Viele Führungskräfte zeigen sich in der Coronakrise wechselunwillig. Doch in einigen Branchen suchen Unternehmen gerade jetzt nach Spitzenpersonal – mit ganz speziellem Profil.
Headhunter greift Manager
Viele Führungskräfte wollen gerade gar nicht den Job wechseln, dabei bieten sich selbst in der Krise neue Karrierechancen.
Bild: Luca D'Urbino
Düsseldorf Krisenfester Arbeitgeber, mehr Einfluss und ein Gehaltsplus von rund 20 Prozent – die Managementstelle in der Rüstungsindustrie klang für den Luftfahrt-Ingenieur Klaus Jähn (Name geändert) verlockend. Trotzdem schlug der 42-Jährige den attraktiven Posten aus. Jähns Gedanke: Mal schauen, ob zu besseren Zeiten nicht womöglich noch ein besseres Angebot hereinkommt.
Mit seinem Zögern ist der Manager aktuell alles andere als allein. Der Wechselwille von Führungskräften hat seit der Coronakrise massiv nachgelassen. Das zeigt das aktuelle Managerbarometer von Odgers Berndtson, dessen Ergebnisse dem Handelsblatt exklusiv vorliegen.
Rund 2000 deutschsprachige Führungskräfte werden von der Personalberatung alljährlich zu ihrem Befinden befragt. Während in den vergangenen beiden Jahren gut drei Viertel der Befragten erklärten, dass sie für einen Arbeitgeberwechsel offen sind, weil es ihnen in ihrem Unternehmen an Innovationskraft, Zukunftsfähigkeit und persönlicher Perspektive mangele, halten jetzt offenbar viele Manager die Füße still.
In Zahlen ausgedrückt heißt das: 44 Prozent der Manager in Deutschland, Österreich und der Schweiz halten einen Wechsel in ein anderes Unternehmen in den nächsten Monaten für unwahrscheinlich. So viele wie schon lange nicht mehr. Überwintern scheint die oberste Krisendevise zu lauten.
Gerade Führungskräfte in der Chemie- und Pharmabranche, aber auch Manager aus dem Finanzdienstleistungsbereich sind zögerlich, gefolgt von Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern. Silvia Eggenweiler, Partnerin bei Odgers Berndtson, sagt: „Die Zurückhaltung ist umso größer, je niedriger die aktuelle Position in der Hierarchie ist.“
Doch so manche Führungskraft lässt sich damit derzeit attraktive Aufstiegschancen entgehen, die definitiv da sind. Denn trotz der vielen Hiobsbotschaften zu Stellenabbau und Umstrukturierungen, etwa bei Volkswagen, Continental oder BASF: Es werden auch neue Positionen ausgeschrieben, gerade im „Topmanagement wird mit Nachdruck auf allen Kanälen gesucht“, sagt Headhunterin Sabine Hansen, Inhaberin der Personalberatung She4Her.
Besonders gute Chancen haben Führungskräfte etwa:
So weit, so nachvollziehbar. Doch welche Schlüsselqualifikationen müssen Manager in der Krise mitbringen? Das Handelsblatt hat sich bei bekannten Headhuntern und Personalberatungen umgehört – und die Profile identifiziert, die Unternehmen derzeit am dringendsten suchen.
Transformieren, ganze Geschäftsbereiche anfassen und so das Gesamtunternehmen wieder auf Wachstum trimmen – das sind die Schlüsselfähigkeiten der Stunde, bestätigen mehrere Headhunter. „Unternehmen treibt die Frage um, wie sie im gegenwärtigen Umfeld schneller agieren können. Sie schauen deshalb mehr denn je auf Resilienz“, sagt Hanns Goeldel, Deutschlandchef des Personalberatungsunternehmens Egon Zehnder.
