Deutschland droht im aktuellen politischen Klima die Spaltung durch Frustrierte. Politiker müssen Handlungshelden werden – über Parteigrenzen hinweg.
Greenpeace-Klimaprotest vor CDU-Bundesgeschäftsstelle
Die Aktivisten hatten das „C“ demonotiert – derweil demontieren die Volksparteien sich insgesamt selbst.
Bild: dpa
„Die AfD arbeitet an der Zerstörung der Demokratie“: So lautete der Tenor der Headlines in den vergangenen Wochen. Stichwort: das Wahldebakel in Thüringen. Doch das stimmt so nicht. Die AfD ist ein Missverständnis und eine zerstörerische Reaktion auf das politische System, dem eine tief sitzende Ironie innewohnt. „Wir haben keine Staatskrise“, sagte Wolfgang Schäuble am Montag im Handelsblatt, „sondern eine Krise der Volksparteien.“
Ich teile viele seiner Gedanken, es handelt sich jedoch um eine Krise des parteipolitischen Systems auf Ebene der Nationalstaaten. Während wöchentlich neue Kapitel in den „Sagen der Selbstzerstörung der Volksparteien“ geschrieben werden, lautet die Antwort der Experten, wenn es um „Neuausrichtung“ und Positionierung geht: „Politik ist etwas für Profis.“
Die Profis werden es aber nicht richten, wir brauchen jetzt professionelle Amateure. Wir haben einen Systemfehler, der nur durch eine Verschmelzung der Volksparteien in eine Deutsche Demokratische Union (DDU) behoben werden kann – verbunden mit einer umfassenden Umstrukturierung unseres politischen Systems.
Eine Bestandsaufnahme: Institutionen, die noch an Strukturen wie Rollen, Titulierung und Hierarchien im Sinne von „Wer ist was?“ festhalten, werden derzeit überall zerstört. Traditionelle Medien, Bildungseinrichtungen, Notare und Juristen, Ärzte und vor allem Politiker stehen vor einer erforderlichen Umstellung. Die politische Lage der 2020er-Jahre erfordert Intelligenz, Glaubwürdigkeit und die Fähigkeit, eine Vision an Menschen zu transportieren, egal, wer du bist.
Spätestens seit Thüringen, Hanau und Volkmarsen steht fest: Das wirkliche Problem für unser Land wird die gesellschaftliche Reaktion auf Politik vor dem Hintergrund von Spaltung und Frustration werden. Dank Angela Merkel war Deutschland bislang ein stabiles Land. Doch das ändert sich gerade bedrohlich.
Der Mix aus unglaublichem (potenziellen) Wohlstand, einem drohenden Ökokollaps, einer fragilen Geopolitik, der Globalisierung und dem drohenden digitalen Tsunami führt zu einem explosiven Mix mit der Folge immenser gesellschaftlicher Konsequenzen.
Das Problem: Die meisten Politiker haben keine unternehmerische Vision, sondern denken in Wahlperioden und handeln nach Stimmungen und Emotionen. Unternehmen, die nur auf ihre Zahlen schauen und keine langfristige Vision haben, scheitern genauso wie verwaltende Politiker à la AKK. Die Lösung für die Rettung der Volksparteien und die Nachfolge Merkels kann nicht aus Kandidaten gewählt werden, die gleichzeitig Teil des Problems sind. Hinterzimmer-Politiker der alten Schule, die „zurück zur alten Stärke“ wollen – wie Merz und Co. –, sind Teil des Problems im aktuellen System in der Gestaltung der Post-Merkel-Ära, denn die Welt hat sich seit den 1990er-Jahren verändert.
Aktuell zeichnet sich allerdings keine wirklich Alternative ab, und hier stimme ich Schäuble zu: Man sollte sich Zeit lassen. Was wir dringend benötigen, ist eine Agenda von Menschen, die für etwas stehen, die anpassungsfähig sind und auch Fehler eingestehen können. Professionelle Amateure werden gesucht. Wenn in den 20er-Jahren die frustrierten Reaktionen von „Alt-Left“- sowie „Alt-Right“-Einzeltätern zunehmen und das Modell „gemeinsam einsam“ zum Gesellschaftsproblem wird, brauchen wir Antworten.
Eine Agenda zu haben bedeutet heute, angegriffen zu werden. Man muss aber zu seiner Agenda stehen. Ich habe mich intensiv mit der AfD beschäftigt und herauszufinden versucht, was die AfD konkret möchte und wie ihre Antworten auf global komplexe Fragen aussehen – doch da ist nichts außer Frust.
Würde man deren Agenda mit Verstand hinterfragen, würden vermutlich die meisten erkennen, dass die AfD ein Missverständnis ist. Politik kann nur besser werden, wenn es um Menschen und ihre Probleme geht – und nicht um Stimmen. Was wir in der Politik brauchen, sind Handlungshelden, die Antworten geben und Veränderungen verstehen: Für was stehst du? Für was steht deine Partei? Wie willst du ein Problem lösen? Was ist deine Vision? Kannst du dich daran messen lassen?
Täglich hören wir aus der Politik, was alles falsch läuft. Wo sind aber die Lösungen, die Antworten? In der Politik, und da ist Deutschland nicht besser als die USA und Großbritannien, geht es derzeit nicht um die Bürger und die Zukunft der Menschen. Es geht um Stimmen, die nächste Wahl, die Rolle und das Ego.
