Wenn wir alle weiter arbeiten wie die Roboter, müssen wir uns nicht wundern, dass wir bald ersetzt werden. Was der Ausweg daraus mit Heavy Metal zu tun hat.
Nico Rose
Dr. Nico Rose ist ein führender Experte für Positive Psychologie. Er hält Keynotes an der Schnittstelle von Führung, Sinn-Erleben und Unternehmenserfolg.
(Foto: nicorose.de)
Hamm Nico Rose ist Führungskraft im Vorstandsstab Personal eines internationalen Medienkonzerns. Der Experte für „Positive Psychologie“ ist zudem als Coach und Speaker aktiv. In einem Gastbeitrag, den er für unser Businessnetzwerk Leader.In geschrieben hat, beschäftigt er sich mit der Frage, wie es Unternehmen gelingen kann, der Individualität jenseits unserer Rollen im Business wieder mehr Raum geben - und wie am Ende dann alle davon profitieren können.
Auch wenn er in seinen späteren Schriften keine besondere Rolle mehr spielt: Dank Karl Marx kennen viele Menschen den Begriff der Entfremdung von der Arbeit. Nach Marx tritt diese Entfremdung auf, weil:
Allerdings entfremden sich Menschen in der modernen Arbeitswelt nicht nur von ihrem Werk. Ein Stück weit entfremden wir uns auch von uns selbst. Konkreter: von den vielen verschiedenen Lebensrollen und Persönlichkeitsanteilen, die uns letztlich als ganzen Menschen ausmachen. Das ist einerseits ein Stück weit notwendig, damit Organisationen überhaupt funktionieren können. Andererseits hege ich die feste Überzeugung: Wir brauchen mehr „ganze Menschen“ im Business.
Es ist normal, dass wir im Leben verschiedenste Rollen einnehmen und uns in diesen Rollen unterschiedlich verhalten, weil sie mit unterschiedlichen Erwartungen sowie Rechten und Pflichten einhergehen. Mein Chef würde sich wundern, spräche ich mit ihm genauso, wie mit meinen Kindern. Er würde sich vermutlich ebenso am Kopf kratzen, gerierte ich mich ihm gegenüber so, wie den Menschen, auf welche ich bei meinen regelmäßigen Besuchen von Heavy Metal-Konzerten treffe.
Wenn ich ihm im Kontext unserer gemeinsamen Arbeit begegne, erwartet er zu Recht, dass ich mein Verhalten und auch mein Aussehen zumindest in einem begrenzten Maße dem gegebenen Kontext anpasse. Er kann verlangen, dass ich ein Stück weit zum – wie manche es abwertend nennen – Industrieschauspieler werde.
Wenn man für ein Unternehmen arbeitet, dann wird auf Neudeutsch erwartet, dass man performed. Obwohl die meisten Menschen kaum darüber nachdenken, ist somit implizit das Thema einer Bühne mitgedacht. Eine Performance erwarten wir von Schauspielern, Musikern, Artisten.
Mit dem Aspekt des Schauspiels verknüpft ist das Konzept der Persona. In der Psychologie wird damit, vereinfacht ausgedrückt, sozial angepasstes Rollenverhalten bezeichnet, welches Menschen in Abhängigkeit eines Kontextes präsentieren. Die Persona kann mehr oder weniger mit der eigentlichen Persönlichkeit, dem Sammelsurium aus verschiedenen Teilpersönlichkeiten, Motiven und Wünschen des Menschen verknüpft sein.
Der Begriff lässt sich zurückführen auf die Masken, welche Schauspieler früher im Rahmen der Aufführung von griechischen Tragödien trugen. Etymologisch geht es um dem Klang der Stimme, welcher durch die Maske hindurchtönt („per sonare“).
In Anlehnung an diese Herkunft lässt sich fragen, wie viel von unseren diversen Lebensrollen durch unsere Business-Persona hindurchtönen. Im Extrem bleibt diese komplett maskenhaft und starr. Man kann dann den eigentlichen Menschen dahinter kaum erahnen. Es gibt nichts wahrzunehmen abseits des austauschbaren Industrieschauspielers. Unternehmen unterstützen diese Form der Normierung in unterschiedlich starkem Ausmaß, beispielweise durch Dresscodes und Wertecodizes, Sprachregelungen, Compliance-Regeln und auch Leistungsbewertungen.
Diese Gleichschaltung, diese subtil eingeforderte Beschränkung auf unsere Business-Persona entspringt dem tayloristischen Denken. Demnach ist das Unternehmen eine große Maschine, jeder Arbeitsschritt wird geplant und kleinteilig von der Unternehmensleitung gesteuert.
Es wird vom Menschen gefordert, er möge sich glatt und austauschbar machen, auf dass er im Falle des Falles leicht in unterschiedliche Arbeitsprozesse integriert werden kann. Er ist nicht mehr als ein Teil der Maschine, ein Versatzstück, welches im großen Ganzen verschwindet.
Das Problem: in der Wissensgesellschaft und noch viel mehr in der algorithmisierten Welt, in die wir gerade hineinwachsen, werden sich solche leicht steuerbaren, auf Effizienz getrimmten Arbeitskontexte zunehmend obsolet aus menschlicher Sicht. Chris Boos, ein führender deutscher Experte für künstliche Intelligenz, fasst das wie folgt zusammen: „Wir haben 200 Jahre lang Menschen beigebracht, wie Maschinen zu arbeiten. Und nun wundern wir uns, dass Maschinen es besser können.“
Viele Arbeitnehmer fragen sich aktuell, wie es sein wird, wenn sie demnächst Seite an Seite mit Robotern oder irgendwie gearteten teilautonomen Computerprogrammen arbeiten müssen. Böse Zungen behaupten: sie tun es heute schon, nur dass die Maschinen derzeit eben aus Fleisch und Blut bestehen.