Das merkt auch Sabine Hansen. Selbst zu Krisenzeiten spricht sie monatlich mit circa 50 Kandidaten für Top-Positionen ab einem Gehaltsniveau von 180.000 Euro. Und derzeit häufen sich die Anfragen aus den Bereichen Restrukturierung und Change Management. Besonders in den auch schon vor Corona schwächelnden Branchen wie Automotive, Maschinen- und Anlagenbau seien Sanierer extrem gefragt, so Hansen.
Doch neben den klassischen Kosteneinsparungsmaßnahmen durch Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen suchen viele Unternehmen verstärkt auch nach Top-Führungskräften, die die Transformation des Geschäftsmodells nach vorn bringen. „Corona hat hier noch einmal wie ein Turbo gewirkt“, sagt Korn-Ferry-Headhunterin Floriane Ramsauer.
So müsse etwa ein Vorstandschef, der in der Wachstumsphase des Unternehmens noch als Optimalbesetzung galt, für die Restrukturierung nach einem wirtschaftlichen Einbruch nicht zwangsläufig der Richtige sein. Eine Chance für neue Kandidaten mit passender Expertise, Erfahrung und Persönlichkeit.
Gleich zu Beginn des Lockdowns erhielt Korn-Ferry-Partnerin Ramsauer einen ungewöhnlichen Auftrag: Ein großes deutsches Industrieunternehmen schuf die Stelle eines globalen Gesundheitsschutz- und Sicherheits-Managers, der direkt an den Konzernvorstand berichten soll. Know-how von Corona-Schutzmaßnahmen bis hin zu Evakuierungsplänen in Erdbebengebieten waren als Profil gewünscht.
Die Headhunterin beobachtet, dass die Nachfrage nach Profilen mit nahezu systemrelevanter Bedeutung weiter zunimmt. „Gesundheits- und Arbeitsschutz waren bislang weniger strategisch relevant und eher regional, meist auf Werksebene verankert.“ Doch genau das verändere sich mit der Pandemie – weshalb Manager, die Erfahrungen mit Sicherheits- und Hygienekonzepten haben, branchenübergreifend aktuell stark gefragt sind.
Ähnliches gilt für den Umweltschutz. Aufgrund des Klimawandels müssen Unternehmen in diesem Bereich künftig noch stärker komplexe Sicherheitsfragen berücksichtigen.
Auch die vielen Vakanzen im Pharma- und Gesundheitsbereich sprechen für Manager vom Typus „systemrelevant“. Hier hätten die Headhunter-Aufträge „schon kurz nach dem Lockdown wieder zugenommen“, sagt Wolfram Tröger, Personalberater und Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU).
Die Krise verschärft in manchen Firmen den Druck, Nachfolgefragen schneller zu klären oder gar neu zu regeln. So verzichtet etwa Stefan Oschmann auf seine Vertragsverlängerung als Vorstandschef des Chemie- und Pharmariesen Merck. Er bereitet die Übergabe an Mercks Biopharma-Chefin Belén Garijo für 2021 vor.
Und bei RWE folgt im Sommer 2021 Finanzvorstand Markus Krebber auf Konzernchef Rolf Martin Schmitz. Krebber soll das Zukunftsgeschäft der Erneuerbaren vorantreiben.
Doch: Nicht immer müssten interne Kandidaten die beste Wahl in der Krise sein, sagt Odgers-Berndtson-Beraterin Eggenweiler. Häufig würden auch externe Geschäftsführer an Bord geholt, um zusätzliche Transformations- und Innovationsexpertise einzukaufen.
Beispiel Knorr Bremse: Bei dem Autozulieferer musste Vorstandschef Bernd Eulitz nach Meinungsverschiedenheiten in der Führungsriege gehen. Nun wird ein Kandidat gesucht, der strategische Antworten zum Thema autonomes Fahren und den zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Kernmarkt des Bremsenherstellers liefert.
Externe Kandidaten für den Chefsessel sind besonders dann gefragt, wenn es weniger auf den Stallgeruch des Neuen als vielmehr darauf ankommt, sich als Treiber von Veränderungen zu positionieren. Denn egal, ob es um einen Firmenzusammenschluss, eine Sanierung oder einen Innovationssprung geht, wer dabei nicht auf persönliche Seilschaften Rücksicht nehmen muss, tut sich mit solchen Aufgaben leichter, sagen Headhunter.
