Weg nach oben meistern müssten.
Viele Führungskräfte wollen zwar an die Spitze, zeigen sich privat aber zunehmend unflexibel. Das ist das Ergebnis einer exklusiven Befragung des Handelsblatts.
Erstens: die Mobilitätsfrage, so wie im Fall Weckesser. Baur sieht „deutlich häufiger als früher, dass Stellen einfach nicht angetreten werden, wenn der neue Job nicht zur derzeitigen Lebenssituation passt“. Das deckt sich auch mit anderen Studien zum Thema.
Zweitens: Paare kämpfen mit Betreuungs- und Schulstrukturen, die oft nur bedingt kompatibel sind mit den Karriereansprüchen gut ausgebildeter Toptalente. Und die dritte Herausforderung beschreibt Baur als Flexibilitätsdilemma: „Unternehmen sollten nicht nur nach außen hin Flexibilität propagieren, sondern tatsächlich Ergebnisse statt Präsenz belohnen.“
So weit die Theorie. Wie aber sieht die Praxis aus? Das Handelsblatt hat erfolgreiche Karrierepaare nach ihren Strategien im Verteilungskampf zwischen Arbeit und Privatleben gefragt.
Wer Yvonne von de Finn und Dirk Könen auf die Herausforderungen von Dual-Career-Paaren anspricht, hört häufig das Wort „Chance“ – so wie im Zusammenhang mit der Geburt ihrer Tochter 2006. „Da hatten wir die Chance, nach Frankreich zu gehen“, erinnert sich von de Finn, die damals noch beim Kosmetikhersteller L’Oréal als Personalerin tätig war.
Das Paar zog mit Nachwuchs nach Paris – ohne Sprachkenntnisse, Netzwerk, Kinderbetreuung und: ohne Jobaussicht für den Partner. „Dirk hat erst einmal mit seiner Arbeit pausiert und Elternzeit gemacht“, erzählt von de Finn. Als Banker in Führungsverantwortung durchaus gewagt.
Doch, erinnert sich Könen, habe sein Vorgesetzter ihn ausdrücklich zu diesem Schritt ermutigt. „Nicht etwa, um mich loszuwerden“, sagt er und lacht. Sondern um den Manager auch nach seinem Frankreichexkurs halten zu können. „Ohne diese Zustimmung wäre mir deutlich mulmiger gewesen.“ Lektion eins also: Wo der Chef unterstützt, steigt der Mut, auch risikoreiche Karriereschritte zu unternehmen.
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Am Ende ging die Wette auf – auch für Könens Arbeitgeber. Nach einem Jahr kehrte das Paar gemeinsam nach Bonn zurück. Von de Finn sollte in Düsseldorf die L’Oréal-Personalleitung übernehmen, Könen ging als erster Teilzeit-Bereichsleiter bei der Dresdner Bank in die Annalen der Firmengeschichte ein. Beide arbeiteten damals 80 Prozent.
Über die erneuten Jobchancen waren sie nach ihrem Frankreichabenteuer froh. Zumal das zweite Kind unterwegs war. „Ich war erleichtert, als Dirk wieder im Job war. Die Verantwortung, Alleinverdiener zu sein, ist riesig“, sagt von de Finn. Bei der Betreuung von Tochter und Sohn half ihnen eine Kinderfrau – ein Modell, das sie aus Frankreich übernommen hatten.
So turbulent die Zeiten im Nachbarland gewesen waren, rückblickend bezeichnet das Paar die Phase „als eine der besten Zeiten unseres Lebens“. Auch weil die beiden viel über sich und ihre Karrierewege gelernt haben. Könen und von de Finn leben im Job nach der Prämisse: Mal schauen, was kommt und wie es in unser Leben passt. „Und wenn wir merken, dass eine Konstellation nicht mehr funktioniert, korrigieren wir sie“, sagt von de Finn.
Das mache durchaus Sinn, um beruflich wie privat seinen Frieden zu finden, meint Jochen Menges, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management: „Die meisten Menschen arbeiten, um ihrer Familie damit etwas Gutes zu tun.“ Statt einen Konflikt darüber auszutragen, ob Arbeit auf der einen Seite oder Partner und Familie auf der anderen Seite wichtiger sind, sei es zielführender, beide Welten miteinander zu verschmelzen und im Einzelfall abzuwägen. „Work-Life-Blending“ nennen das die Fachexperten.
Könen und von de Finn waren und sind flexibel, fordern das aber auch von ihren Arbeitgebern ein. Von de Finn arbeitet heute als Leiterin des Teams „Diversity and Culture“ bei der Telekom, Könen ist Geschäftsbereichsleiter im Bereich „Consumer Finance“ bei BNP Paribas in Duisburg. Beide arbeiten in Vollzeit.
Da kann es passieren, dass die Möbelpacker die Lieferung des Kinderzimmers für den Sohn für einen Zeitpunkt ankündigen, an dem beide bei der Arbeit sind. In solchen Fällen legt das Paar – oft beim gemeinsamen Abendessen – die Terminkalender nebeneinander und schaut, wer ad hoc einspringen kann. „Flexibilität ist ein Geben und Nehmen – und zwar für alle Seiten“, sagt Könen.
