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30.01.2023

10:24

Gastkommentar

Waffenlieferungen: Verhandlungsdilettantismus in Berlin

Nach langem Ringen liefert Deutschland Leopard-Panzer an die Ukraine. Aber schon viel früher hätte die Verhandlungsposition gestärkt und der Druck auf Putin erhöht werden müssen.

Deutschland liefert aus den Beständen der Bundeswehr zunächst 14 Leopard-2-Kampfpanzer in die Ukraine. dpa

Kampfpanzer Leopard 2A6

Deutschland liefert aus den Beständen der Bundeswehr zunächst 14 Leopard-2-Kampfpanzer in die Ukraine.

Für mich ist der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein Täter durch Unterlassung. Es ist mir ein komplettes Rätsel, warum Bundeskanzler Scholz ihm und dem linken Flügel in der SPD in Bezug auf die Lieferung von Leopard 2-Panzern für die Ukraine so viel Gehör schenkte.

Aber auch wenn ich berufsbedingt überzeugt bin, dass man vieles besser machen könnte, akzeptiere ich als Demokrat, dass Werturteile unterschiedlich ausfallen können. Zumindest in einem Punkt sind sich aber sowohl Hardliner gegenüber Putin als auch „Appeaser“ abstrakt einig: eine Verhandlungslösung, wie auch immer die aussähe, ist das beste denkbare Ergebnis. Auch wenn es anscheinend völlig unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was der Ukraine für den Frieden zuzumuten wäre.

Wenn eine Verhandlung irgendwann den Krieg beenden soll, dann sollte man sich bestmöglich darauf vorbereiten. Insbesondere, wenn man nicht irgendwann die Freiheit der Ukraine verscherbeln will.

In einer Verhandlung mit Putin braucht es Hebel

Als Verhandlungsexperte unterscheide ich grob zwei Kategorien von Verhandlungen. Auf der einen Seite Verhandlungen mit engen und vertrauten Partnern wie Lebenspartnern, engen Geschäftspartnern oder befreundeten Staaten. Es handelt sich dabei oft um sogenannte „wiederholte Spiele“, welche durch wiederkehrende Interaktionen mit demselben Gegenüber gekennzeichnet sind. Wichtige Erfolgskriterien in solchen Verhandlungen sind Transparenz, Glaubwürdigkeit und klare Kommunikation. In der Leopard 2-Frage lieferte Bundeskanzler Olaf Scholz ein Musterbeispiel, wie man mit engen Alliierten nicht umgeht, auf deren Kooperation und Vertrauen man langfristig baut.

Eine Verhandlung über die Nachkriegsarchitektur mit Putin würde allerdings in die zweite Kategorie fallen und einer völlig anderen Logik folgen. Es hätte den Charakter eines sogenannten „Einmalspiels“ oder „Endspiels“ und liefe auf die eine große Verhandlung mit einem Kräftemessen, einem „Powerplay“, hinaus, dessen Ausgang für absehbare Zeit die Geschicke beider Seiten festlegt.

Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners. Er verfügt über langjährige Erfahrung im strategischen Einkauf und breites Branchen-Know-how. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Außerdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.

Im Geschäftsleben wäre das Äquivalent die Auswahl eines Joint Venture Partners, ein Firmenverkauf oder für uns Normalbürger, eine unfreundliche Scheidung. Die Erfolgskriterien hierfür sind andere als die der ersten Kategorie: Fokuspunkte setzen, Verhandlungshebel schaffen, die Verhandlungshebel dann maximal effizient einsetzen sowie Reputation und Verbindlichkeit aufbauen.

Fokuspunkte und Verhandlungshebel aufbauen

Der Fokuspunkt des Westens muss der „Status Quo ante“, also die Situation vor Putins Angriffskrieg im Jahr 2022 sein. Unsere Kommunikationslinie kann nur sein, dass wir unsere militärische Unterstützung für die Ukraine so lange erhöhen, bis mindestens der Vorkriegszustand erreicht ist. Im Gegensatz zu unseren Politikern arbeitet Putin sehr viel konsequenter mit Fokuspunkten und zementiert diese auch. Er wiederholt gebetsmühlenhaft, dass es mit ihm Verhandlungen nur auf der Basis geben kann, dass Russlands Annexionen anerkannt werden. Und bei der „Frieden um jeden Preis“-Fraktion in Deutschland, verfängt sich dies und wird wohl bald als unvermeidliches Faktum akzeptiert.

