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03.11.2022

14:15

Gastkommentar

Wie die Finanzierung radikaler Republikaner den US-Demokraten bei den Midterms Erfolge bescherte

Von: Marcus Schreiber

Millionen von Dollar gaben die Demokraten aus, um extrem rechte Kandidaten der Republikaner zu unterstützen. Aus spieltheoretischer Sicht ein cleverer Schachzug, der sich ausgezahlt hat.

Bei den Kongresswahlen in den USA haben die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigt. dpa

US-Präsident Joe Biden

Bei den Kongresswahlen in den USA haben die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigt.

Die Midterms in den USA, also die Zwischenwahlen zum Kongress, waren für mich ein wahres Freudenfest. Nicht per se, weil die Demokraten viel besser abgeschnitten haben als erwartet, sondern weil diese Wahl eine Trendumkehr sein könnte, weg von der Radikalisierung.

Bei den Republikanern haben Trump-treue MAGA-Kandidaten und Wahlleugner besonders schlecht abgeschnitten und die Demokraten haben auch genug Grund über ihren Kurs nachzudenken. Etwa die Hälfte der Sitzverluste der Demokraten im Repräsentantenhaus passierten in den progressivsten – nennen wir es, wie es ist, den linkesten – Bundesstaaten New York und Kalifornien.

Aber nicht nur der parteiunabhängige Anhänger der Mitte und Transatlantiker in mir freute sich, sondern es war auch ein Triumph spieltheoretischer Strategie.

Es gibt einen Zweig der Ökonomie, den wahrscheinlich nur Experten kennen: die Ökonomische Theorie der Politik. Diese hat die Kunstfigur der Ökonomie, den nutzen- und gewinnmaximierenden Homo Oeconomicus, in einen rationalen Stimmenmaximierer verwandelt.

Eine der Grundthesen dieser Theorie besagt, dass sich die politischen Strömungen in einem Zwei-Parteien-System auf die Mitte zubewegen. Zur Veranschaulichung nutzen Vertreter des Fachs und Spieltheoretiker oft das Bild von zwei Eisverkäufern am Strand.

Diese zwei Verkäufer mit identischen Eissorten und Preisen sind die einzigen Anbieter an einem, sagen wir, einen Kilometer langen Strand. Ihr einziges Differenzierungsmerkmal ist folglich der Weg, den die Kunden zum Eisstand zurücklegen müssten. In einer klugen Planwirtschaft würde man die Stände an der 250-Meter- und der 750-Meter-Marke aufstellen. Die Strandbesucher könnten sich über den ganzen Strand verteilen und keiner hätte mehr als 250 Meter bis zum Kauf.

Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners. Er verfügt über langjährige Erfahrung im strategischen Einkauf und breites Branchen-Know-how. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Außerdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.

Nun haben uns Theorie und Praxis gelehrt, wie wichtig Wettbewerb ist. Deshalb suchen sich die Standbesitzer ihren Standort selbst. Jeder gewinnmaximierende Verkäufer wird nun seinen Stand Richtung Mitte und auf den Konkurrenten zubewegen. An den Rändern besitzt der Verkäufer eine Art Monopol. Der Weg zum Wettbewerber ist viel zu beschwerlich. Und die verbleibenden Kunden, die zwischen den beiden Eisständen liegen, wählen jeweils den kürzesten Weg zum Eis.

Jeder Verkäufer gewinnt also Kunden hinzu, wenn er sich auf die Mitte und damit auf den Wettbewerber zubewegt. Je nach Beschwerlichkeit des Weges und dem Eishunger, kann es sogar sein, dass die beiden Stände sich praktisch in der Mitte treffen.

Das ist im Übrigen auch der Grund, warum Mietwagenfirmen oder Fastfood-Ketten mit sehr austauschbaren Produkten oft direkt nebeneinander liegen. Eben diese Vorhersage trifft nun die Ökonomische Theorie der Politik auch für ein Zwei-Parteien-System. Die Parteien rücken in die Mitte und stehen ihren Wählern auf den Flügeln immer noch deutlich näher als die Konkurrenzpartei.