Die Probleme in der Politik lassen sich auf zwei einfache Ursachen herunterbrechen:
Wir leben heute in einer Erwachsenen-Gesellschaft, auch wenn manche Politiker sich wie ein bockiges Kind benehmen. Es muss jedoch dringend gehandelt werden mit einem Verständnis für die Welt, in der wir heute leben. Wir müssen die Sachverhalte im Kontext des 21. Jahrhunderts interpretieren.
Ich bin überzeugt: Im Jahr 2029 wird Deutschland einen parteilosen Kanzler oder eine parteilose Kanzlerin bekommen. Wie bereiten wir uns heute darauf vor? Eine radikale Forderung: CDU, CSU und SPD müssen sofort zusammengelegt werden!
Idealerweise folgt die Verschmelzung mit den Grünen – und die Freien Wähler und die FDP dürfen natürlich auch der Reise beitreten. Ein Beispiel aus der Praxis: Wenn eine Stadt wie Offenbach in Zukunft dank CDU, Grünen, FDP und Freien Wählern plastikfrei feiern wird, dann hat die SPD bestimmt nichts dagegen. Es reicht eine neue, nachhaltig ausgelegte Partei, in der Nuancen in der Ausrichtung wie in einer Firma gehandhabt werden – und der es um das wirkliche Interesse der Bürger und nicht der Politiker geht.
Politik braucht Manager. Es gibt „lokal“ (die Bürgermeister werden mehr Macht bekommen) und es gibt „global“. Das Land muss in Zukunft wie ein großes Unternehmen organisiert werden. Mit Oppositionsparteien wie AfD und Linke sowie einer Regierung, die wie ein Unternehmen über eine Rollenverteilung der besten Köpfe geführt wird, auch wenn sie nicht aus Reihen der Partei kommen. So gestalten wir nicht nur den Übergang, sondern auch unsere Zukunft und zeigen Verständnis für die neue Realität.
Abgestimmt wird in Zukunft direktdemokratisch. Statt eine Milliarde Euro für Berater pro Jahr auszugeben, werden wie in jedem erfolgreichen Unternehmen die Kompetenzen internalisiert und die eigene Führungsmannschaft aufgebaut – über die nächste Wahl hinaus. So brauchen wir keine Unsummen mehr für Plattitüden und Wahlplakate. Machtkämpfe um Rollen und Hierarchien werden auf dem Trainingsplatz (nach innen) geführt und nicht über externe Kommunikation. So funktionieren erfolgreiche Sportmannschaften, und so agieren moderne erfolgreiche Unternehmen. In Zukunft auch die Politik mit der DDU – Deutsche Demokratische Union.
Ein Kanzler Kevin Kühnert wäre womöglich für die Weltbühne zu viel, aber eine Abteilungsleiterin von der Leyen in Doppelrolle mit ihrem Europa-Mandat und weitere Rollen für Spahn, Walter-Borjans, Habeck, Baerbock, Röttgen, Laschet, Lindner und Scholz, zusammen mit einer Riege junger, talentierter Frauen – das würde als Übergangslösung funktionieren. Die neue DDU könnte so stabil weiterregieren.
Das Rollendenken und der Kampf um Macht und Ego sind heute ein Problem – weit über die Politik hinaus. Es wird nicht mehr klar gedacht, es kann nicht geführt werden. Keiner traut sich, etwas zu probieren. Deshalb brauchen wir ein System-Update.
Die Leistung eines Menschen in seinem Tun wird heute nicht mehr über Titel, Rollen, Hierarchien und das Bankkonto definiert – sogar viele ältere Super-Egos scheinen das langsam zu merken. Es ist entscheidend, wie du dich benimmst und was du sagst – und ob du es auch tust. Es muss „echt“ kommuniziert werden.
Echte Leader gestehen Fehler ein, zeigen Demut, versuchen, professionell zu sein, verwenden aber genauso viel Zeit dafür, eigene Annahmen zu hinterfragen. Man kann sich im Leben nie unwichtig genug nehmen (das ist das Erfolgsmodell). Doch viel zu oft heißt es: „Ich bin wichtig“ (das ist das Modell der Vergangenheit).
Meine Vision: Bürgermeister bekommen mehr Freiheit in der Gestaltung und berichten in Zukunft an ihre Abteilungsleiter. Bayern wird zum deutschen Kalifornien, legalisiert Cannabis, macht ein paar Biobauernhöfe auf, während der Ruhrpott auf grüne Energie umstellt und schließt, was zu schließen ist, und das lange vor 2037. Berlin wird zum neuen Valley, vorangetrieben von Elon Musk und seinem Geschenk an Deutschland: Wasserstoff und Quantentechnologie mit Musk’schem Pioniergeist und „First Principle Thinking“.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde lernt Hessisch, und ihr gelingt mit einem neuen Bürgermeister in Frankfurt am Main die Neugestaltung des Finanzplatzes. Was noch wahrscheinlich ist: Die Banken heuern zukünftig Philosophen an und verstehen, dass es um Banking und Vertrauen geht und nicht um die Banken selbst und vergoldete Eckbüros.
So könnte es doch was werden mit unserer „Zukunft“, in der das WAS das neue WER wird. Dafür brauchen wir ein WARUM und viele „WARUM?“. Wenn die Politiker unsere Fragen nicht beantworten können, dann sollten wir sie nicht wählen.
Denn eines steht nach den Ereignissen der vergangenen Wochen fest: Wenn das System nur Niederlagen einfährt, reicht es nicht, den Mannschaftskapitän zu wechseln. Wir brauchen ein neues Trainerteam mit echten Handlungshelden. Die Trainersuche kann beginnen. Lasst uns zukünften!
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