Die Ausbildung deutscher Ärzte galt lange Zeit als vorbildlich. Doch das gute Image ist in Gefahr. Vor allem der Praxis-Anteil kommt derzeit zu kurz.
Medizinstudium im Jahr 2019
Die Verzahnung von Theorie und Lernen am Patienten war vor der Pandemie üblich. In den vergangenen beiden Jahren kam die allerdings zu kurz.
Bild: dpa
Eine exzellente Ausbildung von Ärzten an deutschen Universitäten, oft mit angeschlossenen Kliniken, ist ein Grundpfeiler des guten Rufs des Gesundheitswesens hierzulande. In Deutschland ausgebildete Ärzte genießen eine hohe Reputation. Besonders reiche Länder wie Norwegen oder die Schweiz werben nicht ohne Grund deutsche Mediziner ab.
Unser Ausbildungssystem hat eine lange und gefestigte Tradition. Nicht zuletzt der seit Jahrzehnten geltende Numerus clausus von 1,0 für Medizinstudenten ist ein erster Filter für künftige Mediziner.
Dieses Bild einer heilen Welt der Medizinerausbildung bekommt derzeit Risse. Zum einen gefährden Pandemie und Lockdowns die Qualität ganzer Jahrgänge, zum anderen bringen unsere medizinischen Fakultäten nicht mehr die Quantität an Ärzten hervor, die für eine weiterhin hervorragende Versorgung in Deutschland nötig wäre.
Man muss nicht gleich von „tödlicher Ausbildung“ sprechen. Aber dass die Pandemie erhebliche Auswirkungen auf die Ausbildungsqualität zukünftiger Ärzte haben würde, befürchtete ich von der ersten Minute an. Corona hat das Leben und den Alltag aller Studierenden mehr oder weniger aus dem Ruder laufen lassen. Besonders betroffen waren jedoch Studierende der Human- und der Zahnmedizin.
Für beide Studiengänge ist ein praktischer Unterricht an Patienten unerlässlich. Unterricht am Krankenbett kann man nicht digitalisieren. Virtuelles Lehren und Prüfen können klinischen Präsenzunterricht nicht ersetzen.
Verständlicherweise war das oberste Ziel der medizinischen Fakultäten die Erhaltung der Gesundheit der Studentinnen, Studenten und Dozenten. Dazu kam, dass das Testen auf Corona nicht immer geklappt hat. Ein weiteres Problem war auch, dass viele Studentinnen und Studenten wegen des erhöhten Ansteckungsrisikos oft zu Hause geblieben sind und Angebote nicht nutzten.
In Summe hat das dazu geführt, dass die Ausbildung fast zwei Jahre lang suboptimal verlief und Lücken vor allem in das praxisnahe Wissen riss. Gepaukt wurde weiter, am Patienten gelernt deutlich weniger.
Viele Studenten haben nicht nur den sozialen Austausch vermisst, das gemeinsame Lernen und Lehren in Präsenz. Hinter der vorgehaltenen Hand machten sich viele Studierende selbst ernsthafte Sorgen, ob sie aufgrund der Lockdowns und der Pandemie zu „schlechten Ärzten“ werden könnten.
Es ging dabei nicht so sehr um die beiden Jahrgänge an Erstsemestern des Medizinstudiums. Das Büffeln von Naturwissenschaften wie Zoologie, Botanik, Chemie und Physik ist mit Homeschooling noch relativ gut kompensierbar. Problematischer ist die Absenz sogenannter Präparierkurse in der praktischen Ausbildung der Anatomie.
Dabei werden in Formalin konservierte Leichen seziert. Anatomie ist eine Voraussetzung für die ärztliche Ausbildung. In den „Corona-Semestern“ fanden diese Kurse größtenteils nur noch online statt. Oft sind sogar die Online-Präp-Kurse ausgefallen.
Wichtige Blockpraktika, in denen Studenten erste Schritte für Diagnostik und Therapie wesentlicher Erkrankungen lernen, konnten ebenfalls nicht durchgeführt werden.
Nach dem Physikum beginnt der klinische Teil der Ausbildung. Digital und ohne Patientenkontakt und Famulaturen in den Kliniken kann man keine Medizinstudenten ausbilden. Die Approbationsordnung sieht vor, dass Medizinstudenten ein Pflichtpraktikum in Kliniken oder Arztpraxen absolvieren. Medizinstudenten lernen dabei die stationäre Patientenversorgung, die ambulante Patientenversorgung sowie die hausärztliche Versorgung. All das war seit März 2020 äußerst schwierig und reduziert.
Das Medizinstudium lebt von der engen Verzahnung zwischen theoretischen Leerinhalten und der Vermittlung praktischer Fähigkeiten. Krankheiten kann man am besten am Kranken studieren. Eine Diskussion über eine Verlängerung der Regelstudienzeit gibt es aber derzeit leider nicht.
Vielleicht auch deshalb, weil wir in Deutschland sehenden Auges in ein zweites Problem, den Medizinerengpass, laufen. Die Ärztekammern warnen erstmals seit langer Zeit davor. Eine Studie der Bosch Stiftung hat für 2035 11.000 unbesetzte Hausärztestellen prognostiziert.
40 Prozent aller Landkreise in Deutschland drohe eine Unterversorgung. Noch liegt die Ärztedichte in Deutschland weit über dem internationalen Durchschnitt. Aber das kann mittel- bis langfristig Vergangenheit sein, wenn unser Ausbildungssystem jetzt nicht konsequent gegensteuert.
Alles in allem also keine so schönen Aussichten für die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens und künftige Patienten.
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