Demokraten finanzierten extreme Trump-Anhänger

Die Logik dieses Prinzips nutzten die Strategen der US-Demokraten im Wahlkampf, ohne die eigene Position verändern zu müssen. Bei mindestens 13 parteiinternen Vorwahlen der Republikaner haben die Demokraten extreme Trump-Anhänger und Wahlleugner gegen moderate republikanische Kandidaten und Amtsinhaber unterstützt.

Am exponiertesten war das bei den „Primaries“ um den US-Senat im – nach frühen Umfragen – umkämpften Bundesstaat New Hampshire und bei den Gouverneurswahlen in Pennsylvania, Illinois und Maryland zu beobachten. Teils steckten die Demokraten fast genauso viel Geld in den Wahlkampf der radikalen Republikaner wie in ihren eigenen, teils das Sechsfache dessen, was diese Trumpisten selbst bei den Vorwahlen investierten.

Was war die Logik dieser Strategie? Die Eisverkäufer haben die Antwort. Nehmen wir an, dass die Republikaner die rechten 40 % des Strandes besetzen, die Demokraten die linken 40 % und die Unabhängigen die mittleren 20 %. Die Demokraten haben nun mit ihrer Kampfkasse die irrsten, groteskesten und radikalsten Wahlkampfspots der Trump-Republikaner immer und immer wieder unkommentiert im Fernsehen spielen lassen.

In den Parteien sind die Radikalsten meist auch die Motiviertesten. Für die radikale Basis der Republikaner bedeuteten diese extremen Positionen das Angebot, dass die Kandidaten ihren „Eisstand“ an deren Lieblingsplatz am Strand, weit am rechten Rand aufbauen würden. So kam es auch. In allen 13 Fällen setzten sich parteiintern die Trump-Loyalisten mit ihren extremen Positionen durch.

Die Position des Gegners beeinflusst den eigenen Erfolg

Die permanente Wiederholung der durchgeknallten Spots hatte aber auf die gesamte Wählerschaft eine völlig andere Wirkung. Wie mit einer wiederkehrenden Lautsprecherdurchsage am Strand, machten die Strategen der Demokraten den nicht parteigebundenen Wählern klar, dass die Republikaner die Mitte des Strandes aufgegeben und ihre Eisdiele nach den Wünschen der radikalen Basis am rechten Rand aufgebaut hätten.

Indem sie selbst nachhalfen, dass die Republikaner die Mitte aufgeben, gewannen die Demokraten, ohne selbst weiter in die Mitte zu rücken, in all diesen 13 Rennen haushoch – und das mit einer überragenden Mehrheit unter den unabhängigen Wählern.

Den von Joe Biden und den Demokraten wegen der Inflation und der indoktrinierenden Schulpolitik eigentlich genervten, parteiungebundenen Wählern wurde, in dem man den radikalsten Gegnern eine laute Stimme gab, klargemacht, dass es um mehr geht, nämlich die Institutionen und die Demokratie an sich.

Als Spieltheoretiker und Stratege kann ich vor dem Mut und Scharfsinn der Demokraten einerseits nur den Hut ziehen. Nichtsdestotrotz wirkt es auf mich eher gerissen als klug. Wenn es um alles geht, nämlich einen erneuten Sieg Trumps zu verhindern und die Demokratie zu retten, mag so ein taktisches Verhalten angemessen sein. Auf Dauer untergräbt so ein rationales, zynisches Verhalten die Demokratie – auch wenn man sie eigentlich retten will.

Ich würde mir wünschen, dass die Demokraten die Mitte gewinnen, indem sie selbst wieder mehr dorthin rücken, und viele Strandgäste werden sich dann ganz automatisch ihren Platz in der Nähe der demokratischen Eisdiele suchen.

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