Neben der Nutzung von Fokuspunkten muss in einer Verhandlung, die auf einem Kräftemessen beruht, der potenzielle Unterschied zwischen erfolgreicher Verhandlungslösung und einem Scheitern der Verhandlung für das Gegenüber maximal gespreizt werden. Nur wenn mein Gegenüber bei einer Verhandlung viel zu gewinnen oder eben extrem viel zu verlieren hat, besitze ich selber Verhandlungshebel und damit Verhandlungsmacht, das Ergebnis zu beeinflussen.

Verhandlungshebel nutzen

Es ist mir völlig unerklärlich, warum die Bundesregierung nicht am Tag nach dem Überfall auf die Ukraine damit begonnen hat, ihre (Verhandlungs-)Position gegenüber Putin zu verbessern. Wir hätten mit der Munitionsproduktion beginnen und aktive Leopard 2-Panzer, Marder und Leopard 1-Panzer in den Depots für einen Einsatz vorbereiten sollen.

Zum einen wäre das ein Signal unserer eigenen Wehrfähigkeit und Wehrbereitschaft gewesen, zum anderen wäre dies – völlig unabhängig davon ob, wann und unter welchen Umständen man diese Waffen tatsächlich der Ukraine liefern würde – ein mächtiger Verhandlungshebel gegenüber Putin gewesen. Unsere Aufgabe ist es, dazu beitragen zu können (können!), dass Putin viel oder alles zu verlieren hat – die 2022 eroberten Gebiete, die Krim oder gar seine Macht. Nur dann würde eine Verhandlung mit Putin zu mehr als einem billigen Kompromiss führen können.

Wie wir die Verhandlungshebel tatsächlich einsetzen, ist eine andere Dimension. Bis jetzt war die Bundesregierung stets von anderen getrieben. Wer aber relevant sein will, muss gestalten. Dafür darf man sich aber nicht immer erst im Nachhinein dem Druck der Partner ergeben. Bis zur Bestätigung, dass Deutschland Leopard 2-Panzer liefern wird, hätte ich meinen nicht existenten Hut darauf verwettet, dass sich das Kanzleramt irgendwann schrittweise beugen wird: Erst anderen die Lieferung von Panzern genehmigt, dann selbst welche liefert und später scheibchenweise die Stückzahlen erhöht.

Weder Hebel aufgebaut noch genutzt

Gestalten hieße, dass Scholz auf Putin zuginge und jetzt Friedensverhandlungen auf Basis des „Status Quo ante“ fordert, ansonsten er aber die von der Ukraine zur Befreiung der Gebiete erbetenen 300 Kampfpanzer und 700 Schützenpanzer organisieren würde. Ich glaube zwar nicht, dass Putin darauf einginge. Wenn wir dann aber gemäß Ankündigung handeln, hätten wir Putin gegenüber zumindest erheblich Reputation für die Zukunft gewonnen. Und wenn Putin versteht und glaubt, dass wir machen, was wir ankündigen, wird eine zukünftige Eskalation sogar weniger wahrscheinlich.

Wir Spieltheoretiker überlegen, wie das Gegenüber auf die eigenen Aktionen reagiert und analysieren die Situation dynamisch. Die ganze Panzerdiskussion wird aber rein statisch geführt. Es wird auf die mangelnde Verfügbarkeit der Panzer verwiesen, weil wir innerhalb des Bündnisses Verpflichtungen haben. Dabei beruht unsere Verteidigungsfähigkeit auf relativer Stärke.

Nichts bindet mehr russische Militärressourcen als Panzerlieferungen an die Ukraine, nichts unterbindet daher die russische Angriffskapazität mehr, sei es auf das NATO-Bündnisgebiet oder innerhalb der Ukraine. Wir kaufen uns mit Panzerlieferungen aus unseren selbst benötigten Beständen sogar die Zeit, die wir brauchen, um die „Zeitenwende“ voranzubringen.

Dynamisches Denken ist kein Hexenwerk. Wie eingangs gesagt, man kann bei der Abwägung von Werten zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen – der Dilettantismus aber ist unverzeihlich.

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