Auch für Mukesh und Vani Mali ist es schwierig, Langzeitpläne als Paar zu schmieden. „Wir wissen nicht, wo wir in zwei oder drei Jahren sein werden“, sagt Mukesh Mali. Der Inder ist Delegierter bei BASF in Ludwigshafen – das sind Mitarbeiter, die im Auftrag des Chemieriesen rund um den Globus entsendet werden. Vor knapp zwei Jahren ist das Paar nach Deutschland gezogen, zuvor waren die Malis viereinhalb Jahre bei BASF in Schanghai. Dort kam auch ihr Sohn zur Welt.
Für BASF in der Welt unterwegs
Vani und Mukesh Mali (v.l.) in der Firmenzentrale in Ludwigshafen am Rhein.
Bild: Alex Kraus für Handelsblatt
Anders als das Paar Könen und von de Finn gingen die Malis unter deutlich besseren Vorzeichen in ein für sie fremdes Land. Denn BASF unterstützt seine weltweit 1.500 Delegierten mit einem ganzen Katalog an Maßnahmen – von lokalen Paten, die bei Wohnungssuche und Behördengängen helfen, über reservierte Plätze in der Betriebskita bis hin zu Intensivsprachkursen.
Um auch dem Partner Karriereoptionen zu bieten, gibt es in Ludwigshafen zudem einen „Dual Career Talent Pool“ mit internen Stellen. Auf diesem Weg hat auch Mukesh Malis Frau Vani nach einem Sprachkurs eine Stelle im Controlling bei BASF bekommen. „Ich war erstaunt, wie exakt die Stelle passte“, sagt die 33-Jährige, die unter anderem einen Master of Business Administration im Bereich Finance absolviert hat. Vor Kurzem hat der Konzern außerdem eine Plattform ins Leben gerufen, auf der auch andere Unternehmen offene Stellen für internationale Experten listen.
„Eine adäquate Position für den Lebenspartner bereitstellen zu können hilft dabei, globale Mobilität zu ermöglichen“, weiß McKinsey-Partnerin Julia Sperling. Sie lobt das BASF-Modell und wünscht sich mehr solcher firmenübergreifenden Dual-Career-Plattformen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels täten Firmen gut daran, bei Jobangeboten und Karrierechancen sich auch Gedanken über den Partner zu machen. „Die sind oft ähnlich gut ausgebildet wie der Kandidat, hinter dem man eigentlich her ist.“ Tatsächlich haben laut Mikrozensus 63 Prozent der Paare in Deutschland ähnliche Bildungsbiografien.
Auf den ersten Blick könnte das Leben von Patrick und Bettina Pöhler als Dual-Career-Paar nicht ausgeglichener sein. Beide leiten eine Pressestelle mit kleinem Team, teilen die Betreuung ihrer Tochter paritätisch. Selbst die Großeltern schauen im Wechsel nach der Enkelin und unterstützen das Ehepaar.
Dennoch hat Bettina Pöhler seit dem Ende ihrer Elternzeit das Gefühl, dass sich in ihrem Job bei einem großen Chemiedienstleister etwas verändert hat. Es stört sie mehr als früher, dass sie zwei Stunden braucht, um ins Büro und wieder zurück zu fahren. Dass die zahlreichen Routinemeetings sie mit einem Mal zur Getriebenen ihres eigenen Kalenders machen.
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Und dass ihre Vorgesetzten zwar viel von Flexibilität sprechen, dann aber vergessen, sie vom Homeoffice aus per Telefon bei wichtigen Gesprächen einzuwählen. Trotz eines freien Tags in der Woche wird sie gefühlt niemandem so richtig gerecht – weder zu Hause oder bei der Arbeit noch sich selbst. „Irgendwo habe ich immer ein schlechtes Gewissen“, sagt sie und atmet einmal tief durch.
Was die 37-Jährige beschreibt, ist ein Prozess, den viele Dual-Career-Paare so oder ähnlich schon einmal erlebt haben. Was ist, wenn ich – so wie das in jeder Einzelkarriere auch möglich wäre – plötzlich nicht mehr vollends zufrieden bin? Wie kann ich mich neu orientieren und dabei meinen Partner nicht aus seiner Karriere reißen?
Bettina Pöhler hat sich zu einem mutigen Schritt entschieden: Sie kündigte ihren alten Job zum Herbst, will sich selbstständig machen – mit Coachings, Beratung und Seminaren speziell für Frauen in Männerdomänen. Dass die Gründung zeitaufwendig werden dürfte, weiß sie.
Oft brütet sie abends über Konzepten und Anträgen. Dennoch fühle sie sich wohler und wisse nicht nur, woran, sondern auch, wofür sie arbeite. „Die Brücken, die ich mit dem Thema meiner Selbstständigkeit jetzt baue, werden eines Tages vielleicht einmal meiner Tochter zugutekommen“, sagt sie.
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