Es gibt Forscher, die der Ansicht sind, dass Algorithmen den Menschen in den kommenden 20 bis 50 Jahren in jeder Hinsicht überflügeln werden, zumindest, was jegliche Art von kognitiver Fähigkeit betrifft.
Doch wird eine Maschine jemals echtes Bewusstsein erlangen, wird sie jemals wirklich (mit)fühlen können? Wird ein Roboter an sich selbst zweifeln können, mit sich selbst uneins sein? Wird ein Algorithmus jemals etwas anderes sein wollen als eine komplexe Folge von Einsen und Nullen – oder wenigstens ein besserer Algorithmus als er gestern war? Wird ein Computerprogramm wirklich verstehen, was Freude ist, oder wie es ist zu leiden? Wie es sich anfühlt, jemanden abgöttisch zu lieben oder unter Schmerzen zu vermissen? Wird eine Software jemals erkennen, dass das Wichtigste oft zwischen den Zeilen steht, oder warum etwas lustig sein kann, gerade weil es so dermaßen unlustig ist?
Ich verstehe nicht genug von künstlicher Intelligenz, um auf diese Fragen eine fundierte Antwort zu geben. Aber ich ahne, dass Menschen den Maschinen in dieser Sphäre des nicht Eineindeutigen, des mehr Spürenden als Verstehenden, des Begreifens und Verinnerlichens im Kontrast zur kalten Analyse – dass wir ihnen hier noch lange Zeit Lichtjahre voraus sein werden, wenn sie uns in dieser Domäne je einholen können.
Genau um diesen komparativen Vorteil des Menschen fruchtbar zu machen, müssen Unternehmen umdenken. Sie müssen mehr wollen, mehr verlangen von den Menschen, die für sie arbeiten. Organisationen müssen sich mehr Mensch zumuten, sich weiter öffnen für das spezifisch Menschliche an der humanen Ressource. Sie müssen sich verletzbarer machen, bereit sein, dass Unvorhersehbare, Fehlerhafte, Einzigartige ihrer Mitarbeiter zu umarmen – anstatt es wie bisher bestmöglich eindämmen zu wollen.
Dies bringt mich zurück zum Anfang dieses Textes. Üblicherweise rühmen sich Menschen in der Unternehmenswelt ihrer Professionalität. Das bedeutet jedoch meist kaum mehr, als alle Lebensrollen abseits der Business-Personal bestmöglich zu ignorieren. Meine Frage: Können sich die verschiedenen Lebensrollen nicht gegenseitig befruchten und uns derart zu besseren Business-Menschen machen?
Machen wir den Denkrahmen etwas größer und abstrahieren von meiner Person, dann stehen auf einmal die folgenden Fragen (unter vielen weiteren) im Raum:
Sicher, wenn wir alle mehr von unseren verschiedenen Lebensrollen, Interessen und auch Schrulligkeiten zur Arbeit bringen – dann werden wir weniger austauschbar, vielleicht auch weniger steuerbar. Doch genau diese Besonderheiten, vielleicht auch Eigentümlichkeiten, die sind, was uns absehbar von Maschinen und Algorithmen unterscheiden wird. Wenn wir alle weiter arbeiten wie die Roboter, müssen wir uns nicht wundern, dass wir bald durch solche ersetzt werden.
Vielleicht sollten wir Business-Menschen, insbesondere Führungskräfte, öfter mal „aweseome“ sein. Der amerikanische Philosophie-Professor Nick Riggle hat ein amüsantes wie lehrreiches Buch über diese Eigenschaft von Menschen bzw. ihren Handlungen geschrieben – und dabei auch versucht, den Begriff von ähnlichen positiven Beschreibungen abzugrenzen.
Nach Riggle kann eine Band beispielweise exzellent spielen, wenn sie anspruchsvolle Musik in Perfektion darbietet, ohne dabei notwendigerweise „awesome“ zu sein. Der zentrale Merkmal von „Awesomeness“ ist das, was der Philosoph ein „Social Opening“ nennt.
Im Kern geht es darum, dass Menschen, wenn auch nur für kurze Zeit, angestammte Rollenerwartungen sozialer oder beruflicher Natur eine Stück weit beiseitelegen, dass sie auf eine schöpferische Art und Weise etablierte Skripte verlassen und somit ihrer Individualität jenseits der Rolle mehr Raum geben.
Wirklich „awesome“ wird eine Person bzw. ihre Handlung nach Riggle allerdings erst dann, wenn sie durch ihren Regelbruch anderen anwesenden Personen ebenfalls zu mehr Individualität verhilft. Es geht also darum, (implizit) eine Einladung an die Anwesenden zu richten, für eine gewisse Zeit ihrer ureigenen Persönlichkeit mehr Raum zu geben – auf das übergangsweise ein Kollektiv von Menschen entsteht, die sich gegenseitig in ihrer Individualität würdigen und bestärken.
Noch ist das Gros der Unternehmen Lichtjahre davon entfernt, einer solchen Kultur Raum zu geben. Aber verdammte Axt, es wäre doch awesome, wenn ich das noch erleben könnte…
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