Neben Fachkenntnis und Integrations-Know-how ist darüber hinaus in jedem Fall von einem neuen Spitzenmanager ein gutes Netzwerk gefragt. Dazu zählen inzwischen auch Kontakte in die Start-up-Szene für Impulse in Sachen Digitalisierung und neue Geschäftsideen.
Datenstrategien sind zwar nicht erst seit Ausbruch der Pandemie ein Topthema in vielen Unternehmen. Die Coronakrise beschleunigt jedoch noch einmal die Umsetzung vieler Digitalisierungsprojekte. Dementsprechend werden Experten benötigt, die wissen, wie sich Prozesse und Abläufe in Unternehmen und zwischen Geschäftspartnern via IT optimieren, Lieferketten verstärken lassen oder Onlinehandel forcieren lässt.
Ob erfahrener Profi für IT-Infrastruktur, Cybersecurity oder Big Data – „dieser Markt ist seit Langem überhitzt“, sagt BDU-Headhunter Tröger. Hier seien für Positionen wie den Chief Digital Officer, der anderswo auch Chief Information Officer heißt, durch den Jobwechsel Gehaltssprünge jenseits der 15 Prozent drin.
Finanz-, Einkaufs- oder Vertriebschefs mit EDV-Expertise würden dabei beinah vom Fleck weg engagiert, berichten Personalexperten. Zudem sucht die Versicherungsbranche für ihre neuen Insurtech-Tochtergesellschaften Topmanager, die Strategien für digitale Lösungen im Bereich des Risikotransfers und der Versicherungsmärkte auf den Weg bringen.
Dabei ist der Weg in vielen Branchen auch für Quereinsteiger offen: Wer zum Beispiel Big-Data-Wissen aus dem Bankenumfeld mitbringt, kann sein Wissen etwa als Head of Business Intelligence auch bei einer großen Assekuranz oder einem Start-up einbringen.
Eine Stufe unter dem Spitzenmanagement ist Expertise rund um Künstliche Intelligenz und Machine Learning extrem wertvoll. Kandidaten aus den Talentpools der Westküste der USA und aus Asien sind kaum hierher zu bewegen – vor allem wegen der mitunter üppigen Aktienpakete, mit denen ihre aktuellen Arbeitgeber Talente an sich binden. Das wiederum bringt hiesige Spezialisten in sehr gute Verhandlungspositionen.
Eine Situation wie die Coronakrise hat in dieser Intensität noch keine Führungskraft erlebt. Für Manager bedeutet das: „Sie können in der aktuellen Lage nicht auf große Erfahrungswerte bauen“, sagt Heiner Thorborg, einer der bekanntesten Headhunter Deutschlands.
Was aus seiner Sicht deshalb aktuell in Top-Positionen mehr denn je zählt, sind gute Kommunikationsfähigkeiten, Empathie, Vertrauen – also scheinbar weiche Faktoren. Die seien in der Krise jedoch absolut erfolgsentscheidend: „Sie können beispielsweise nicht ohne einen Vertrauensvorschuss auf Distanz führen“, so Thorborg.
In ein paar Jahren werde eine neue Managerkaste auf den Führungsebenen großer Konzerne einziehen, prognostiziert Thorborg „eine, die den Titel Führungskraft wirklich verdient. Diejenigen, die sich mit der Pflege des Teamgefühls schon vor der Krise schwergetan haben, werden mit der Zeit ein immer größer werdendes Problem bekommen“, ist der Experte überzeugt.
Das bestätigt auch Personalberaterin Eggenweiler: „Wo Hierarchien verflachen oder sich sogar auflösen, wo mehr Flexibilität und Experimentierfreude herrschen sollen, werden an der Spitze Kommunikationsstärke und Überzeugungskraft, aber auch Einfühlungsvermögen als persönliche Eigenschaften wichtiger.“
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